Kolumnen_Miststück der Woche III/52

Mayer Hawthorne: "Her Favorite Song"

Der Mann sieht irgendwie aus wie eine Kreuzung aus Elvis Costello, George Michael und Justin Timberlake - aber er macht "echte" Soulmusik. Und das mittlerweile so gut, daß die alten, längst verblichenen Helden des Genres sicher stolz auf ihn wären, meint Manfred Prescher.    23.09.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Irgendwie ist es schon ein Kreuz mit der Seele. Wo steckt die? Und warum ist es eigentlich wichtig, daß wir die immer und überall spüren? Ist sie, wie ein niederbayrischer Volksphilosoph mal mutmaßte, ein Gas? Oder sind das, was wir als Seele wahrnehmen, verirrte Winde, die durch uns hindurchströmen? Dadurch würde der Begriff "Seelenwanderung" eine neue Bedeutung erhalten, die sich noch dazu ernährungswissenschaftlich untersuchen ließe. Wie wirken sich beispielsweise Brokkoliröschen oder Frühlingszwiebeln auf die Seele aus? Im Ernst: Den Begriff "Seele" gibt es jedenfalls in unterschiedlichen Zusammenhängen, er läßt sich in vielfältige Hermeneutik-Systeme einordnen - psychologisch, religiös, soziologisch, ethnologisch und natürlich auch musikwissenschaftlich. Wir werden schließlich irgendwie von Musik "beseelt", vulgo gut oder schlecht drauf gebracht.

Der Begriff "Soulmusik" beschreibt hingegen eine bestimmte Art von Mucke, die freilich gar nicht mal so bestimmt ist, wie es den Anschein hat. Denn seit vor Urzeiten Solomon Burke, James Brown und Sam Cooke in ihren weißen Mustangs in das "Land Of 1000 Dances" geritten kamen und uns ihren "Memphis Soul Stew" kredenzten, hat sich die Welt immer weiter gedreht. Schon damals paßte nicht unter einen Hut, was allgemein als "Soul" bezeichnet wurde. Vom eleganten Motown-Sound über den kernigen Radau der Südstaaten-Hochburgen Memphis und Muscle Shoals und die sanften Klänge aus Chicago bis zum Blues des Delta - irgendwie war alles, um mit einer Sampler-Reihe von Motown zu reden, "Nothing But Soul". Mittlerweile ist das Ganze noch differenzierter, und Soul kann praktisch alles sein "außer Tiernahrung".

 

Früher wußte man wenigstens, daß Soulmännlein und -weiblein afroamerikanischer Abstammung zu sein hatten, aber auch das ist spätestens seit Rare Earth Schnee von irgendwann. Heute hören Trendsetter den hellhäutigen Matthew E. White (Miststück III/21) oder eben Mayer Hawthorne, der eigentlich Andrew Mayer Cohen heißt. Doch Namen und Hautfarben tun nichts zur Sache. Auf seiner dritten CD "Where Does This Door Go" klingt Hawthornes Falsett so herrlich erwärmend, daß er mit seiner Stimme Stahl schmelzen könnte. Und wahrscheinlich sogar so über Tiernahrung singen würde, daß es eben nicht für die Katz ist. In "Her Favorite Song" steckt auf jeden Fall mehr Al Green, mehr Isaac Hayes und mehr The Main Ingredient, als ich es einem 34jährigen "Weißbrot" normalerweise zutrauen würde. Aber bevor jemand jetzt von umgekehrtem Rassismus reden möchte, sollte er das Lied hören, die Augen schließen, schweigen und schwelgen, was das Zeug hält.        

Vielleicht ist es dieses Lied, das das Herz der Liebsten erreicht, wenn man nicht in der Lage ist, die eigenen Gefühle adäquat zu formulieren? Normalerweise kann man ja bekanntermaßen außer Zitrusfrüchte alles mit Worten ausdrücken, aber in Liebesdingen versagen die einfachsten Grundkenntnisse der Kommunikation schon mal. Ruhig Blut, Brauner, das ist normal. Wenn´s um l´amour toujours geht, verfahre ich derzeit so: Ich entzünde in der Kathedrale meines Herzens einen riesigen Kerzenleuchter und lasse dazu sanft "Her Favorite Song" von Mayer Hawthorne spielen - was zufällig auch noch tatsächlich das Lieblingslied von meinem Mädel ist. Und je nach Gusto, Stimmung oder Datum im Zykluskalender tritt sie dann entweder ein und wir schweben gemeinsam auf Wolke 7 oder 8 durch das Gewölbe - oder sie findet es kitschig, affig und doof. Dann wirft sie mit Katzenfutterdosen - mit Tiernahrung trifft sie nämlich ziemlich effektiv - und der Schachtel der Hawthorne-CD. Ich frag´ mich dann "Where Does This Door Go" und verschanze mich hinter dem Altar, während sich ihr "romantischer Spinner" als zusätzliches Sample mit "Her Favorite Song" verbindet. Als Mann muß man nämlich immer über der Situation stehen und das Beste draus machen. Wenn´s mal in Sachen Liebe schräg läuft, dann ist Soulmusik von Mayer Hawthorne ein echter Trost. Aber heißt es mal wieder frei nach Barry White "Can´t Get Enough Of Your Love, Baby", dann laßt dem Mayer seine CD einfach durchnudeln, bis die Schwarte kracht.

Nächste Woche lege ich euch ein Lied an die Herzerln, das erfrischend komisch und gut ist: "The Ballad Of Boogie Christ" von Joseph Arthur. Was, den Burschen und sein gar lustig Liedel kennt Ihr nicht? Das werden wir gemeinsam ändern. Bis dahin bleibt, wie ihr seid - es geht ja eh nicht anders.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Mayer Hawthorne: "Her Favorite Song"

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Enthalten auf der CD "Where Does This Door Go" (Republic/Universal)

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