Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 37

Ludwig Hirsch: "Marion"

Mindestens seit der Steinzeit bekannte Kalauer, schräge Bilder, eine einfache Melodie und viel Charme - man muß Ludwig Hirsch einfach lieben. Findet wenigstens Manfred Prescher.    17.07.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

"In Ewigkeit Damen" - so heißt die neue CD von Ludwig Hirsch. Und eines ist klar: Über diesen Titel stolpert man erst einmal. Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob das Wortspiel genial oder blöd ist. Ich habe mich mit mir auf "genial blöd" geeinigt. Für mich wirken die drei Worte so, als würde Hirsch mit der Damenwelt abrechnen, einen Strich unter die persönliche Kosten-/Nutzenaufstellung "Geschlechtsleben.xls" ziehen und die liedgewordene Excel-Tabelle dann an alle seine Fans schicken. Vielleicht habe ja nur ich von dieser Platte etwas Finales erwartet; vielleicht denke nur ich, wenn ich die Kirchenworte lese, daß Hirsch dermaßen verbittert ist, daß er sich auf seine alten Tage ins Kloster oder wenigstens in die dauerhafte Enthaltsamkeit flüchten will. Dabei ist der Weinberger erst sechzig, und da hat bei Johannes Heesters der Spaß erst angefangen.

"In Ewigkeit Damen". Ich gebe es zu, ich habe den Titel falsch verstanden: Hirsch will signalisieren, daß er sein Leben lang Muschi-Liebhaber (siehe Album-Cover) und der Damenwelt zugetan sein wird, egal, welche Schmerzen das Zwischenmenschliche für ihn noch parat haben mag. So ergeben die biederen Beschreibungen der Eigenheiten von Berta, Elisabeth und all der anderen Frauen natürlich auch einen Sinn.

 

Brav sind die Texte. Da ist keine Spur mehr von der Bösartigkeit, mit der Hirsch seine Karriere 1978 startete, da verweist nichts mehr auf "dunkelgraue" Heurigenlieder oder auf Helmut Qualtinger/Gerhard Bronner. Der Ludwig ist milde geworden und musikalisch ohnehin nicht mehr auf der Höhe. Die Mehrzahl der Songs ist ihm auch produktionstechnisch zu billig geraten. Die Ausnahme ist "Marion", das zu Recht ganz oben auf der "Liederladen"-Bestenliste der Feuilletonisten vom Deutschlandfunk rangiert. Dabei ist auch dieser Song nicht außergewöhnlich, aber zu den Innovativen seiner Zunft gehört Ludwig Hirsch spätestens seit "Gell du magst mi" eh nicht mehr. Die Melodie ist nett, ein echter Mitsingschlager - nicht zu schnell, nicht zu langsam. Sie geht einem auch dann noch adäquat über die Stimmbänder, wenn diese schon etwas eingerostet sind. "Marion" ist eine beinahe klassische Komposition, die stark an Tafelmusik aus der Renaissance erinnert, was dem Schelmenstreich einen fast schon feierlich-sakralen Touch verleiht. Das ist durchaus nötig, denn anders instrumentiert würde aus "Marion" leicht eine Faschingsprinzessin für volkstümliche Humtata-Veranstaltungen.

 

Der Text steckt voller Kalauer, die zumindest in der ersten Strophe so einen langen Bart haben, daß sich womöglich nur Menschen jenseits der vierzig an die schlüpfrigen Wortspielereien erinnern. Die dunkle Stimme und der würdevolle Vortrag sorgen dafür, daß der Zuhörer die Sätze fast für bare Münze nimmt, sie eben nicht sofort für Witze hält. Die Mischung aus Gediegenheit und Eulenspiegelei macht es möglich, daß man Zeilen wie "lieber eine Stumme unter mir heut´ nacht/als irgendeine Taube über mir am Dach" oder "lieber fünf vor 12/als gar keine nach 11" freiwillig nachsingt. Die eingangs gestellte Frage "Genial oder blöd?" verlangt besonders bei diesen Hirsch-Worten danach, beantwortet zu werden: "Lieber Hahn im Korb sein/als einer mit Pommes frites serviert". In diesem Fall plädiere ich für "genial" - schließlich muß man auf dieses Zeilenpaar erst einmal kommen. Die Gags sind so naheliegend, daß sie gar nicht mehr wahrgenommen werden. Fast so wie beim Faustschlag aufs Auge: Je näher die Hand kommt, desto weniger Einzelheiten sind zu erkennen.

 

Ein Schuß diabolisch-verschmitzter Frechheit, fast - aber eben nur fast - so wie seinerzeit bei "Das Geburtstagsgeschenk", kommt auch noch dazu. Schließlich würde längst nicht jeder, der auf die Idee mit dem Hähnchen-Vergleich kommt, diesen auch niederschreiben. Geschweige denn singen. Diese fast schon naive Chuzpe macht den Reiz von "Marion" aus. In der zweiten Strophe wird´s dann a bisserl fad, da bekommt der Radetzky einen Tritt in seinen Marsch, da singt uns Hirsch vor, daß er keine Uniform tragen möchte. Weil das halt nun mal besser ist, als Soldat zu sein und "ein Leben lang gestorben". Das konnte Wolferl Ambros schon besser: "Wer früher stirbt, ist länger tot". Diesen Slogan hat der Ambros freilich auch nur aus einer uralten Sponti-Quelle geschöpft. Aber Hirsch verwendet das schöne, zu Unrecht in Vergessenheit geratene Doppelwort "L´amour-Hatscher", das ich vor Ewigkeiten das letzte Mal gehört habe. Ich glaube, Erika Pluhar benutzte diese nette Umschreibung für Tänze, die von Menschen mit Hang zum Deftigen gern auch als "Hosentürl-Reiber" bezeichnet werden.

 

Wer solche Worte ausgräbt und dem kollektiven Bewußtsein zurückgibt, ist sicher kein Dummer - auch wenn ihm einiges danebengeht. Im ersten Refrain von "Marion" heißt es "mit Bildern so herumjongliern/bis sie den Verstand verliern/das macht nur Spaß mit dir/Marion". Das ist natürlich völliger Quatsch. Bilder haben keinen Verstand, egal, ob es sich um Photographien oder Gemälde handelt. Bleibt die Frage, ob Bilderjonglieren Spaß macht. Das ist natürlich Geschmackssache und hängt sicher auch vom akrobatischen Geschick ab.

Im zweiten Refrain singt Hirsch von Wörtern, die er am liebsten mit Marion herumjongliert. Die Metapher ist ihm irgendwie entglitten, aber es ist doch zu ahnen, was er sagen will: Gespräche, Wortgefechte, verbale Auseinandersetzungen sind nur mit dieser Frau schön. Für den Rest tut´s dem stolzen Gigerl auch die Stumme im Bett ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Ludwig Hirsch - In Ewigkeit Damen


Koch Universal

(Ö 2006)

 

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