Kolumnen_Miststück der Woche III/27

Justin Timberlake: "Strawberry Bubblegum"

Gestern bei strahlendem Sonnenschein in Hessen, heute bei Ski- und Rodelwetter in Franken - aber die Frisur hält. Ganz im Gegensatz zum Kolumnisten, der ausnahmsweise mal nicht hält, was er vor einer Woche versprochen hat.    01.04.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Eigentlich wollte ich diesmal etwas über Karl Bartos - ja genau, der von Kraftwerk - machen. Aber ich muß zugeben, daß ich mir seine CD noch gar nicht angehört habe. Wie soll man dann also ein Wort darüber verlieren? Oder gar tausend Wörter? Für den Fan wären das sowieso verlorene Wörter, oder? Aber ich werde das nachholen, versprochen. Die nächste Zugfahrt kommt bestimmt - spätestens, wenn der Führerschein auf der Gendarmerie im Safe aufbewahrt wird, auf daß ich mich besser benehme. Ich bin einfach ein zu schneller Junge, würde Udo Lindenberg witzeln.

Aber im Ernst: Wer wie ich im Jahr 200.000 britische Seemeilen mit dem Auto unterwegs ist, wird auch häufiger geblitzdingst als jemand, der nur ab und an einkaufen fährt ... Und das Verkehrssünderregister hat ein noch besseres Gedächtnis als die holde Weiblichkeit. In den vergangenen zehn Jahren wurde ich fünfmal erwischt; also alle 400.000 Seemeilen einmal, was denen "da oben" in Flensburg ja eigentlich zeigen müßte, daß ich ein Braver bin. Aber ich werde mich bessern, auch versprochen. Es wird wohl darauf hinauslaufen, daß ich mir einen Chauffeur leisten muß - passend zur Jugendstilvilla, die ich erst erwerben und dann altersgerecht umbauen will. Weil man ja vorausschauen sollte und so mancher Wannenrand irgendwann unüberwindbar wird.

 

Vorher aber wird erst noch das erwähnte Versprechen von vergangener Woche gebrochen, denn ich hör´ grad etwas ganz anderes und eben nicht Karl Bartos. Gestern lief der Song, als ich durch das sonnige Hessen vor mich hingurkte, und vorhin haben sie ihn auf Bayern 3 gespielt, als ich durch das Winterwonderland gerutscht bin. Die paar Kilometer heute morgen waren so heftig, daß ich den Lappen eigentlich am liebsten gleich hergegeben hätte. Aber das Lied hat mich versöhnt. Ach, Justin Timberlake ...

Ich kann mich dem Mann ja unbefangen nähern, weil ich einen Sohn habe. Wäre ich mit einer Tochter von Mitte 20 gesegnet, wäre der Fall eventuell anders verlaufen: dann hätte ich womöglich mitansehen müssen, wie sie ihr Jugendzimmer mit Postern von Timberlake zupflastert. Justin war nämlich als pubertierender Dreikäsehoch bei einer Boygroup. Wartet, ich komm´ gleich drauf, bei welcher. Take That war es nicht, da war ja Robbie Williams - und der hat übrigens nicht die Hauptrolle in "Hinter dem Horizont" und im "Club der toten Dichter" gespielt. War er etwa bei den Backstreet Boys? Nein, er war der Hauptsänger von *NSYNC (nur echt mit dem Sternchen vor den fünf Buchstaben) und ein echter Schwarm für heranwachsende Mädels. Als Mann muß man allerdings mehr oder minder neidlos anerkennen, daß der Bursche tatsächlich schneidig ist. Er sollte sich aber öfter mal rasieren, finde ich.

Wenn mich meine Englischkenntnisse nicht in die Irre führen, dann bedeutet der Ausdruck "20/20" so viel wie "vollständig" oder "im ganzen" [er bedeutet übrigens auch, daß jemand die absolute Sehschärfe hat und keine Brille braucht; Anm. d. Red.]. Timberlake, dessen letztes Werk schon sieben Jahre zurückliegt, nennt sein drittes Soloalbum "The 20/20 Experience". Er versucht, die Popwelt vollständig abzubilden, gibt sich sehr erwachsen und gereift. Das ist kein Wunder, weil der Mann ja seit Jänner auch schon 32 Jahre alt ist und einen eigenen Golfplatz eröffnet hat. Das paßt schon zu einem Kerl in den besten Jahren. Musikalisch ist diese Entwicklung aber richtig gut, muß man sagen. Besonders im genau acht Minuten (!) langen Stück "Strawberry Bubblegum", in dem er seine derzeitige Liebste, Jessica Biel, "untenrum" mit einem Erdbeerkaugummi vergleicht. Sowas darf Mann eigentlich nicht, denn jede Frau kann sich ja denken, wie das mit dem Süßkram ausgeht. Irgendwann wird der Geschmack im Mund garantiert schal ...

Aber Justin darf das, die Mädels verzeihen ihm das, vielleicht verstehen sie den Text auch einfach nicht. Immerhin ist das Album in den USA gleich auf Platz 1 der Hitparade eingestiegen; also sollten die Ladys dort ja begreifen, was der Typ da von sich gibt. Vielleicht geht es ihnen aber auch wie mir, und sie mögen einfach nur den entspannten, beinahe liebevollen Groove des Songs, der sich zum Finale hin in einen mitreißenden Latin-Rhythmus aufschwingt.

Natürlich könnte es auch sein, daß Justin Timberlakes Musik selbst einem Kaugummi entspricht und man das Lied nach dem fünften oder sechsten Mal Hören am liebsten ausspucken möchte. Ich hab´ ihm aber erst dreimal gelauscht und finde es nach wie vor sehr nett. Es sorgt für positive Laune, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wenn ich bis nächste Woche Karl Bartos gehört haben werde, wird´s auch den noch geben - ansonsten fällt mir sicher etwas anderes ein. Schön wäre zum Beispiel "Ho Hey" von The Lumineers. Das Lied spielen die derzeit im Radio wieder mal rauf und runter, und ich kann mich nicht recht entziehen. Ach, ich entscheide spontan, wovon die nächste Kolumne handeln wird. Und jetzt hole ich mir einen Kaugummi mit Erdbeergeschmack, weil mir irgendwie danach ist. Am liebsten wär´ mir einer, bei dem sich der Geschmack ewig hält.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Justin Timberlake: "Strawberry Bubblegum"

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enthalten auf der CD "The 20/20 Experience" (RCA Records/Sony)

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