Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 85

Merle Haggard: "I Am What I Am"

Natürlich steht es einem alten Mann zu, das Leben Revue passieren zu lassen und trotzig festzustellen, daß man eben so ist, wie man ist - oder wie man geworden ist. Manfred Prescher, selbst schon "alt, aber bezahlt", weiß genau, wovon der Country-Recke aus Bakersfield singt.    05.07.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

"I´m proud to be an asshole from El Paso" ... Verzeihung, es muß natürlich "I´m proud to be an Okie from Muskogee" heißen. Diese Worte sang Merle Haggard 1969 - und seitdem immer dann wieder, wenn Kriegsgegner, Hippies oder Drogensüchtige ein Redneck-Statement verlangten. Daß der Song permanent falsch verstanden wurde und daher das berüchtigte Chaoten-Duo Chinga Chavin/Kinky Friedman zu ihrer El-Paso-Verballhornung veranlaßte, ist bekannt. Haggard fühlte sich auch dadurch in eine Ecke gedrängt, in die er sich freilich - ganz ohne daß ihn der Lehrer strafend dorthin beordert hatte - selbst gestellt hat. "War doch alles nur Spaß", meinte er; doch der Song fand definitiv die falschen Anhänger. Etwa Richard Nixon, von dem geschichtlich nur ein Haufen Kacke übrigbleibt, weshalb Friedman das "große menschliche Geschäft" in seinen übrigens immer noch sehr empfehlenswerten Romanen gern mit "einen Nixon abdrücken" umschreibt.

Okie hin - Muskogee her, ein merkwürdiger Typ ist Haggard, dieser hochbegabte Songwriter aus Bakersfield in Kalifornien, allemal. Behauptete er doch, mit Johnny Cash in San Quentin gesessen zu sein, wovon der heilige Johann allerdings nichts wußte. Cash strickte zwar eifrig an seiner Knastlegende, genoß aber wohl nur einmal eine Nacht die Gastfreundschaft eines Sheriffs - wegen Diebstahls von Blumen aus einem öffentlichen Park. In San Quentin war er nur, um dort aufzutreten und das berühmte Glas Wasser zu verlangen.

 

Merle Haggard will uns mit dem Titellied seines feinen neuen Songwriter-Albums sagen, daß er sich nicht verbiegen läßt, daß er Heiliger, Sünder und eben auch ein riesiger Aufschneider ist. Das, so der Song, sei nicht mehr zu ändern, soviel Altersstarrsinn muß sein. Und wenn er in absehbarer Kürze St. Johnny gegenüberstehen wird, dann möge dieser gegen seinen vielleicht größten Fan (neben mir und Emmerich Thürmer natürlich) Milde walten lassen.

Stimmen mag es wohl wirklich: Haggard hat seinen Traumberuf zwar schon Anfang der 50er gefunden, ihn aber erst zielstrebig verfolgt, nachdem er Cashs "Cry, Cry, Cry" oder "Folsom Prison Blues" gehört hat. Seitdem heißt es "I walk the line through Nashville". Und daran wird sich, auch das sagt uns dieses Lied, mindestens so lange nichts ändern, bis Haggard in die Grube fährt und vor seinen Herrn tritt. Woran einer, der aus der Christen-Hochburg Bakersfield kommt, natürlich inbrünstig glaubt ...

Neben Baptisten und allerlei anderen Followern uralter Social Networks gibt´s in der nicht allzugroßen Stadt übrigens auch eine "Garden Community Church". Dort kann man sich wahrscheinlich neben dem Abendmahl auch ein zweites Weißbier oder ein weiteres Viertel bringen lassen. Und statt Hostie wird ein BBQ serviert. Mehr Leib Christi kriegt man sonst nirgends. OK, da geht wohl gerade die Phantasie mit mir durch - aber sie entfernt sich nur ein Stück weit von "I Am What I Am". Hier zählt Haggard nämlich die beiden für ihn unveräußerbaren Grundwahrheiten auf, an die er felsenfest glaubt: "I believe Jesus is God and a pig is just ham/I am what I am." Ich finde, das sind sehr schöne Zeilen, die nicht nur beweisen, daß Haggard kein Vegetarier ist, sondern auch, wie sehr es ihm gefällt, daß Gott seinerzeit am fünften Tag den Schinken schuf, um ihn dann am sechsten Tag schön zu räuchern. Heute profitieren die Gläubigen in der Gartenlaube davon, die zur zünftigen Brotzeit garantiert auch noch von Gottes eingelegten Essiggurken (deren Schöpfung er bereits am zweiten Tag mit Nachdruck, Wacholderbeeren und Zwiebelringen einleitete) naschen. "Nehmet hin, dies ist mein ..." Na gut, lassen wir das. Sicher ist jedenfalls, daß Haggard gern noch ein Weilchen auf der Erde weilen will, da der liebe Gott einst wirklich an alles dachte.  

Nächste Woche wird es an dieser Stelle weder um Schinken noch um Gott gehen. Es wird sogar wieder moderner, was aber letztlich auch wieder sehr altmodisch klingt. Kylie Minogue ist nämlich mehr Disco als je zuvor und stellt uns "All The Lovers" vor. Die Frau hat aber auch einen Verschleiß - unzählige Männer, viele Frauen und ein Pferd sind im dazugehörigen Video zu sehen. Es steht zu vermuten, daß die bezaubernde Kylie aus Australien zwar schon oft irgendwo down under war, aber doch mindestens so gern hochstapelt wie Merle Haggard. Was das Video mit einem ansehnlichen Fleischberg (ohne Pferd, aber mit viel Schinken) ja auch wieder eindrucksvoll belegt.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Merle Haggard - I Am What I Am

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Vanguard / EMI (US 2010)

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