Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 42

Bela B.: "1. 2. 3. ..."

Bis der Arzt ihm das Ableben bescheinigt, tritt Bela B. nicht auf die Spaßbremse. Wie alle Alten blickt er zurück, wenn auch nicht im Zorn. Das ist rührend, findet Manfred Prescher.    21.08.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Nein, dieser Bela! In seinem Alter immer noch witzig sein wollen. Immerhin geht der Mann auch schon auf die fünfzig zu; Jahrgang 1962 ist er. Da kann er fast noch dem leibhaftigen Moses bei der Teilung des Roten Meeres zugeschaut haben. Zumindest aber war er dabei, als Iggy Pop den Punk erfand und als die Ramones bewiesen, daß auch Scherzkekse mit zwei Akkorden prima auskommen.

Moses ist längst tot, genau wie zahlreiche Punks der allerersten Stunden. Und auch wenn Iggy seinen Drogen- und Muckibuden-gestählten Haudegen-Körper als Zeichen ewiger Jugend verkaufen will - der Zahn der Zeit nagt an ihm genauso. So wie an Bela B. Felsenheimer. Der ist am Ende auch schon tot. Schließlich erzählt ja die von ihm selbst erfundene Sage eine Geschichte, die das ewige Herumgeistern unter uns Lebenden vermuten läßt: Bela Lugosi, der echte Dracula-Darsteller, der vielleicht gar kein Schauspieler war, hat ihm den Vornamen vermacht.

Zuerst hieß Bela B. ja noch Dirk, und sein Hals war so blütenweiß und jungmännlich, daß sich der Biß hinein sicher gelohnt hat. Das ist freilich eine Vermutung, aber es spricht doch einiges dafür: Nicht nur Songs wie "Dein Vampyr", "Der Vampir mit dem Colt" oder "Der Graf" sind verdächtig - man schaue sich einfach mal den ewig jungen und frischen Fun-Punk an, der seit "Westerland" nicht oder kaum gealtert ist. Wie das geht, verraten Bram Stoker oder die "Blade"-Comics.

 

Das gilt auch für seine Musik. Die wirkt heute zwar gestrig, aber das liegt nur daran, daß die Zeit einfach nicht stehenbleiben will. Trends, Moden und Mini-Hypes, echte Innovationen und falsche Hoffnungen - die Popmusik hat sich seit ihrer Erfindung verändert. Nicht unbedingt zum Guten, aber zumindest gibt es sie jetzt in Formaten, die es ermöglichen, alle Ärzte-Songs in der Hosentasche mit sich herumzutragen, ohne daß die Taschen ausbeulen. Aber, um mit Gerhard Polt zu fragen: "Hat´s des braucht?" Vielleicht geht die Musikindustrie gerade daran zugrunde? Oder wird sie etwa davon gerettet?

Bela B. ist das egal. Sein Draht zu den Fans ist der direktestmögliche. Die Ärzte-Gefolgschaft weiß auch ohne Vermarktungsbrimborium, wann und wo es Neues gibt. Auch das spricht dafür, daß Bela B. ein Vampir von des Grafen Gnaden ist, denn auch Dracula ließ sich nicht durch irdische Gesetzmäßigkeiten aufhalten. Einzig Knoblauch, Sonnenlicht, Kreuze und als finaler Schubser ein kerniger Holzpflock - mehr Mittel hat der Mensch nicht gegen ihn. Bei Belas Melodien versagen sie übrigens alle. Höchstens Ohropax könnte da noch helfen, doch diese wachsweichen Dinger müßte man schon dauerhaft einsetzen. Aber das triebe den Hörer erstens in die Isolation und ließe ihn zweitens als Unfallopfer enden, hohe Blutverluste inklusive.

 

Es ist ja auch nicht schlimm, sich auf Bela B. einzulassen. Er ist der Prince Charming des Altbackenen und ein echter Sympathieträger. Mag der Text auch noch so grauenvoll kalauernd und die Melodie von irgendwoher abgekupfert sein, das stört nicht wirklich. Zumindest, wenn man die Songs nicht zu oft hört. Denn Lieder wie "1. 2. 3. ..." sind Fastfood für die Ohren, zum schnellen Weghören und zum raschen Vergessen gemacht. Daß sich die Dinger meist auch nur kurze Zeit in den Charts oder auf der Videoclip-Playlist halten, ist dementsprechend positiv zu bewerten. Bis der Ohrwurm wirklich nervt, ist er längst aus dem Gedächtnis verschwunden und in der Altmusiktonne für mittelgroße Hits gelandet.

