Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 38

Lambchop: "Ohio"

In der Ruhe liegt die Kraft. Für das neue Werk der texanischen Großfamilie von Kurt Wagner gilt das allemal. Ihr 13. Album ist wirklich spannend geworden - findet Manfred Prescher.    29.09.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wagner ist natürlich ein urdeutscher Name - berühmt und auch berüchtigt durch Richard und seine Sippe, die sich die Regentschaft über den Grünen Hügel in Bayreuth auf immer und ewig teilt, auf daß Richie von oben zufrieden runter auf den "Ring der Nibelungen" blicken kann. Vielleicht schaut er ja zusammen mit Friedrich Wilhelm Murnau zu, der dem bekannten Heldenthema in den zwanziger Jahren reichlich präfaschistoides Pathos auferlegt hat. Aber der Drache ... was für ein genialer Spezialeffekt! An dem hätte Richie seine Freude gehabt.

Besser ist es natürlich, sich Inszenierungen von Wagner-Opulenzen auf ARTE oder 3SAT anzuschauen, bequem auf dem heimischen Sofa sitzend und Wagner-Pizzen verzehrend. Die sind schön knusprig und lecker belegt. Damit der Magen "Die Meistersinger von Nürnberg" oder andere Epen des in Leipzig geborenen Komponisten übersteht, muß er mit mehr als einer Pizza gefüttert werden; so ein Abend ist schließlich lang. Der Erfinder der leckeren Teigwerke hieß übrigens Ernst Wagner und war mit dem Musikus nicht verwandt oder verschwägert - es sei denn, man geht davon aus, daß alle Wagners dieser Welt irgendwann mal zu Abrahams Zeiten aus dem Spermium eines Ur-Wagners hervorgingen.

Das würde zumindest erklären, warum man Menschen mit diesem Namen überall auf der Welt findet. Die Wahrheit sieht wahrscheinlich prosaischer aus: Bei den Wagners in Übersee handelt es sich um Deutsche, die das harte Schicksal und die Hoffnung an ferne Gestade trieben. Ihre Nachfahren haben durchaus einiges geleistet: Nehmen wir nur Robert Wagner, dem wir Älteren vergnügliche Stunden im Pantoffelkino verdanken. Er war Jonathan Hart in "Hart aber fair" - Verzeihung, es muß natürlich "Hart aber herzlich" heißen - und spielte den Meisterdieb Al Mundy in "Ihr Auftrag, Al Mundy". Der Texaner Kurt Wagner ist dagegen einer, der manchmal durchaus auf Richards Spuren wandelt. Ausführliche, fast schon symphonische Passagen gehören bei seiner Band Lambchop immer dazu. Der Vergleich hinkt natürlich, da Kurt sanfte Elegien liebt, die eher nach Sibelius klingen. Dazwischen baut er auf Folk, Country und wachsweiches Geschrammel. Je nach Zusammensetzung kommen dann entweder sehr schöne Alben für den Herbstabend vor dem Kamin oder wirksame Schlafmittel dabei heraus.

"Oh (Ohio)", das 13. Album der 1986 gegründeten Big Band, gehört eindeutig in die erste Kategorie. Wer das nicht glaubt und ein paar Groschen übrig hat, kann sich das Werk zusammen mit der neuen Ausgabe des "Rolling Stone" nun am Kiosk kaufen. Diese Art der Vermarktung hat in Britannien schon ein paar Mal ganz vortrefflich geklappt. Für den Musikinteressierten lohnt es sich zuzugreifen - und dies sogar dann, wenn er das "Trägerheft", wie sowas in der Fachsprache heißt, nicht lesen mag. Was aber auch wieder sehr schade wäre.

 

Das Titelstück, mit dem die CD auch beginnt, hat rein gar nichts mit dem sehr bekannten gleichnamigen Hippie-Folk-Protest-Hit von Crosby, Stills, Nash & Young zu tun. Kurt Wagner mag zwar ein formidabler Wirr- und Schrägkopf sein, aber ein Nachkomme der Blumenkinder ist er nicht. Mit seiner recht kargen Instrumentierung und dem lakonischen Gesang erinnert "Ohio" dann doch eher an das lakonische "O-Hey, O-Hi, O-Ho", mit dem Robert Mitchum 1948 in Norman Fosters Noir-Western "Rachel And The Stranger" brillierte. Natürlich ist Wagners Ausdruck etwas weicher, etwas ätherischer, aber das Grundgefühl ist eindeutig genauso Country-Folk wie seinerzeit Mitchums Soundtrack-Beitrag.

Kurt Wagner, der sich im Interview mit mir schon vor zwölf Jahren als passionierter Western-Fan outete, läßt immer wieder Elemente "klassischer" Genre-Kompositionen in seine Songs einfließen. Man höre nur, wie er Max Steiners musikalische Spannungsbögen aus "The Searchers" im 1996er-Album "How I Quit Smoking" einsetzte. Genau deswegen sprach ich ihn damals auch auf seine Liebe zu Cowboyfilmen an. Übrigens: Eine der besten CDs von Lambchop heißt "Thriller". Gab´s da nicht noch jemanden, der unter diesem Titel Außergewöhnliches zustande brachte?

Aber darum wird es im nächsten "Miststück" bestimmt nicht gehen, obwohl der betreffende Herr gerade wieder mit einem Sampler geehrt wird. Im Mittelpunkt stehen stattdessen Kings Of Leon, die - sehr überraschend - einen echten Nummer-1-Hit aufgenommen haben. Der klingt weder nach Richard Wagners Dramatik noch nach Kurt Wagners Alternativ-Country-Style, sondern sehr Seventies-mäßig.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Lambchop - Oh (Ohio)

(Photos © Michael Schmelling)

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City Slang/Universal (USA 2008)

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