Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 69

Akon: "I Wanna Love You"

Jede Woche mindestens eine neue Veröffentlichung - so arbeitet Akon. Daher ist es wahrscheinlich, daß er sich nur im Liedgut mit der Lust beschäftigt. Eben ein Maulheld, findet Manfred Prescher.    26.02.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett – und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Irgendwo habe ich das mal gelesen: Angeblich denken Männer im Durchschnitt alle acht Minuten an Sex. Oder waren es gar alle acht Sekunden? Auf jeden Fall dreht sich der Brummkreisel im Hirn weitaus öfter um die schönste Hauptsache der Welt als um Fußball, Autos, den Job oder was sonst so als "typisch" maskulines Thema gilt. Rapper machen da garantiert keine Ausnahme, im Gegenteil. Seit auf den Grundmauern der Schaffenstürme von James Brown, den Last Poets, Gil Scott-Heron und Funkadelic/Parliament das HipHop-Gebäude errichtet wurde, geht es im Wesentlichen um das verbale Ausleben von Fleischeslust. Gut, ich unterschlage an dieser Stelle mal Gewaltphantasien von NWA oder Tupac, politische Statements von Public Enemy oder KRS-1 und die allgegenwärtigen Angeber-Verse. Wobei die schon wieder nahe an den schlüpfrig-feuchten Omnipotenzphrasen sind, weil es eine Pop-immanente Nähe von Girls und Cars gibt. Und dann sind natürlich Goldkettchen und Diamonds des Rappers "best friends".

Mindestens seit der Erfindung der Schallplatte gehören sexuelle Phantasien zum Sujet der Musik, wovon nicht nur der Begriff "Rock´n´Roll" als durchaus pfiffige Umschreibung des alten "Rein-Raus-Spiels" steht. Aber genau das ist der Unterschied zu dem, was in unseren heutigen, zumindest nach außen hin freizügigen Zeiten stattfindet: Früher mußten Texter an den unterschiedlichen Zensurinstanzen und der in der Regel meterdicken Tabuschicht vorbei schreiben. Das öffnete auf jeden Fall den Raum für ausschweifende Gedanken und gedankliche Ausschweifungen. Gekonnte Interpretationen sind meist heißer als das beinahe schon nüchterne Aussprechen von körperlichen Attributen und Stellungen, wie es heute üblich ist. Die etwas mehr als vier Minuten, die "I Wanna Love You" dauert, lassen sich probemlos sinnvoller - etwa, indem man selber an Sex denkt - verbringen.

 

Eigentlich dachte ich, daß nach Eminems "Shake That" endgültig alles zum Thema mit den Mitteln des obszönen Sprechgesangs ausgedrückt wurde. In diesem Hit kam so ziemlich jede mögliche Zote vor, er war ein verbaler und musikalischer Swinger-Club - und nur beim oberflächlichen Hinhören stumpf und stupide wie liebloses Gerammel. Eminems Lyrics spielen mit den nackten Tatsachen des HipHop, pressen sie in Zeilen, die einiges klar aufzeigen: Der Mann weiß erstens, wie das Busineß funktioniert, nutzt daher zweitens die tradierten Methoden zu einem satirischen Rundumschlag und brilliert drittens auch noch in den Niederungen der wirtschaftlich verwertbaren Triebhaftigkeit mit Zeilen, die intelligent und lustig genug sind, um kilometerweit über den trivialen Anhäufungen von Titties und Pussies zu stehen. Das kann man natürlich immer noch als sexistisch und frauenfeindlich ansehen; im feministisch völlig unkorrekten Rap-Kontext ist "Shake That" jedoch der Text, der die Schweinigeleien auf einen Punkt bringt, von dem es eigentlich keine Rückkehr mehr geben sollte.

Akon und seine Fans scheinen das allerdings nicht begriffen zu haben. Der im Senegal geborene Superstar widmet sich, mit reichlich Erfolg, erneut diesem Thema. Ihm scheint auch nicht viel übrigzubleiben. Innerhalb der letzten zwölf Monate veröffentlichte er ein Dutzend Maxi-CDs unter seinem Namen und nahm als Gaststar an einer unüberschaubaren Menge an Produktionen teil, die er mit seiner Platin-Präsenz veredelte. Schätzungsweise knapp 30 solcher Songs wurden auf den Markt geworfen und verstopfen seither große Bereiche der amerikanischen Charts. Von Kreativität braucht man da natürlich nicht mehr zu reden - es ist schließlich nicht alles Gold, was von der RIAA mit dem üblichen Edelmetall ausgezeichnet wird. Auch thematisch bleibt da nicht viel, irgendwann geht der erfolgversprechende Stoff aus, und als durchschnittlich begabter Autor landet man dann zwangsläufig bei den bewährten Themen. Das läßt sich in der gebotenen Eile der rasch aufeinanderfolgenden Produktionen am einfachsten bewerkstelligen. Zumal Akon wahrscheinlich auch mindestens alle acht Minuten an Sex denkt - warum also nicht das Angenehme mit dem Gewinnbringenden verbinden?

Der Erfolg seines, gemeinsam mit dem sich auch häufig als Schweinerüde outenden Snoop Dogg hingeschluderten, altbackenen Synthie-Lustspiels gibt ihm recht. Zeilen wie "and I´ma get me a shot ´fo the end of the night/Cuz pussy is pussy and baby you´re the pussy for life" oder "if you pick me then I´ma pick on you d-o-double g/And I´m here to put his dick on you" sind von einer geistarmen Eindeutigkeit, die selbst von schlüpfrigem deutschen Faschingsliedgut wie "Im Garten sind die Pflaumen reif/ Die Bäume hängen voll und steif" nicht überboten wird. Der Bodensatz, auf den das eine wie das andere Liedgut fällt, wächst und gedeiht, dürfte ziemlich ähnlich sein. Dummheit ist schließlich ein weltweit wucherndes Unkraut.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Akon - Konvicted


Universal Music (USA 2006)

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