Daß viele Ärzte-Songs diese Zeit trotzdem überdauert haben, ist ein Wunder, für dessen Erklärung es keines Joachim Bublath bedarf: Sehr viele Menschen, die in den 80er und 90er Jahren ihre Pubertät überstehen mußten, haben positive Erinnerungen an Partys, auf denen die Ärzte liefen. Und daran, wie subversiv revolutionär und tabubrüchig ihnen Songs wie "Claudia hat ´nen Schäferhund", "Sweet Sweet Gwendoline" oder "Helmut K." damals vorkamen (was sie, bei Licht betrachtet, schon damals nicht waren). Ein weiterer Grund - und der spricht nun sehr für die Ärzte, also speziell für Bela und Farin - ist, daß viele Stücke der Band auch dann funktionieren, wenn sie Jahre später wiederentdeckt werden. Dann haben sie nichts von ihrem Schmiß und ihrem Charme eingebüßt, was wiederum auch daran liegt, daß selbst große Peinlichkeiten völlig unpeinlich daherkommen.

 

Von dieser Qualität ist "1. 2. 3. ..." nicht, und ich vermute, daß das Lied dereinst kaum zu den Klassikern aus dem Ärzte-Werk zählen wird. Die beste Zeile des Songs ist ebenso genial wie grenzdebil - und damit nahe an "Du kannst gehn, aber deine Kopfhaut bleibt hier": "Erstens: "Hi, ich bin der Bela/Zweitens: Ich mag Nelson Mandela." Die Melodie geht in Ordnung, sie ist ein flotter Sixties-Beat, irgendwo zwischen Surf-Sound, Go-Go und früher Bubblegum-Music. Das ist nicht spektakulär, aber doch sehr nett eingängig. Für den Text gilt das ebenfalls, der eckt nirgendwo an, ist auch sprachlich nicht besonders. Zum Mitsingen eignet er sich - besonders der Refrain - allemal: "Erstens: Du machst hier einen Fehler/Zweitens: Für dich immer noch Bela/Drittens: Ich trinke nicht mit jedem/Viertens: Ich will nicht mit dir reden." Die Zeilen schütteln und rütteln durch die mittelschnelle Komposition. Getreu dem Motto "Reim dich oder ich saug´ dich aus", aber immerhin funktionieren sie.

Genauso wie die Zusammenarbeit mit "Fast Forward"-Moderatorin Charlotte Roche. Als die im Mutterschaftsurlaub weilte, vertrat Bela sie bei VIVA. Im Gegenzug wird sie jetzt von Bela in der Kneipe angemacht. Doch wie meistens in solchen Songs hat sich die Frau nicht allein, sondern mit dem Lebensabschnittspartner ins Nachtleben gestürzt: "Erstens: Ich bin mit meinem Freund hier/Zweitens: Er ist ein Mega-Fan von Dir ..." Es kommt, wie es kommen muß: Bela schleicht sich, denn der Sinn steht ihm nicht nach Konversation.

 

Man muß Bela B. wirklich mögen. Für alle Zweifler nenne ich gern noch zwei Gründe von beinahe alpiner Massivität: Erstens hat der Oberarzt tatsächlich mit "Das erste Lied des Tages" eine Hymne für Lee Hazlewood geschrieben und es geschafft, diesen Helden zum Duett ins Studio zu holen; zweitens hat Bela mit dem Song "Deutsche kauft nicht bei Nazis" Stellung bezogen; und drittens läßt sich dieses Statement-Ding umsonst und legal aus dem Netz saugen, brennen, kopieren und in der Hosentasche herumtragen.

Er ist halt der wahrscheinlich netteste Vampir der Welt. Wir werden zwar nie herausfinden, was zwischen ihm und Lugosi wirklich passiert ist, aber eines wissen wir: Der Schlagzeuger, Sänger und Songwriter unter den Doktoren ist niemals in Steintal gewesen und folglich auch nicht mit Barney Geröllheimer zusammengetroffen. Er heißt in echt Felsenheimer.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Bela B. - Bingo


Sony BMG

(D 2006)

 

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