The Streets - The Hardest Way To Make An Easy Living
Warner
(GB 2006)
In der Kirche war Manfred Prescher schon ewig und drei Tage nicht mehr. Zur Strafe bombardiert man ihn nun mit einer - in eine unwiderstehliche Melodie verpackte - Verhaltenskritik. 10.07.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Ist dieses Lied vom Heiligen Stuhl zu den ungläubigen Thomasen dieser Welt gesandt worden? Oder wurde es von Papst Benedikt in Auftrag gegeben? Vielleicht, um verlorene Schäfchen zur Herde zurückzuholen - oder um speziell meinereinen daran zu erinnern, daß ich mal Pfarrer werden wollte? Gut, das war, bevor ich den Verlockungen des Fleisches erstmals erlag; und es war auch, bevor ich meine erste Glaubenskrise im Orden der Trinkwütigen Radaubrüder und beseelt durch Weingeist zu überwinden trachtete.
Aber es war immerhin zu einer Zeit, an die ich mich auch heute noch ohne Rückführung in Mutterleibnähe erinnern kann. Der Abstand zur Religion führte dazu, daß ich mittlerweile nur noch den Gardinen predige, die das aber mit beeindruckendem Stoizismus über sich ergehen lassen. Oder den EVOLVER-Lesern.
Die Kirchgänge wurden auf ein Minimum an aus familiären Gründen notwendigen Events reduziert. Gibt´s keine Kommunion, dann bleibt nur die jährliche Christmette bei den Bernhardinern übrig. Die Nachfolger des heiligen Bernhard singen aber auch so schön, daß es ihnen gelingt, mich in die Nähe des aus abendländischer Sicht rechten Wegs zu bugsieren. Ich biege allerdings jedes Mal rechtzeitig wieder auf einen anderen philosophisch-ethischen Pfad ab, was auch daran liegt, daß ich meine Beeinflußbarkeit kenne und mich auf die Mönche und auf ihre bernhardinischen Gesänge gut vorbereiten kann. Das ist das Gute an wiederkehrenden Ritualen: sie lassen sich zeitlich und inhaltlich prima einordnen.
Vielleicht erklärt das die Existenz von "Never Went To Church". Der Song trifft mich unvermittelt - besonders, weil ich vom Birminghamer Club- und Rap-Guru Mike Skinner eigentlich Zeilen wie "I needed to pray or see a priest that day" oder "And for that if God exists I´d reckon he´d pay me regard" nicht erwartet habe. Kein Wunder, der Text stammt auch nicht von ihm. Für die Beschreibung der Sinnsuche und der Suche nach dem Übervater ist El Nino verantwortlich.
Doch es sind ja auch gar nicht die kirchentagkompatiblen Worte, mit dem mich das Lied überfällt - es ist dieses Zuckerbäckerwerk von Komposition. Daß Skinner einfache Melodien schätzt und Songs schreibt, die auch in modernen Gottesdiensten weggeklampft werden könnten, war auch vor "Never Went To Church" schon klar: "Dry Your Eyes", der Nummer-Eins-Mega-Hit aus dem Jahre 2004, zeigte schon, daß die Streets in der Lage sind, den Preis für das peinlichste Miststück zu gewinnen. Die Mischung aus Schlager, Dub-Beats und Eminem-mäßigen Slow-Rap im "Stan"-Stil war lecker wie Buttercremetorte. Aber man konnte sich leicht dran überhören, Übelkeit inklusive.
Mit Skinners aktueller Streets-Single wird es sich ähnlich verhalten: Wer dieser Melodie verfallen ist, ertappt sich dabei, "never went to church" zu summen und in den pseudoreligiösen Singsang zu verfallen. Leichter war der Einstieg in die Rapperei nie. Ist es allerdings soweit, daß einem "Two great European narcotics/Alcohol an Christianity/I Know which one I prefer" und das, was an Gereimtem noch folgt, leicht über die Lippen gehen, hat man sich wahrscheinlich zuerst für Alkohol entschieden oder auf irgendeine andere Art das Gehirn ausgeschaltet. Am einfachsten legt man den Verstand vorübergehend still, indem man einfach die Melodie auf sich wirken läßt.
Der Erfolg des Songs belegt: Er ist Opium fürs Volk - und leider wirklich perfekt auf die musikalischen Bedürfnisse moderner Menschen hingetrimmt. Skinner weiß, was wir hören wollen. Klebrig sei der Hit, verlogen und doch gut. Auf dem aktuellen Album "The Hardest Way To Make An Easy Living" nimmt das schwülstige Glaubensbekenntnis eine Sonderstellung ein, denn die anderen Songs sind musikalisch komplexer, weniger auf die direkte Wirkung hin konzipiert und auch mit Texten ausgestattet, die eher aus dem Leben des Herrn Skinner gegriffen sind. Der ist nämlich längst wegen seines Lebenswandels, wegen Drogen- und Wett-Exzessen sowie der einen oder anderen Übertretung der zehn Gebote ein Lieblingsthema der britischen Klatschpresse geworden.
Daß er sich vom Saulus zum Paulus gewandelt haben könnte, ist wahrscheinlich nur ein 3 Minuten und 33 Sekunden langes Märchen. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, daß der Song eigentlich genau doppelt so lang hätte sein sollen. Aber erstens ergeben 6 Minuten und 66 Sekunden leider 7:06 Minuten, und zweitens wäre die Gefahr gebannt, hätte sich Skinner gleich als Teufelchen geoutet. Da ich aber weiß, was der unheilige Michael für einer ist, verklebt mir zwar sein Song die Gehörgänge, aber in die Kirche gehe ich deshalb auch erst wieder, wenn mönchische Inbrunst die Geburt des Jesukindleins ankündigt.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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(GB 2006)
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