Macklemore & Ryan Lewis: "Same Love/Cowboy Boots"
Enthalten auf der CD "The Heist" (Rykodisc/Warner)
Der Rapper und sein Produzent sind längst so berühmt, daß ihre Songs in allen Metropolen von den Dächern schallen. Manfred Prescher hat das Duo trotzdem überhört - und wundert sich, daß er das Album "The Heist" jetzt nicht mehr aus dem Schädel kriegt. 12.08.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Der Begriff "Logorrhoe" kommt aus dem Altgriechischen und heißt wortwörtlich übersetzt "Redefluß". Wir Hobbypsychologen kennen natürlich auch andere Übersetzungen, die etwas drastischer sind - etwa "Sprechdurchfall" oder "Redesucht". Bleiben wir aber mal beim "Redefluß": Die Vorstellung, daß Wort um Wort aus einem Mund purzeln, sich unter den Füßen der erst zuhörenden, dann sanft entschlummernden Menschen sammeln, um sich mindestens mal in einen Bach aus Buchstaben zu verwandeln, hat schon was. Erinnert mich irgendwie an meine Kindheit und die Buchstabennudelsuppe, aus der ich veritable Gedichte in den Teller zauberte. Vorher mußte ich die Brühe natürlich auslöffeln, aber das müssen wir ja sowieso alle. Da ich kein Suppenkasper bin, war das in dem speziellen Fall auch nicht dramatisch, sondern lecker.
Und beim Thema "Redefluß" fällt mir ein, daß sich im Neuen Testament eine Stelle findet, die beschreibt, was passieren kann, wenn ein Mensch zu weitschweifig wird. Ich finde die Stelle grad nicht, aber sie geht in etwa so: An einem lauen Sommerabend predigte Paulus auf einer Dachterrasse. Die Menge war zunächst begeistert, denn der Urchrist verstand sein Mundwerk. Er übertrieb es aber in seiner rechtschaffenen Begeisterung und kam vom "Höcksken aufs Stöcksken". Schließlich schlief ein Zuhörer ein, purzelte von der Brüstung, pennte weiter, und am Ende von Nacht und Lied weckte Paulus ihn wieder auf. Wundersamerweise blieben dem Mann - außer blauen Flecken vermutlich - alle Worte von Paulus in Erinnerung, auch die, die er verschlafen hatte. Was lernen wir daraus? Dreierlei: Das Buch der Bücher hat tatsächlich auch humorvolle Stellen; man sollte die eigenen Worte wenigstens so setzen, daß sie beim anderen ankommen und haften bleiben ... und: Ich hätte vielleicht doch Pfarrer werden sollen.
Der Bezug zum HipHop-Superstar Macklemore, der eigentlich Ben Haggerty heißt, ist natürlich offensichtlich: Was ein guter Rapper ist, der sagt, was er denkt. Vermutlich denkt er auch, was er sagt - und bringt daher seine Worte derart zum Fließen, daß ein Fünfminuten-Song schon mal mehr Vokabeln enthält, als man aus einer 500-Gramm-Packung Buchstabennudeln zaubern könnte. Das verlangt vom Zuhörer ein hohes Maß an Konzentration, weswegen es nicht ausbleibt, daß man Macklemore auch mal falsch versteht. Ich jedenfalls hörte in seinem Hit "Can´t Hold Us" nicht "ceiling can´t hold us", sondern das meiner maßgeblichen Meinung nach viel witzigere Sätzchen "silly can´t hold us" (frei übersetzt: "die Blödheit hält uns nicht zusammen"). Und das sagt doch mehr aus als die Originalsequenz - außer, man ist ein Vogerl und tät´ gern fliegen.
Der Reimfluß von Macklemore ist oft ein sehr sanft dahinplätscherndes Wortgewässer. Das liegt an der unspektakulären Produktion von Ryan Lewis, der die spezifische Sprachmelodie des Rappers mit wunderbar eingängigen Notenbögen veredelt. Besonders in den ruhigeren Stücken "Same Love" und "Cowboy Boots" gelingt das so herrlich, daß man tagelang zuhören könnte. Man wäre dann richtig eingegroovt. "Same Love", dessen Refrain von Mary Lambert gesungen wird, ist ein Hohelied auf die schwule Liebe, ein sehr politisches Statement gegen ein Amerika, das immer weiter nach rechts tendiert und so neue Apartheids-Systeme schafft beziehungsweise alte wieder restauriert. Man kann den Song auch als Hymne gegen Engstirnigkeit und für Toleranz sehen - oder einfach als verdammt gutes Lied über eine Liebe, die sich nicht verbiegen läßt: "And I can´t change/Even if I tried/Even if I wanted to/My love my love my love/She keeps me warm".
Der zweite Höhepunkt auf Macklemores wirklich sehr empfehlenswertem Album "The Heist" heist - äh, heißt - "Cowboy Boots". Country und HipHop gehen da eine solch innige Verbindung ein, daß man denkt, die beiden wären schlicht füreinander geschaffen. Ganz nebenbei reiht sich das Lied auch in die Liste der essentiellen "Stiefel-Lieder" ein. Es steht auf einer Stufe mit dem bittersüßen Schlußmach-Epos "These Boots Are Made For Walking" von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood oder mit Kinky Friedmans Scherzkeks-Gassenhauer "Before All Hell Breaks Loose", aus dem der folgende Wörtersee stammt: "You poked fun at my cowboy shoes/You said they looked just like big canoes/Now it´s time for the chosen ones to choose/Before all hell breaks loose/Turn out the lights, honey turn on the news/God save the Queen and the kangaroos/And what kind of rubbers did Joseph use/Before all hell breaks loose".
Nächste Woche werde ich hier übrigens nicht über Gewässer schreiben, sondern vielmehr der Frage nachgehen, was Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Sommerhit des Jahres - "Blurred Lines" von Robin Thicke feat. T. I. & Pharrell - zu tun hat. Die Frage hat zwar bislang keiner gestellt, aber ich beantworte sie trotzdem. Ach, und wir nähern uns dem großen Jubiläum. In vier Wochen gibt´s das 250. Miststück; passend dazu werde ich Herrn Felix Austria und seine Frau beglücken und in Vienna lesen. Unerbittlich. Wenn es sein muß, bis jemand von der Brüstung fällt ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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