New York Dolls - One Day It Will Please Us To Remember Even This
Roadrunner
(USA 2006)
Für Manfred Prescher waren sie längst Vergangenheit, irgendwo zwischen Randnotiz und ewigem Kult. Doch nach Jahrzehnten der Ruhe regt sich wieder was im Tal der Puppen. 07.08.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Zwei kurze Jahre lang waren die New York Dolls die schlechteste und zugleich coolste Band auf dem Planeten. Die Krone reichte das Quintett dann an die aus ihrem direkten Umfeld stammenden Ramones weiter. Die hielten wesentlich länger durch - was an ein Wunder grenzt, aber nicht hierher gehört. Daß die Dolls nur zwei Sommer lang angesagt waren, liegt nicht daran, daß sie ihre Instrumente nicht beherrschten und eher grobschlächtig mit den Melodien umgingen. Andere Bands waren auch nicht besser. Nein, das jähe und frühe Aus der Gruppe lag schon bei ihrer Gründung in der Wiege: gigantischer Drogenkonsum und - damit verbunden - eine ziemliche Wurschtigkeit der eigenen Karriere gegenüber.
Wahrscheinlich förderten diese Grundgegebenheiten aber nicht nur die rasche Zersetzung, sondern trugen auch dazu bei, daß die Band zum ewigen Kult wurde. Schon vor der Veröffentlichung der ersten LP "New York Dolls" starb Drummer Billy Murcia an einer Krankheit namens Überdosis und wurde durch Jerry Nolan ersetzt. Die Platte floppte, und der musizierende Dilettanten-Zweckverband entfernte sich ziemlich rasch vom Ziel, als steinreiche Rockstars bald ausgesorgt zu haben. Das zweite Album "Too Much Too Soon", war - dem Titel durchaus entsprechend - ein deprimierender Abgesang, mit einer famosen Coverversion des Philly-Soulsongs "(There´s Gonna Be A) Showdown" als bitterem Schlußfanal. Zu diesem Zeitpunkt wußten die Dolls längst, daß ihre Plattenfirma sie demnächst fallen lassen würde.
Was danach kam, liest sich selbst auf wenige Zeilen reduziert wie eine Tragödie antiken Ausmaßes: Die Band suchte einen neuen Manager und fand ihn in Malcolm McLaren. Bei den notorisch unpünktlichen, unmotivierten und stets hackedichten New York Dolls versagte der Brite allerdings. McLaren nutzte den Job wohl, um zu kapieren, wie Marketing funktioniert: Nach seiner Rückkehr auf die Insel der Rechtslenker inszenierte er den Wirbel um die Sex Pistols. Den Dolls nützte das nichts. Sie bekamen keinen lukrativen Vertrag mehr und zerstritten sich. Nolan und Thunders warfen das Handtuch, und dann löste sich die Gruppe endgültig auf. Zu Beginn der 90er Jahre starb Thunders an seinen Rauschgiftexzessen; kurz darauf folgte Nolan, der einen sicher drogenbedingten Schlaganfall nicht überlebte. Bassist Arthur "Killer" Kane ging 2004 an Leukämie zugrunde. Da hatte sich das Hinterbliebenen-Trio gerade, von Morrissey angefeuert, zu Comeback-Auftritten hinreißen lassen. Als dann nur noch Frontmann David Johansen und der geniale Querkopf Sylvain Sylvain übrig waren, ging man ins Studio und nahm mit 32 Jahren Abstand zur zweiten die dritte Platte "One Day It Will Please Us To Remember Even This" auf.
Mitte der 70er Jahre, als die Plastikeimer noch Oscar hießen und der Müll in ihrem schrill gefärbten Plastikrund verschwand, waren die New York Dolls die Schnittstelle zwischen dem Glamrock von Sweet, T. Rex oder Bowie und dem Punk von Ramones oder Suicide. Ihren Trash verpackten sie in bonbonrosafarbene Plaste-Anzüge oder Leoparden-Outfits. Doch aus ihrer besten Zeit als musikalische Oscar-Mülltonnen sind nur noch der Gitarren-Sound und das rosa CD-Cover übriggeblieben.
Die Alben Numero zwei und drei bilden eine Klammer um drei Jahrzehnte des Scheiterns: Sylvain hat bewiesen, daß der Mißerfolg der Dolls noch gesteigert werden kann. Seine wenigen Solowerke dürften jeweils weniger als 1000 Mal über die Ladentische gegangen sein, trotz Klasse-Songs wie "Deeper And Deeper" oder "Every Boy And Every Girl". Einzig Johansen erlangte Semi-Starruhm: Unter dem Pseudonym Buster Poindexter gab er eine Zeit lang den schwulen Oberkellner, der zu Billig-Swing säuselt, während er die Linguini serviert.
Richtig reich geworden ist auch er nicht - und so ist es kein Wunder, daß ein Titel des neuen Albums "I Ain´t Got Nothin´ " heißt. Man kann von dem Song - wie von der ganzen CD - halten, was man will. Man kann sogar der Meinung sein, daß der durch Studiomucker und den Hanoi-Rocks-Bassisten Sam Yaffa ergänzten Band ohne Thunders die Seele fehlt, aber eines kann man nicht: den Dolls vorwerfen, daß sie noch ein Stück vom ehemaligen Erfolgskuchen aufbacken wollen. Von dessen Krümeln wurden sie nämlich schon anno 1973 nicht satt.
In "I Ain´t Got Nothin´" steckt denn auch das ganze Drama des Immerschrägdanebenliegens der New York Dolls. Johansen singt mit einer brüchig-tiefen Stimme, die jedes Unglücksjahr seit der Band-Gründung zu enthalten scheint. Wie bei den Ringen von Bäumen ist hier der Alters- und Verwitterungszustand deutlich zu erkennen. Das Ganze klingt dann irgendwie nach spätem Dylan, was auch am vergleichsweise gemächlichen Midtempo des Songs liegt. Enthusiasmus kommt nicht auf; jede Zeile Johansens nimmt mit einem Ausdruck ironisch-cooler Bitterkeit die erneute Niederlage vorweg. Daß auf dem Album auch Wegbegleiter Iggy "Strohmann" Pop herumturnt, ist nett, ändert aber auch nichts an dem, was kommen muß: Selbst im gestandenen Mannesalter werden Sylvain und Johansen nicht mehr zu Pop-Millionären. Nichts plus Nichts hat eben nichts mit Gewinnmaximierung zu tun.
Ihren Platz als Underground-Idole werden sie aber behalten, da das dritte Werk auch nicht wirklich schlechter als seine betagten Vorgänger ist. Als Song-Schreiber sind die Rest-Puppen immer noch eine Klasse für sich, was eben auch "I Ain´t Got Nothin´" belegt, ansonsten haben sie nichts verlernt. Was in ihrem speziellen Fall heißt, daß sie nichts dazugelernt haben. Bleibt zu hoffen, daß das Spritzbesteck dieses Mal im Allibert bleibt und sich keiner mehr mit einem Nadelstich auf den Trip über den Regenbogen macht.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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