Sportfreunde Stiller - How To Win Zweikampf
Universal
(D 2006)
Sind die anderen WM-Teilnehmer nur Staffage? Für viele Deutsche ist der Titel so gut wie sicher. Sportfreunde Stiller liefern dazu die Hymne - und Manfred Prescher bremst. 26.06.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Wenn diese Kolumne ins Netz gestellt wird, steht schon fest, ob Deutschland bei der Fußball-WM das Viertelfinale und der kollektive Wahnsinn einen weiteren ungeahnten Höhepunkt erreicht haben werden - oder ob mit dem Schwedenspiel die Raserei mit einer Vollbremsung abrupt zu Ende gegangen sein wird.
Jetzt, am Tag vor dem Match gegen die Skandinavier, befindet sich ein Volk im Ausnahmezustand. Kaum ein Auto kommt mehr ohne Standarte aus, aus den Fenstern der Republik flattert es in Schwarz-rot-gold.
Bis vor wenigen Jahren hätte kaum ein Deutscher sich getraut, so massiv Flagge zu zeigen. Die Angst, der Rest der Welt könnte glauben, man feiere wieder einmal einen Reichsparteitag, herrschte vor. Mittlerweile ist man zwischen Flensburg und Garmisch mehrheitlich davon überzeugt, daß die Bewohner der Bundesrepublik genauso stolz auf ihr Land sein dürfen, wie es der Portugiese, der Australier oder Ghanaer ist. Schließlich haben fast alle Nationen Dreck am Stecken, und der deutsche Stecken müsste eigentlich längst schon verrottet sein.
Die Grenze zwischen durchaus gepflegtem Hurra-Patriotismus, der "Wir"-Freude über "unsere" Mannschaft und fiesem, dumpfbackigen Nationalismus ist allerdings fließend. Im Zweifelsfalle verläuft sie am Abgrund entlang. Dort, in den Hoyerswerdas und Schipkaus, dort also, wo die Zahl der Arbeits- und Chancenlosen größer ist als die der "sozialversicherungspflichtig Beschäftigten", schimmert die Nähe zu den Aufmärschen der unrühmlichen Vergangenheiten durch die mit Reichssymbolen bemalte Kopfhaut der Ewiggestrigen. Das WM-Motto "Zu Gast bei Freunden" wird hier rigide ausgelegt und nicht auf Ghanaer, Koreaner, Araber oder Italiener ausgedehnt. Freund ist, was arisch aussieht.
Bei einer Fahrt durch die verwelkten Landschaften im Osten beschleicht mich ein mulmiges Gefühl bei jeder Flagge, die ich sehe. Wir Deutschen haben es wirklich schwer, und irgendwie ist das auch gemein, denn die anderen dürfen sich doch auch über ihre Siege freuen. Die meiste Zeit im Jahr ist man ja ohnehin Europäer und hebt regelmäßig den Blick von Bratwurst oder Pommes rot-weiß hoch und über den Rand des Tellers hinaus - da darf doch auch mal Freude sein, bis daß die Götterfunken fliegen?
Ein Sieg der Schweden nur, und diese Frage müßte vorerst nicht beantwortet werden. Dann wäre auch Schluß mit dem Lied zur deutschen WM-Glückseligkeit: Nicht Goleo, der unförmiger ist als Ronaldo, nicht Herbert "momentan is rüschtisch" Grönemeyer mit dem offiziellen Song "Zeit, daß sich was dreht" oder Obernervensäge Oliver Pocher treffen den Puls der Nation - vielmehr haben dies Sportfreunde Stiller geschafft.
Die Münchner sind eigentlich über jeden Zweifel erhaben und haben es sogar geschafft, Bayern- und Sechzger-Fans in einer Band zu einen. Wer solch tiefe Gräben überwinden kann, freut sich über Ronaldinhos Zauberkunststücke oder Riquelmes Zuckerpässe. Florian Weber, Peter S. Brugger und Rüdiger Linhof sind Fußballfans mit Leib und Seele - und verfügen über eine riesige Portion Spielwitz, was schon der Bandname verdeutlicht. Schließlich benannten sie sich nach dem Fußballtrainer, der Peter und Florian die Kniffe des Rasenspiels beibrachte.
So analysieren sie in "´54, ´74, ´90, 2006" knapp, intelligent und also absolut richtig die bisherigen Weltmeistertitel der deutschen Nationalelf: "Beim ersten Mal war es ein Wunder" - mehr ist zum legendären Sieg im Berner Wankdorf-Stadion nicht zu sagen. Daran, daß die Holländer 1974 die bessere Mannschaft waren, gibt es für den wahren Sportfreund nix zu deuteln, also singt er "beim zweiten Mal war es Glück". Und 1990? "Beim dritten Mal war es der verdiente Lohn."
Ein Titel im aktuellen Wettbewerb wäre nicht nur für die Münchner Popstars eine echte Sensation, sondern auch für die Mehrheit der Deutschen die Auferstehung aus der fußballerischen Bedeutungslosigkeit - und damit ein Wunder von biblischem Ausmaß. Daß die bisherigen Leistungen von Ballack, Lahm & Co. alle Erwartungen übertrafen, liegt nicht nur am kollektiven Pessimismus der Deutschen, sondern eben auch an der überraschend guten Spielweise der Mannschaft. Sie hat die Begeisterung entfacht, natürlich auch bei den Dumpfbacken. Das Lied der Sportfreunde steigert die nationale Feierstimmung noch und jubiliert oft genug aus den mit Fahnen geschmückten Autos, ist also oft zur rechten Zeit an den falschen Orten.
Eigentlich handelt es sich bei bei "´54, ´74, ß 90, 2006" um eine mild ironische Entsprechung zum Party-Kracher "1. Wahl", mit dem es sich bei "Rock im Park" gut kombinieren ließ. Aber der Song vom "Burli"-Album erlangte weniger Aufmerksamkeit als der aktuelle Schunkler. Und genau da liegt das Problem: Der intelligente und charmante Text geht in der Melodie unter. Was im inneren Zirkel der aufgeklärten Stiller-Fans noch witzig wirkt, geht im gesamtgesellschaftlichen Musikantenstadl verloren und wird falsch oder gar nicht verstanden. Der Weg von der "Polonäse Blankenese" zu "´54, ´74, ´90, 2006" ist ein ziemlich kurzer. Leider.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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