Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 31

Lordi: "Hard Rock Hallelujah"

Du meine Güte, wie sehen denn die aus? Europa wird durch ein Faible für Häßlichkeit geeint. Finnische Zombies gewinnen den Grand Prix, und Manfred Prescher freut sich.    06.06.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Sowas hat man beim eigentlich verabscheuungswürdigen "Eurovision Song Contest" noch nicht gesehen: eine Gruppe von fünf Wesen, die ausschauen, als ob selbst die Crew vom Raumschiff Voyager einen großen Bogen um sie herum machen würde. Oder so, als seien sie direkt aus George A. Romeros "Dawn Of The Dead" auf die Athener Showbühne gestolpert. Daß sich Lordi mit ihrer an die legendären US-Schocker von Gwar angelehnten Zombie-Optik zwischen französischer Friseurin, russischem Body-Building-Anfänger und der aus allen europäischen Gegenden stammenden Hopsdohlenschar ziemlich einzigartig ausnahmen, machte entschieden den Reiz der Band aus.

Obwohl Hard Rock und Metal selbst schon eher altmodische Genres sind und die Finnen-Kombo bereits seit 1992 auf den Spuren von Alice Cooper, Kiss und Zodiac Mindwarp wandelt, hatte man das Gefühl, daß sich der Planet, auf dem der Grand Prix stattfindet, doch dreht. Allerdings wurde der Sound von Lordi vom deutschen Tontechniker-Team der Show heruntergedimmt. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn CD-Version und Eurovisions-Auftritt nacheinander gehört werden.

 

Doch der weichgezeichnete Gig von Lordi reichte immer noch aus, um den gewöhnlichen Schlager-Contest-Fan zu schockieren. Schon während der Vorentscheidung in Finnland gab es Stimmen, die den Präsidenten aufforderten, per Dekret eine Folkloregruppe zu schicken. Dennoch gewannen Lordi mit 42,2 Prozent. Auch viele deutsche Liebhaber des traditionellen Euro-Mixes aus regionalen Brauchtümeleien, Volkstanzelementen, Standard-Liedgut und Gehopse regten sich auf: Lordi würden nur auf Effekte setzen - und eben nicht auf Melodie und musikalische Qualität.

Dabei muß man den Finnen eines lassen: Ihr Song war sicher nicht schlechter als andere. Im Gegenteil. Wer wollte, konnte - wie bei vielen anderen Grand-Prix-Liedern auch - eklektizistische Teile entdecken. Gut geklaut ist eben doch halb gewonnen. Bei Lordi ist es nicht nur die Kostümierung, die an alemannische Fasnachtsumzüge oder andere Monster-Rockbands erinnert. Es ist auch das Thema. Religiöse Anspielungen und Verweise gehören zum Genre wie der Pferdefuß zum Teufel und Satanismus-Verdacht zu maskierten Gitarreros. Auch Lordi wurden und werden in dieses Eck gestellt, dabei hat einer ihrer Hits längst belegt, daß an dieser Unterstellung nichts dran ist: "Devil Is A Loser" heißt dieser Song, bei dem ebenfalls mit religiösen Symbolen gespielt wird.

Man sollte meinen, daß sich die Welt – wenigstens außerhalb der Schlagerseligkeit - längst an die Verknüpfung pseudo-satanischer Verse mit Hard-Rock-Getöse gewöhnt hat. Immerhin schwammen doch Black Sabbath schon zu Beginn der 70er Jahre auf dem Textfluß zur Unterwelt - und das noch viel deftiger, weil neuer. Für Lordi gehören diese typischen Rockismen längst zum alltäglichen Rüstzeug.

 

Dazu paßt, daß die Band um Sänger Tomi "Lordi" Putaansuu auch bei der Komposition auf Bewährtes setzt. Am auffälligsten ist das in der von Keyboarderin Leena "Awa" Peisa gesungenen Melodielinie. Die ist beinahe Ton für Ton aus Alice Coopers Späthit "Poison" entnommen. Zusätzlich zur Grundmelodie in beiden Liedern wird die weibliche Tonfolge auch exakt an der gleichen Stelle des Refrains eingesetzt. Der gewöhnliche Grand-Prix-Zuschauer kennt jedoch wahrscheinlich nicht mal diesen Charts-Hit, geschweige denn Zodiac Mindwarps "President Of The United States Of Love", von dem Teile der Hauptmelodie stammen könnten.

Woher Lordi ihre Ideen haben, ist aber piepegal. Das Gewöhnliche an dieser Band und ihrem Song relativiert sich leicht am Ungewöhnlichen, das sie an jenem Samstagabend im Mai darstellten: Von Island bis in die Türkei, von den unentdeckten Welten vor dem Ural bis hin zum Land, wo die Skipetaren wohnen - Mißtrauen gegenüber deutschem Country-Pop, englischem Päderasten-HipHop und Unverständnis gegenüber den unterschiedlichen Ethno-Elementen herrschten europaweit vor. Dazu gab´s die übliche Unterstützung der regionalen Nachbarn, woraufhin nicht nur Ralph Siegel sich nach der UdSSR und Tito-Jugoslawien zurückgesehnt haben dürfte. Aber dann kamen fünf häßliche, bei Rockfans längst bekannte Finnen, denen das Menschliche erst anzusehen war, als bei Preisverleihung und anschließender Wiederholung des Drei-Minuten-Auftritts die Schminke verlief und unter den Fratzen allmählich Gesichter zum Vorschein kamen.

Plötzlich war Europa für einen Moment eins, hatte sich auf den häßlichsten gemeinsamen Nenner verständigt. Das war sooo schön, daß ich mich richtig freute und nicht mal davon abbringen ließ, als gemunkelt wurde, daß sich die europäische Rockgemeinde in einer konzertierten Aktion die Finger wund gewählt haben soll ...


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Manfred Prescher

Lordi - The Arockalypse


Sony BMG

(Finnland 2006)

 

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