Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 29

The Futureheads: "Skip To The End"

England sollte sich in La-La-Land umbenennen. Dort stehen nämlich fast alle der jungen Bands auf kindlichen Singsang. Manfred Prescher läßt sich von den Futureheads verjüngen.    22.05.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Rechtzeitig zu den weltweiten Feierlichkeiten anläßlich des 150. Geburtstages von Siggi Freud entdecken nahezu alle angesagten britischen Pop-Bands den Reiz der frühkindlichen Phase wieder. Und weil jeder von uns seine ersten musikalischen Erfahrungen mit "La La La" und "Na Na Na" gemacht hat, erinnert sich irgendein Teil in uns an die Prägung aus allerfrühester Zeit. Wir sind dann offen wie Scheunentore für die einfachste Echolalie. Und das ist die, die von einer simplen Ohrwurmmelodie transportiert wird. Da gibt´s dann auch nix zu deuten, keine Idiosynkrasien versperren den Weg ins Laufgitter der infantilen Seele. Übersetzungsfehler sind ausgeschlossen, denn "La La" versteht jeder - diese Ur-Laut-Worte sind Teil des kollektiven wie des individuellen Es.

Natürlich kann der Verstand des Erwachsenen - oder meinetwegen auch irgendein streng-verschwurbeltes Über-Ich - sagen, daß die La-La-Lieder dämlich sind und daher um Himmelswillen nicht gehört werden sollen. Für die Mehrzahl dieser Songs reichen die internen Instanzen aus, damit die Dinger einfach nicht wahrgenommen werden.

 

Aber die englischen Popbands vom Jahrgang 2006 spielen bewußt mit dem Kindchenschema und packen den Übermut der Windelphase in ebenso krachige wie charmante Songs. So entstehen echte Hits, die oft nicht ewig haltbar sind - aber welcher Popsong ist schon für die Ewigkeit gedacht? Diese etwas anderen Ausläufer des "Simplify your life"-Trends bringen die langweiligste Party auf Trab, helfen beim Haushalt (help me make it through the hoovering) und sorgen selbst im Stau für gute Laune. Man darf endlich mal wieder Kind sein. Daß es immer wieder Hoch-Zeiten des La-Las gab, als beispielsweise T .Rex, Gary Glitter und Ziggy "Wham-bam-thank-you-ma´am" Stardust die Welt regierten oder als die Supremes, die Four Tops oder die Vandellas den "Sound of Young America" repräsentierten - geschenkt. Das belegt nur, daß Infantilität saucool sein kann.

 

Egal, ob Arctic Monkeys, Bloc Party, Kooks - OK, die sind ja auch in echt noch Kinder - oder Franz Ferdinand, ein Fable für "La La" oder "Na Na" haben alle diese Jungs. Eine besonders hohe Zahl an Lautmalereien findet sich auf dem Album der Kaiser Chiefs: Jeder Song von "Employment" hat seinen "La La"-Teil, ein Lied heißt sogar "Na Na Na Na Naa" - und auch die ersten durch das Internet geisternden Tracks des im August erscheinenden Nachfolgers der Hit-CD schlawinert sich mit kindlichen Elementarteilchen ins Gehör.

 

Mein derzeitiger Favorit aus dem La-La-Land ist allerdings "Skip To The End". Die neue Single der Futureheads ist der Vorbote für "News And Tributes", das zweite Album der 80er-Jahre-Fans aus Sunderland. Dreist erforschen Barry und Dave Hyde sowie Ross Millard und David "Jaff" Craig die Zukunft von der Vergangenheit aus - und damit ist nicht nur die jeweilige Frühkindheit des Quartetts aus dem Nordosten Englands gemeint. Die ersten bewußt erlebten musikalischen Erfahrungen der Band waren die Songs von Depeche Mode und Human League und dazu ein wenig Post-Punk von Gang Of Four sowie Erwachsenen-Pop von Kate Bush und Tina Turner. Richtig gelesen: Tante Tinas "Simply The Best" ist die Blaupause für "Skip To The End". Wer das Original kennt, freut sich richtig, daß dieser Quälgeist von einem Oldie nicht mehr hinter den Mauern der Formatradio-Burgen herumspukt und von dort immer wieder aus den Archiven gezerrt wird, sondern daß der alte Plunder tatsächlich zu etwas taugt.

In Kombination mit dem kindlichen "La La La" und der hohen Tanzbarkeit haben die Futureheads einen ziemlich eigenwilligen Hit erschaffen. Wer keine Probleme damit hat, die eigenen frühkindlichen Prägungen zuzulassen, wird dem Song verfallen. Wenn der Player dann zum Ende geskipt ist, drückt man automatisch die "Replay"-Taste. Das geht solange, bis die Vernunft siegt oder der nächste Trip auf die La-La-Insel ansteht.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Futureheads - News And Tributes


Warner

(GB 2006)

 

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