Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 39

Walter Moers: "Ich hock in meinem Bonker"

Der Erfinder von Käpt´n Blaubär und dem kleinen Arschloch verhalf auch dem Föhrer zu einem Comeback. Manfred Prescher fragt sich, ob Adolf wirklich Reggaesänger werden mußte.    01.08.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

"Adolf, die alte Nazisau" ist wieder da. Bereits zum dritten Mal läßt der Mönchengladbacher Zeichner Walter Moers den Diktator in einem schmalen Buch durch Raum und Zeit gondeln. Dank der riesigen Nase erinnert Gröfaz an das kleine Arschloch, sodaß man sich fragt, was denn nun zuerst da war: das große oder das kleine Arschloch. Im Moerschen Gesamtwerk stellt das frühreife Früchtchen die Blaupause für die Figur des Adolf dar, geschichtlich war natürlich Hitler der Erste.

Mit der Historie nimmt es der Künstler nicht so genau, denn an der Seite des Führers tauchen nicht nur der Duce, Blondi oder Eva Braun, sondern auch Michael Jackson oder Ghandi auf. Auch der Leser sollte sich nicht an die geschichtlichen Fakten halten, denn erstens sind die so fürchterlich, daß einem der Spaß an der "Nazisau" vergällt werden könnte, und zweitens lebt das ganze davon, politisch unkorrekt zu sein. Und Witze mit Hitler als Hauptdarsteller und über das Dritte Reich zu machen, ist auch 61 Jahre nach dem Ende des WK II noch immer die größtmögliche Unkorrektheit, die sich jenseits der arabischen Welt vorstellen läßt.

Unabhängig davon, ob Moers qualitativ mithalten kann - sein "Adolf" steht in direkter Linie mit Chaplins "Der große Diktator" oder Ernst Lubitschs "Sein oder Nichtsein". Die beiden Leinwand-Meisterwerke aus Hollywood entstanden allerdings noch, als Großdeutschland ein tausendjähriges Reich sein wollte. Die Entrüstung über die Filme war damals riesig, und auch Moers muß sich heute noch den Vorwurf des Tabubruchs gefallen laßen. Dabei gab es bereits zahlreiche Musicals, Cartoons und Sketches, die Hitler zum Thema oder zur zentralen Figur machten. Monty Python war der Führer natürlich auch nicht heilig. Warum auch? John Cleese hatte auf die zentrale Frage, was denn Satire dürfe, die ebenso passende, wie knappe Antwort parat: "Alles".

 

Ob es sich bei "Adolf" um Satire handelt, sei dahingestellt. Moers nutzt die Freiheit der Kunst auf jeden Fall, um Hitler in einen witzigen Kontext zu setzen. Holocaust und Endlösung bleiben außen vor, denn darüber scherzt ein deutscher Zeichner nicht. Der Klamauk besonders des dritten Bandes ist nahe am albernen "Sein oder Nichtsein"-Remake von Mel Brooks: Der Komiker unter den Regisseuren ließ den Diktator bereits 1983 auf die Popmusik los.

Brooks Hitler-Rap hat sicher für das Bonusmaterial zu "Adolf. Der Bonker" Pate gestanden: Auf der beigefügten DVD befindet sich ein im typischen Moers-Stil gezeichnetes Video. Dieses führt uns in den Föhrerbonker, justament zu der Zeit, als auch Bruno Ganz in ihm weilte. Wie in "Der Untergang" stellt Adolf auch hier klar, daß er nicht aufgeben werde: "Öch kapituliere nöcht." Aber im Gegensatz zum End-Niederlagen-Epos singt der Föhrer im gemächlich-eingängigen Reggae-Sound von Blausäurekapseln, Stahlbeton und "deeesem Chörchill". In Moers´ Bonker ist es auch nicht gespenstischer als in jeder x-beliebigen Reihenhaussiedlung. Wir sehen Hitler auf dem Klo sitzen, bei der Rasur oder mit Blondi im Schaumbad. Eine Legion aus Quietschentchen in Führergestalt singt im Chor "Aaaaadolf, du alte Nazisau, kapitulier doch endlich." Aber er hat noch seinen treuen Hund und eine Flasche Chantré - und daher antwortet er im Stile jamaikanischer Rastamänner, aber mit rollendem "R" und falsch ausgesprochenen Vokalen "Öch kapituliere nöcht."

 

Das Fiese an diesem drei Minuten langen Musik-Trickfilm ist natürlich die überaus eingängige Melodie. Da ertappt man sich relativ schnell dabei, mitzusingen, im Groove des Riddims mitzuwippen oder "Aaaadolf, du alte Nazisau" zu skandieren. Ist es erstmal so weit, daß das Songkonzept wirkt, dann wirkt das Männchen mit der auberginenförmigen Nase plötzlich sympathisch wie Bob Marley. Doch darf man den Föhrer nett finden? Natürlich nicht, aber die Kreation von Walter Moers hat mit Adolf Hitler so wenig zu tun wie das kleine Arschloch mit Michel aus Lönneberga oder anderen bekannten Lausejungen.

Der Witz der Bücher und des Musikvideos funktioniert freilich nur, weil jeder sofort an Guido Knopp oder an die reale Person denkt und beim Hören, Lesen und Bilderanschauen unweigerlich über die Sollbruchstelle des Tabus stolpert. Wie lange der berühmteste Sohn Braunaus noch als Vorlage für Scherze taugt, hängt auch davon ab, wie sehr das Verbrecherregime und der von ihm entfachte Weltenbrand im kollektiven Gedächtnis haften bleiben. Hoffentlich länger als die von der Biermösl Blosn erwartete Wallfahrtsautobahn von Altötting über Simbach nach Braunau. Erst dann sind Werke wie "Adis Horror Picture Show", "My Big Fat Bonker Wedding" oder "Liebling, ich habe das Land geschrumpft" erst wirklich denkbar.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Walter Moers - Adolf. Der Bonker


Eichborn Verlag

(D 2006)

 

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