Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 45

Outkast: "Morris Brown"

Vom einst dynamischen Duo, das den HipHop retten wollte, indem es ihn mit Prince-Genialität verband, ist nur noch nette Stutzer-Mucke übrig geblieben - findet Manfred Prescher.    11.09.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Die beiden waren das ungleiche Brüderpaar des Rap, das unzertrennliche Duo Groucho und Karl Marx - wobei nie ganz klar war, welcher der zwei nun gerade den Lümmel darstellte. Im Zweifelsfall war es immer André Lauren Benjamin, der als André 3000 den genialen Stutzer spielte und mit kindlichem Jux sowie einem gerüttelten Maß an durchgeknallten Ideen für viele bunte Smarties-Effekte sorgte. Antwan André Patton gab derweil den großen Erwachsenen, der sich nicht ohne Grund Big Boi nannte. Er war die intellektuelle Instanz, die auch den Bezug zum Genre niemals verlor. Dementsprechend klangen in den Songs, die mehrheitlich seine Handschrift trugen, straighte Beats und Westcoast-Styles durch.

Die Vergangenheitsform der letzten Sätze ist absichtlich gewählt. Zuerst - beginnend mit der diabolisch guten Single "Player´s Ball" und fortgeführt mit den Alben "Southernplayalsticadillacmuzik", "ATLiens" und "Aquemini" - stand bei Outkast nämlich das Teamwork im Vordergrund. Auf die Spitze getrieben wurde die glorreiche Partnerschaft schließlich auf ihrer vierten CD "Stankonia". Die Mixtur war einmalig - fast so, als wäre "Das Kapital" von einem meisterhaften Spötter überarbeitet worden, oder als hätten die intellektuellen Miesepetrigkeiten der "Groucho Letters" ein theoretisches Fundament bekommen. Oder, anders formuliert: Outkast haben zwei Welten zusammengeführt, die eigentlich nicht zueinander gehören, wohl aber perfekt harmonieren.

Mittlerweile geht das dynamische Duo allerdings neue Wege und nutzt den Markennamen Outkast mehr und mehr zum Ausleben von Profilneurosen. Schon das 2003er-Doppelalbum bestand eigentlich aus zwei Soloprojekten: Auf "The Love Below" versammelte André 3000 seine Schöpfungen, unter dem eindeutig Rap-orientierten Titel "Speakerboxxx" fanden sich die Ideen von Big Boi.

 

Schon während der Produktion dieser beiden CDs gab es immer mal wieder Gerüchte über eine Trennung des Duos aus Atlanta/Georgia. In regelmäßigen Abständen wurden künstlerische Differenzen und Auseinandersetzungen um die Zukunft von Outkast kolportiert. Dabei beweisen gerade diese beiden, daß auch eine musikalische Gemeinschaft wie eine Ehe funktioniert, wo die Partner jahrelang nebeneinander herleben können, quasi getrennt von Mischpult und Bandgerät. Diese autarke Art von Zusammenleben funktioniert bei Outkast ganz gut, was sicher daran liegt, daß die Jungs auch einzeln über jede Menge Talent verfügen. Nur die magischen Momente fehlen - denn was wäre Dick ohne Doof, Simon ohne Garfunkel oder Luke ohne Vader?

Wie fad eine solche die äußere Form wahrende Trennung aber eigentlich ist, zeigt der müde Film "Idlewild", bei dem Outkast so tun, als würden sie in einer 30er-Jahre-Kulisse ihre eigene Rapper-Historie ausbreiten. Edward G. Robinson und Humphrey Bogart hängen vor den geschwungenen Art-déco-Kotflügeln von Cord 810 oder Auburn Speedster ab und üben sich im Sprechgesang. Das ist noch weniger glaubhaft als die eigene, nur mühselig aufrechterhaltene Fassade. Damals war Louis Jordan groß, und den kann man zwar schon mit einigem Fug und Recht als Blaupause von Outkast bezeichnen - doch der Streifen zeigt kein musikhistorisches Bewußtsein und auch keinerlei Verweise auf Gemeinsamkeiten auf der höheren Blödsinnsebene. Ein Wunder ist es daher nicht, daß "Idlewild" an den Kinokassen durchfällt, obwohl ihn die Amerikaner wohl weniger wegen dieser Mängel, sondern eher aufgrund seiner unterdurchschnittlichen Unterhaltungsqualitäten ablehnen.

Womit ich wieder beim Thema wäre: Auf dem Höhepunkt ihrer Liebesbeziehung wäre das Big Boi und André nicht passiert. Da man nun aber mal aus gehaltstechnischen Gründen aneinandergekettet ist, klappt´s auch in Hollywood nicht so richtig.

 

Das dazugehörige Soundtrack-Album bestätigt diesen Eindruck. Die Single "Morris Brown" hebt sich qualitativ vom uninspirierten Rest ab, obwohl diese 70er-Jahre-Disco-Nummer keinesfalls auf einer Ebene mit "Hey Ya" oder "Rosa Parks" angesiedelt ist. Immerhin steckt in der neuen Outkast-Single auch eine liebevolle Würdigung an das Morris Brown College in Atlanta. Diese Institution wurde - als erste ihrer Art - bereits 1881 von Afroamerikanern gegründet. Bis heute bestehen Studenten, Lehrerschaft und Leitung ausschließlich aus Schwarzen. Und die Schulband des Colleges spielt eine tragende Rolle in "Morris Brown": Ein 2002 aufgenommenes Stück gehört zu den Hauptelementen, durch die der Song witziger wird als das meiste, was HipHop im Jahr 2006 zu bieten hat. Doch nur deshalb braucht niemand "Morris Brown" super zu finden. Bleibt die Frage: "Was ist super?" Max Goldt hat sie sich vor Jahr und Tag schon gestellt und praktischerweise gleich selbst beantwortet. Ich hoffe, ich krieg´s noch zusammen: "Die zweite Frage lautet, was ist super? Wen super finden oder selber super sein? Wen super finden, denn wer selber super ist, ist meist allein ..."

Besser läßt sich das Dilemma von Outkast nicht ausdrücken. Je mehr der Einzelne von seinen individuellen Fähigkeiten überzeugt ist, desto stärker begibt er sich in die Isolation. Im Text zu "Morris Brown" klingt das auch an, wenn Big Boi auf die Zusammenarbeit angesprochen wird: "And everybody wanna know whus really goin´ on/ Is you and 3000 still makin´ songs/ So on and on." Eingebettet wird das Ganze in einen altmodischen Sound, der Elemente von Stylistics und spätem Johnnie Taylor enthält. Nett, aber nicht genial. Doch das hatten wir schon.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Outkast - Morris Brown


Sony BMG (USA 2006)

 

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