Take That - Beautiful World
Edel (GB 2006)
Ebbe im Geldbeutel? Neidisch auf Robbies Erfolg? Irgendetwas in der Art hat die Ex-Boygroup wieder vereint. Gebraucht hat es das nicht - sagt Manfred Prescher. 27.11.2006
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
"Take that, nimm das, und das - und das auch!" In meinen Träumen kommen Athos, Porthos, Aramis und d´Artagnan, um das Verbrechen an der Menschheit zu rächen, das Gary Barlow und der Rest seiner monetenzentrierten Zweckgemeinschaft der Menschheit angetan haben. Seichter die Erfolgsglocken nie läuteten - denn das Comeback der vier englischen Musik-Leichtgewichte ist gigantisch. Vor allem das Internet wird von den Fans der Gruppe leergesaugt. Und zwar in Windeseile: "Patience", die erste Single aus dem Album "Beautiful World", stieg in den britischen Download-Charts auf dem ersten Platz ein und rangiert auch bei iTunes Germany auf der Pole-Position.
Die Musketiere kamen der Geschmackspolizei bislang nicht zur Hilfe, selbst Robbie hält sich zurück. Der ist nie da, wenn man ihn wirklich braucht, und heimst den unverdienten Lorbeer für "Rudebox" ein, statt sich um den Erzfeind Barlow zu kümmern und mit einstweiliger Verfügung oder Waffengewalt den im gemeinsamen Bandnamen begangenen Freveltaten Einheit zu gebieten. Und die Musketiere geistern nur durch mein nächtliches Schattenreich. Immerhin - dort wurde die Bande in die Flucht gejagt. Was nicht so schwer war, weil es eine untere Demarkationslinie gibt, die mein persönlicher Geschmack nicht unterschreitet. Oder, anders ausgedrückt: Zwischen Trash und Müll existieren größere Unterschiede, als es sich die Schulweisheit eingestehen will.
Bleibt die Frage, wer denn nun die Leute sind, die auf die Bauernfängerei im Lenor-Stil zuhauf hereinfallen und hinter Take That hermarschieren wie weiland die Ratten zu Hameln? Am Anfang stand die Schwulenszene auf die hübschen Bürschlein, die noch dazu singen konnten wie die Nachtigallen; dann waren es die 13jährigen Girls, die für ihr Taschengeld perfekt produzierte Songs und fünf Sexsymbole für ihre feuchten pubertären Träume bekamen. Das geht in Ordnung - vor allem, weil mit "Back For Good" oder "Love Ain´t Here Anymore" Lieder entstanden, die herrlich schwelgerisch in feinstem Moll daherkamen und genau dem entsprachen, was ein echtes Miststück von eingängigem Schrot und Korn ausmacht. So eines wie Robbies "Advertising Space" zum Beispiel; aber der Sinatra-covernde Sohn eines Sinatra-Nachsängers steht Lichtjahre über den Herren Barlow, Owen, Orange und Donald. Selbst mit "Rudebox".
Wenn es also nicht mehr die homosexuellen Männer und weiblichen Teenies sind, wer hört sich dann heute freiwillig "Patience" an und singt Zeilen wie "My heart is numb and has no feeling" mit? Die Antwort gibt iTunes, wo Kunden ihre Patiences in meist dürre Worte fassen können. Zur neuen Single von Take That schreibt eine Frau, die sich "cinnamongirl1310" nennt: "Nach zehn Jahren kehrt ein Teil meiner Jugend zurück! Noch mal 13 sein - so hat es sich angefühlt, als ich vor kurzem die neue Take-That-Single 'Patience' gehört habe. Die 4 Männer (der Titel Boyband paßt nicht mehr zu den zum Teil verheirateten Familienvätern) aus Manchester zeigen, daß sie es noch genauso gut können wie 1996. Die neue Single hat eine großartige Melodie, schöne Harmonien und ist als Comeback-Song perfekt geeignet. Wem die schwelgerischen Melodien anderer britischer Bands wie z. B. Coldplay gefallen, wird von 'Patience' sicherlich begeistert sein. Die Single macht Lust auf das kommende Album!"
Man mag von Coldplay halten, was man will - aber eines muß an dieser Stelle festgehalten werden: Es ziemt sich nicht, die Band um Chris Martin mit den singenden Wattebäuschen in einen Topf zu werfen. Das ist fast so, als würde man Rembrandt mit dem Geschmiere eines Schimpansen vergleichen. Beim Thema "Boygroup" hat die Apple-Kundin natürlich Recht: Als Rollenmodell heutiger Teenager taugen die vier ehemaligen Sängerknaben nicht mehr. Ihr Altersvorsprung gegenüber der Zielgruppe war schon in den 90ern beträchtlich, sodaß die Girlies von heute gut und gern "Papa" zu Barlow sagen könnten. Altersmäßig natürlich nur. Und von Vätern distanziert man sich in der Adoleszenz. Mädels tun also gut daran, etwas anderes zu hören, aber das gilt natürlich auch für den Rest der Erdbevölkerung. Weite Teile davon sind mit Take That aufgewachsen und freuen sich nun darauf, mit der Gruppe in den intellektuellen Vorruhestand treten zu dürfen.
Daß cinnamongirl1310 nicht allein auf weiter Flur ist und sich ihrer Neigung im stillen Kämmerlein hingibt, belegt wiederum iTunes. Dort steht es schwarz auf violett: "18 von 18 Hörern fanden diese Rezension hilfreich" - und es steht zu befürchten, daß diese Leute die Meinung von cinnamon, die mittlerweile das biblische Alter von 23 Jahren erreicht haben müßte, nicht dazu nutzen, sich gezielt davon zu distanzieren. Schlimm, schlimm. Ausgerechnet in "Patience" finden sich die passenden Worte dazu: "´Cause these scars run so deep/It´s been hard/But I have to believe."
Natürlich könnte man als Kolumnist den Mantel des Schweigens über dieses Comeback, das so unnötig, aber auch so eklig wie Gammelfleisch ist, werfen und die Bagage samt ihrer Designer-Grütze damit bedecken. Aber wie sagte schon Yusuf Islam, der Mullah von Wandsworth, in einer seiner weisen Botschaften? "It´s hard, but it´s harder to ignore it." Schließlich hat man als wahrer Philanthrop die Pflicht, die Menschheit wachzurütteln, sie zu warnen. Obwohl es in diesem Fall schon wieder zu spät sein dürfte. Und natürlich wieder keiner auf Yusuf und mich hören wird.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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