Beck - The Information
Geffen/Universal (USA 2006)
Er komponiert seine Songs haarscharf an der Massenkompatibilität vorbei - doch Manfred Prescher hofft, daß Beck weiterhin ohne Druck Schräges erfinden kann. 09.10.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Oh Gott, ist mir übel! Flau im Magen, es rumort. Ob ich etwas Falsches gegessen habe? Oder etwas Ungesundes gehört? Vielleicht liegt es an der neuen, bislang nur als Download erhältlichen Beck-Single "Nausea" ...
Kann das sein? Der charmant gesprochene Luftikus von einem Dancefloor-Track ist doch harmlos, oder? Zumindest beim ersten Hören ist nichts zu erkennen, was die mittlere Körperregion in Aufruhr versetzen könnte. Doch beim zweiten Mal fallen Fiepstöne, Affengekreische und Glockengebimmel auf - und diese Töne treffen genau dahin, wo gerade körpereigene Substanzen versuchen, den zu fetten Fraß vom Fastfood-Thai in darmgerechte Elemente zu verwandeln.
Das muß natürlich mißlingen, zum einen, weil das Essen unverträglich ist, zum anderen aber auch, weil Beck die Magensäure in ein Gift verwandelt, das vom Weltsicherheitsrat als Massenvernichtungswaffe deklariert werden würde. Gut, so schlimm ist es nicht, doch eines steht fest: An der Oberfläche ist "Nausea" ein Stück, das von einem einfachen und braven Beat vorangetrieben wird, aber darunter werden Töne in gezielte Schwingungen versetzt, verbinden sich mit dem Rhythmus zu einer Kraft, die alle Dämme zum Brechen bringt.
Das ist natürlich volle Absicht. Mr. Beck Hansen hat sein Lied ja nicht umsonst "Nausea" genannt - das Wort ist ein Synonym für Übelkeit. Zahnarztbohrer oder andere brutal-schrille Geräusche kämen überhaupt nicht in Frage, würden nicht diese Wirkung erzielen. Davor kann man sich nämlich genauso schützen wie etwa vor Rizinusöl. Nur: Wenn etwas wirklich schmeckt, will man mehr davon - und nur dann besteht die Gefahr, daß die persönliche Eichstrichmarkierung ignoriert wird. Also verpackt Beck die fiesen Töne in gefälliges Drumherum, das sogar an seinen großen Hit "Loser" erinnert. Was dann wieder eine zweite Deutung des Begriffs "Übelkeit" zuläßt.
Neben dem Magengrimmen, das die klingenden Nadelstiche beim Zuhörer verursachen, gibt es noch das von Beck. "Nausea" beschreibt den Zustand, den das Weltgeschehen in seiner Gesamtheit erzeugt, und die bittere Chancenlosigkeit, die der Querkopf empfinden muß, wenn seine schrägen Werke auf dem Platz der großen, globalen Einheit von der Dampfwalze plattgepreßt werden. So etwas hinterläßt in der sensiblen Seele Spuren und manch einer wird - zumindest zeitweise - depressiv. Auch Beck ging es so, wie er schon vor einigen Jahren in "Devil´s Haircut" schrieb: "Something´s wrong ´cause my mind is fading - and everywhere I look there´s a dead end waiting." Das Leben als Sackgasse, das eigene Wirken nutzlos - so formulierte Beck Hansen 1996 in seiner "Loser"-Fortsetzung den Zustand, in dem er sich in der Zeit nach dem Hit befand.
Zehn Jahre später heißt es "Oh it´s nausea, oh nausea/And we´re gone." Der Künstler hat jeden Halt verloren. Der "Loser" wurde eben damals nicht umgebracht, sondern verliert jetzt den letzten Rest von dem, was das Leben lebenswert gemacht hat: "And my instincts poisoned/In a thruth blown gutter/Full of wasted years." Das kommt davon, wenn man sich schon mit Anfang 20 so beschreibt: "I Feel Like A Piece Of Shit". Beck taumelt, er fällt, ist allein, obwohl es allen anderen genauso geht, denn alle sind gefangen in sich selbst und in Zwängen, denen niemand entgehen kann. Ein göttlicher Masterplan? "Working for some God/Who could see his own reflection/In a parking lot." Wahrscheinlich wäre Beck froh, würde sich eine Frage aus seiner Frühphase mit "Ja" beantworten lassen: "Will I Be Ignored By The Lord?"
Das ist kein Kulturpessimismus mehr, es ist auch keine Beschreibung eines Mannes, der sein zerstörtes Innenleben nach außen kehrt, es ist das Verzweifeln an allem und jedem, ein permanenter Angstzustand. Gekleidet wird diese Schwarzsicht in den Höllenschlund des Abgrunds in lyrische Worte von so klarer Schönheit, daß Beck glatt als Enkel von Georg Trakl durchgehen könnte: "Now I´m a priest teenager/On a tower of dust/I´m a dead generator/In a cloud of exhaust/I eat alone in the desert/With skulls for my pets/I rate the days, one in ten/With lead cigarettes."
Mit dem Text verhält es sich genau wie mit dem Arrangement: Unter der dünnen, aber schönen Schale von "Nausea" tobt das namenlose Entsetzen. Es scheint fast so, als würde direkt über der Hölle eine Party gefeiert, die immer lauter und hektischer wird, je näher das scheinbar Unabänderliche rückt.
Diese Weltsicht muß man freilich nicht teilen; aber auch in lebensfrohen Zuhörern können die nicht einmal drei Minuten des Songs ein Gefühl der Unbehaglichkeit auslösen. Bleibt zu fragen, ob die Welt auf ein Lied gewartet hat, das gleichzeitig in die Ohren, in die Beine und in den Verdauungstrakt fährt ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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