Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 32

Towers of London: "Air Guitar"

Der alte Standspiegel kommt wieder zum Einsatz - und dank dieser Band die Ära der Luftgitarre zurück. Manfred Prescher drischt seine Powerchords in nicht vorhandene Saiten.    12.06.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Eine Geschichte wird immer wieder kolportiert, wenn es um die Towers Of London geht - also will ich auch nicht hinten anstehen und sie erzählen. Selbst, wenn an der Story rein gar nichts dran sein sollte, würde sie immer noch sehr gut zur Aura der jungen britischen Retro-Kombo passen. Also wohlan: Die Band um Sänger Donny Dorette sollte 2005 bei "Rock am Ring" auftreten und stand plötzlich vor einem riesigen Problem. Man wollte nicht ohne das Gruppen-Outfit - also mit Wischmop-Frisur - auf die Bühne, hatte aber, so wird berichtet, kein Haarspray im Tornister. Der nächste Drogeriemarkt ist Lichtjahre vom Nürburgring weg, denn dort genügt normalerweise der kräftige Schweiß der Rennfahrer und der Duft von Hochoktanigem als Parfüm. Doch die Towers wußten sich zu helfen: Sie schlichen sich in den Backstage-Room von Mötley Crüe und klauten deren Vorrat an Haarspraydosen. Ob die Hardrock-Poser letztlich ohne hochtoupierte Haarpracht auftraten, ist genauso ungewiß wie der Wahrheitsgehalt der Angelegenheit. Auf jeden Fall zeigt schon der Bedarf an Haarfestigungsmitteln, daß die Towers of London ein ebenso schillerndes Gruppen-Kunstwerk sind wie Mötley Crüe. Der Unterschied: Die Briten sind viel lustiger.

 

Natürlich werden die Türme wieder als neue Beatles gehypet, was - ebenso natürlich - Quatsch ist. Die Band ist schließlich komplett in den 70ern verwurzelt. Nur der Name "Towers Of London" stammt knapp nicht aus diesem Jahrzehnt, sondern geht zurück auf das Jahr 1980: Da erschien die CD "Black Sea" der Post-Punk-Intelligenzler von XTC. Und darauf befand sich das Stück "Towers Of London". Darin heißt es: "Towers of London when they had built you/Did you watch over the men who fell/Towers of London when they had built you/Victoria´s gem found in somebody´s hell". Und so weiter und so fort. Manch einer mag die 70er für ein Höllenzeitalter halten, doch dieses Jahrzehnt stand für Blaxpoitation-Filme und Spät-Western, für Funk und Punk - und natürlich für die Luftgitarre. Die Erfindung dieses eigenwilligen Instruments führte dazu, daß Millionen pickeliger Jungmänner auf den Spuren von Black Sabbath, Deep Purple, Rainbow oder Led Zep wandelten. Ihre Karriere begann und endete meist vor dem Spiegel und mit den härteren Songs von The Sweet, Alice Cooper oder - wenn der Luftgitarrist mit dem Androgynen flirtete - mit T. Rex oder Ziggy Stardust. Diese Einflüsse sind auch auf der Towers-CD "Blood Sweat & Towers" zu hören; besonders konzentriert in der verspäteten Hymne an die Mirror-Poser, also in "Air Guitar".

 

Hardrock und Glam-Rock sind Stützpfeiler des Towers-Sounds, aber es sind nicht die einzigen. Diese Spätgeborenen, denen so überhaupt nichts Mod-Artiges anhaftet und die schon optisch nichts mit Franz Ferdinand oder den Kaiser Chiefs zu tun haben, filtern die besten Elemente aus der Jugend all derer, die in den Seventies jung und cool waren. Keine Verweise auf die Kinks; hier schaut das CD-Cover nach Ramones-LP aus, das Band-Outfit ist so nahe an den New York Dolls, daß es Mr. Poindexter Tränen in die Augen treiben müßte, und der Sound trägt den US-Punk genauso in sich wie britische Wildheit im Stil von Sex Pistols oder Adverts. Dazu der Pop-Appeal von Sweet - fertig ist ein musikalisches Gebräu, das irre viel Spaß macht.

Revolutionär ist das Ganze nicht, damit werden auch keine Umstürze verkündet. Als politische Plattform taugt "Blood Sweat & Towers" ebenfalls nicht, denn wenn auf MTV das Glitzer-Video zu "Air Guitar" läuft, wird garantiert jede Nachrichtensendung verpaßt.

 

Möglicherweise gelingt es den Towers mit dieser musikalisch rückwärts gerichteten Nabelschau sogar, die Luftgitarre in die Clubs zu bringen. Ich stelle mir einen verspiegelten Saal vor, in dessen Mitte einige hundert Jungs stehen und zu "Fuck It Up", "Beaujolais" oder "I´m A Rat" auf ihre imaginären Streitäxte eindreschen. Außen warten die Mädels - und die suchen sich ihren Guitar-Hero aus oder tun das, was sie besser können als die Jungs: sie tanzen zu diesen Punk-Bastarden. Was natürlich auch im Jahr 2006 viel cooler ist als Verrenkungen an der "Air Guitar" und garantiert auch sexier aussieht. Die Musik ist purer britischer Rock´n´Roll, kräftig genug, um damit Klackerkugeln in Dauerschwung zu versetzen, süß genug für alle hübschen Girls der Welt und krachig genug, damit Jungs posen können.

Und wenn sie mit ihrer Luftgitarren-Show die Mädels abgeschreckt haben sollten, bleiben zum Trost die berühmten Zeilen von Kraftwerk: "Even the greatest stars change themselves in the looking glass."


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Towers of London - Blood, Sweat & Towers


Edel (GB 2006)

 

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