Cascada - Everytime We Touch
Zooland/Nova Media (D 2006)
Für jeden Müll gibt es eine eigene Entsorgungseinheit - nur nicht für den Abfall, mit dem DJ Manian und Yanou die Welt überschwemmen. Und sowas stinkt Manfred Prescher. 16.08.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Am deutschen Wesen soll die Pop-Welt genesen? Wahrscheinlich ist es eher so, daß schon ein bundesrepublikanisches Wohnzimmer, ein iBook, etwas Klimper-Software und ein globaler Vertriebsweg genügen, um das durch Toby Keith oder Rihanna ohnehin schon geschmacklich daniederliegende Mutterland des Rock´n´Roll pilzgleich mit billiger Humpta-Humpta-Mucke zu überziehen, die die niedrigsten Instinkte anspricht. Freilich nicht nur beim Ami - auch der ansonsten für Lichtblicke wie Kaiser Chiefs, Franz Ferdinand oder Morrissey verantwortliche Brite liebt dieses Lied ...
Gut, auf der Insel feierten vor kurzem auch Muttis Tony-Christie-Schnulzen ein zuckersüß-klebriges Comeback. Aber daß Cascada mit "Everytime We Touch" in den UK-Charts dieser Woche raketengleich von Platz 41 auf 4 schoß, ist ein Wunder der übelsten Sorte und mithin eigentlich ein Fall für die Geschmacksschutzabteilung bei Scotland Yard - oder für das Ministerium gegen die Verbreitung des Analphabetentums. Welcher des Englischen zumindest ansatzweise mächtige Inselbewohner kann sich denn Zeilen wie "your arms are my castle" oder "and everytime we kiss I swear I could fly" anhören, ohne an der Welt zu verzweifeln oder das allgemeine Absinken des Sprachniveaus zu beweinen? Anscheinend viel zu viele, wie der Erfolg von Cascada belegt.
Vielleicht ist diese Schleimspur nach oben aber auch ein Ausdruck typisch englischen Humors? Doch warum erreicht das teutonische - ja, was ist es denn eigentlich? - Ding aus dem Supermarkt des Zooland-Labels weltweit immer mehr Menschen? Mehr als 1,9 Millionen Exemplare von "Everytime We Touch" gingen bislang über die Ladentische und an die geistig oder zumindest geschmacklich Armen. Derer ist garantiert nicht das Himmelreich, sondern - wenigstens für ein paar Minuten - die Klanghölle.
Das merkt natürlich kaum jemand von denen, deren Schönheitssinn durch Paris Hilton oder Sarah Connor nachhaltig desensibilisiert wurde. Dabei ist das Cascada-Machwerk samt seinem Synthie-Gedudel derart billiger Nachahmer-Hoppel-Pop, daß selbst die nach unten weit offene 2-Unlimited-Skala nicht ausreicht, das Grauen auszudrücken.
Das Allerschlimmste ist aber, daß Yann "Yanou" Pfeifer und besonders Manuel "DJ Manian" Reuter, die unkreativen Köpfe hinter dieser Ansammlung völlig musikfreier Töne, beinahe stündlich neue Stücke in die Welt hinausjagen. Der Erfolg gibt den beiden ja auch recht. Warum sollten sie nicht nach einem ausgedehnten Frühstück den Rechner hochfahren und ihn Sound-Bruchstücke zu immer neuen Müllkreationen zusammenwürfeln lassen? Das kann das iBook schließlich von ganz alleine, sodaß Reuter und Pfeifer genug Zeit für andere, wichtigere Dinge bleibt - etwa für Müßiggang, ausgiebige Börsenspekulationen oder Techtelmechtel mit ihrem Finanzbuchhalter. Der wird das verdiente Geld direkt in die Firma stecken, die die Grütze vertreibt. In der Heimat von Cascada ist das Noa. Nicht wie der aus der Bibel, den schreibt man mit "h" am Ende. Auf Noahs Arche bekam ein Paar von jedem Getier eine nagelneue Zukunft geschenkt. Bei Noa sind es leider mehr als zwei Lieder, obwohl eines schon zu viel ist. Und: Die Sintflut kommt von innen raus, und die Massen zahlen auch noch für das Leid, das ihnen zugefügt wird.
Die Wurzel des Cascada-Übels liegt natürlich im Weltenlauf begründet. Wo Robbie Williams rappt und Eminem einen auf Goldkehlchen macht, da ist schon vieles aus den Fugen geraten. Von heute auf morgen kam dieses Grauen freilich nicht über uns. Es zeigte sich immer wieder, mal als Santa Esmeralda, mal als Captain Hollywood oder Rednex. Doch mit jeder Reinkarnation wird das musikalische Horrorwesen noch häßlicher, geriert es sich noch ekliger. Und jedes Mal wieder gingen Optimisten davon aus, daß es nicht schlimmer kommen könne und hörten halt zwischendurch Kinks, Clash oder Blur. Doch jedes Mal irrten sie erneut. Wie Dr. Robotnik, der ewige Endgegner in den "Sonic"-Spielen, wird das Böse auf jeder neuen Stufe stärker und mächtiger. Aber so funktioniert nun mal die Welt - und beileibe nicht nur die von blauen Igeln.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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