Nelly Furtado - Loose
Universal (USA 2006)
Nelly Furtado war die perfekte Mischung aus Nabokovs Lolita, Beck und Tanita Tikaram. Nun entdeckt sie HipHop-Beat und Laszivgehopse. Da wird auch Manfred Prescher ganz übel. 19.06.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
"Oh here she comes/She´s a maneater" hieß es vor Jahr und Tag bei Hall & Oates. Die Perspektive war klar: Es ging um eine Frau, der alle Männer willenlos ausgeliefert waren. Spinnengleich soll sie die Typen mit Haut und Haar verschlungen haben.
Ein paar hat sie aber für Nelly Furtado übergelassen. Die Kanadierin hat die Perspektive gewechselt und setzt sich selbst als Männerfresserin in Szene. "And when she walks she walks with passion" singt die Kanadierin zwar in der dritten Person - im Video ist allerdings eindeutig zu sehen, wen sie meint: Ihre Bewegungen sind noch ein wenig unsicher; schließlich hat sie erst vor kurzem den Weg von der Zuckerpuppe aller ökologisch Korrekten in die Keller der Begierde beschritten. So stöckelt sie einen langen, fahl beleuchteten Flur entlang, an dem links und rechts Menschen Spalier stehen. Die meisten sind natürlich Männer, und alle wollen sie scheinbar nur eines: sie. Nelly hat die Qual der Wahl und teilt dem Zuseher in einem Anflug von Allmachtsphantasie mit, daß sie beim bevorstehenden Gangbang alle vögeln wird. Daß das Ganze nicht lasziv oder sinnlich wirkt, hat schon damit was zu tun, daß diese Art der Massenbefriedigung genauso kalt und unmenschlich ist wie der karge Keller, in dem sich die Furtado-Show abspielen soll.
Vielleicht hätte ihr irgendein Manager mitteilen sollen, daß weniger meist prickelnder wirkt? Mit Sex hat "Maneater" jedenfalls noch weniger zu tun als Dita von Teeses Pin-ups im Bettie-Page-Style. Und auch Gwen Stefani kann das schlüpfrig-feuchte Gehopse deutlich besser.
Was Nelly Furtado dazu bewegt hat, sich typischen HipHop-Sexismen zu nähern und dazu auch gleich den Pimp-my-Ride-Sound - bzw. hier Ride-my-Pimp - zu verwenden, kann nur vermutet werden. Sie behauptet, daß es die Freundschaft zu Rapper und Produzenten-Ikone Timbaland war, die sie das Neuland jenseits des Abgrunds betreten ließ. Möglicherweise ist aber auch die allmählich versandende Karriere daran schuld, daß die Kanadierin ihre luftige Folk-Pop-Phase wenigstens vorübergehend hinter sich läßt.
Ihr Debüt "Whoa! Nelly" war 2002 ein absoluter Überraschungs-Hit: charmant, Girlie-mäßig süß, unschuldig, romantisch, altmodisch und doch auch modern. Das lag am Produzenten-Duo Elizondo/Haenel, das auch schon mit Snoop Dogg und Eminem zu tun hatte. Ein wenig HipHop gehörte also schon vor vier Jahren zum Sound von Nelly Furtado; sie war die hübsche Blaupause von Beck.
Auch wenn der naive Lolita-Flair beim Nachfolger "Folklore" verflogen war und die CD weniger oft über die Ladentische ging - auf dem Folk-Fundament ließ sich aufbauen, und ein echter Baß-Bums schadete überhaupt nicht. Ob der musikalische Rudel-Bums gut für Nelly Furtado ist, sei dahingestellt. Erfolg haben die Singles "Maneater" und - genauso muß die zweite Auskoppelung vom dritten Furtado-Album "Loose" heißen - "Promiscuous" auf jeden Fall.
Das beweist natürlich wieder, daß die Masse Mensch nicht nur Geiz, sondern auch Einfachheit geil findet und überdies auf Wiederholungen steht. Denn selbst wenn sie noch nie etwas von Tim "Timbaland" Mosley gehört hat, so kennt sie den typischen HipHop-Beat des ehemaligen "Da Bassment"-Masterminds ziemlich genau. Der Produzent aus Nordfolk/Virginia arbeitete nicht nur für Jay-Z, Lil´ Kim, Destinys Child, Janet Jackson oder Nas, sein Einfluß ist auch in vielen anderen Songs der letzten zehn Jahre zu hören. Ob R. Kelly, Mary J. Blige oder auch Mariah Carey - wer nur ein wenig genauer hinhört, erkennt den Beat. Und wer oft genug hinhört, ist "von dem Beat schon wieder" genervt - es sei denn, er wartet in irgendeinem Keller auf seinen Einsatz. Damit sich niemand mit dem Vorspiel aufhalten muß, wird die Schlagzahl vorgegeben. Mühelos ließe sich dieser Rhythmus die Nacht über durchhalten. Oder wenigstens so lange, bis Nelly Furtado ihren Appetit gestillt hat.
Daß sie den Mund ein wenig zu voll nimmt, wenn sie singt "she said she love you, love you long time", das sei ihr verziehen, denn das machen im Timbaland viele, das gehört dort zum guten Ton. Da genügt ein Blick auf Eminems satirischen Spät-Hit "Shake That", wenn es denn überhaupt einen Beleg für diese Behauptung bräuchte. Eine Frau darf natürlich genauso auf den Putz hauen wie ihre männlichen Kollegen, aber im Gegensatz zu Eminem zögert Nelly Furtado. Und die Unsicherheit ist nicht nur ihrem Gang anzumerken: "When she talks, she talks like she can handle it". Genau. Aber ob sie es bringen würde, fragt sich. Erzählen kann man schließlich viel, vor allem, wenn der Beat zum Sprechgesang animiert. Unterstreichen kann ich auf jeden Fall den letzten Satz des Refrains "Wish you never ever met her at all". Es reicht schon, zu wissen, daß sich der Song auf den Radio-Playlists im Bereich "Dauerberieselung zur Prime-Time" befindet und die Videokanäle an der Porno-Andeutung nicht vorbeikommen. Aber lustigerweise versucht sie im Filmchen zu "Maneater" auch noch für einen Moment, wie Michael Jackson in "Thriller" zu tanzen - und plötzlich weiß man wieder, was man an Jacko hatte ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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