Knorkator - Das nächste Album aller Zeiten
Warner (D 2007)
Dieses Lied ist für Menschen gedacht, die schon immer gewußt haben, wie das alles enden wird - und ein perfekt kalkulierter innerrockmusikalischer Crossover-Hit. Findet Manfred Prescher. 12.03.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett – und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Knorkator sind so ein Mittelding zwischen Die Ärzte und Lordi, also zwischen Lärm, Zotigkeit und unbeirrbarem Mut zur Häßlichkeit. Die Parallelen mit den finnischen Grand-Prix-Heroen sind optisch belegbar; daß die Berliner auch zum Eurovisions-Contest wollten, es aber nicht schafften, ist eine eher tragische Geschichte. Damals war die Zeit noch nicht reif für Riffs and Roll und ihr "Ich wer zun Schwein" nicht gut genug oder zu gut für den verstaubten Wettbewerb. Die Nähe zu den Fun-Punk-Doktoren offenbart sich schon in der Tatsache, daß die Krawallschachteln Anfang der 90er Jahre vom Ärzte-Gitarristen und -Bassisten Rodrigo Gonzales entdeckt wurden. Auch Albumtitel wie "The Schlechtest Of", deren LP-Version auf dem Gonzales-Label Rodrec erschien, oder "Hasenchartbreaker" lassen darauf schließen, welch Gemütes Kinder Alf Ator und seine Kumpanen sind. Daß man sich "Die meiste Band der Welt" nennt, paßt gut, zumal der Titel "beste Band der Welt" schon vergeben ist.
Als schlechteste und debilste Mucker innerhalb ihrer Zunft wurden Knorkator von der Kritik verschrien - oder einfach ignoriert. Dabei ist die Band sowohl handwerklich als auch kompositorisch mehr als ordentlich und spielt in der Hardrock-Bundesliga eine gediegene Rolle. Das zeigt auch ein Lied, das vor einem Jahr als Single erschienen ist und durch das eben veröffentlichte neue Langspielwerk "Das nächste Album aller Zeiten" vielleicht tatsächlich zu dem Erfolg wird, den es eigentlich verdient.
"Wir werden (alle sterben)" ist ein Crossover-Monster innerhalb eines Genres. Das geht nicht? Doch, es geht! Gerade die Hard- und Heavy-Abteilung ist nämlich in so viele Untersektionen aufgegliedert, daß man beim Versuch, saubere Grenzlinien zu ziehen, irre werden würde - oder taub, denn die Differenzen müßten aural erlitten werden. Knorkator haben etwas kombiniert, das schon deshalb zusammengehört, weil die Schnittmenge der jeweiligen Fan-Kreise ziemlich groß ist: Nach dem seltsamen Intro brettert es mit Rammstein-Wucht kolossal los, links, zwei, drei. Im weiteren Verlauf erinnert das Stück dann an den Mittelalter-Style von In Extremo oder Subway To Sally. Man glaubt, diese Melodie schon mal gehört zu haben, vielleicht in einer "Ivanhoe"-Verfilmung oder einem anderen düsteren Historienepos. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Kinderstimme, die zart, aber bestimmt "Wir werden alle sterben" singt. Die Nichte des Knorkator-Drummers verleiht dem Song diese reine und glockenhelle Note. Der dazugehörige Text steht natürlich im düsteren Kontrast dazu, ist ungeheuer defätistisch und von derart endgültiger Wahrhaftigkeit, daß sich alle Schwarzseher daran ergötzen können. Solch notorisch veranlagte Pessimisten und Untergangspropheten soll es nicht nur im Reich von In Extremo und Rammstein en masse geben.
Denn es stimmt natürlich: Wir werden alle sterben. Pfarrer Sommerauer und seine Gutmenschen-Gang versuchten und versuchen tapfer, uns zu erklären, daß der Tod irgendwie zum Leben gehört und folglich auch nichts Schlimmes darstellt. Wir wollen das aber nicht glauben, weil wir es uns vor unserem Fernsehapparat ganz wohlfeil eingerichtet haben. Also verdrängen wir es lieber oder liebäugeln - je nach persönlicher Gesinnung - verzückt mit der Morbidität. Für solche Menschen haben Knorkator dieses Lied gemacht: "Die Party ist zu ende/Bald sind alle tot." Vielleicht schon heute Abend, vielleicht in einem Jahr. Oder jetzt.
Gerade eben kehre ich wieder an den Computer zurück, eine Bombendrohung hat das halbe Viertel in Windeseile aus den Büros getrieben. Natürlich wurde nichts gefunden, das ist ja in den meisten Fällen so. Ein echter Attentäter von fiesem Schrot und Korn würde mit der Detonation doch warten, bis die Einsatzkräfte alle direkt in der Nähe der Sprengsatzes oder eben wieder beruhigt auf dem Weg in ihre Dienststellen sind - und sich alle in Sicherheit wiegen. Die ist sowieso trügerisch, wie Knorkator versichern, denn "wir werden alle sterben/haltet euch bereit/Die Zeichen sind eindeutig/bald ist es soweit!/Da gibt es kein Entrinnen/Da kommt nichts mehr ins Lot/Die Türen sind verschlossen/die Ampel steht auf Rot."
Immerhin ist dieser Veitstanz in den Untergang so angelegt, daß man spielend leicht mitsingen kann. Genau richtig also für alle, die die finale Reise über den Regenbogen mit einem munteren Lied auf den Lippen antreten wollen. Wann immer auch das Signal zur Abfahrt ins Jenseits oder sonst wo hin ertönt - "Vielleicht beim Zähneputzen/Vielleicht beim Abendbrot".
Wenn sich Mutlosigkeit und Verzweiflung zur endgültigen Resignation verdichten, dann ist wirklich alles vorbei. Immerhin hat der dann siegreiche Defätismus eine Hymne - und die klingt auch in der Ewigkeit noch richtig gut.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Knorkator - Das nächste Album aller Zeiten
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.
Kommentare_