Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 58

Silbermond: "Das Beste"

Das Beste kommt angeblich immer zum Schluß. Für 2006 gilt das nicht - auch wenn uns die sächsische Schnulze etwas anderes vorgaukeln will. Manfred Prescher ist entnervt.    11.12.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Es ist schon wieder soweit: Draußen herrschen fast noch Freibad-Temperaturen, drinnen sorgen Bond, Borat und Billy (Leonardo DiCaprio) für hochwertige Unterhaltung. Doch der Zwischenraum ist so mit weihnachtlichem Schrott zugestopft, daß die Stadtverwaltung (oder wer sonst für diese Art klingender Umweltverschmutzung zuständig sein mag) kaum noch in der Lage ist, dem Müll die völlig berechtigte Abfuhr zu erteilen. Man könnte fast das Weihnachts-"Miststück" vom letzten Jahr (Nummer 8, falls jemand die weisen Worte von damals nachlesen will) im EVOLVER neu auflegen ...

Jedenfalls sind sie alle, alle wieder da: "Last Christmas", das Lied für die besinnlichen Tage in der Schwulensauna, Slades "Merry X-Mas Everybody" und natürlich der unvermeidliche John Lennon, der wahrscheinlich auf irgendeiner anderen Bewußtseinsebene eine ätherische Harfenversion von "Happy X-Mas (War Is Over)" zum Besten gibt, während himmlische Heerscharen göttlichen Eierkuchen voll Friede und Freude servieren. Um das Grauen perfekt zu machen, gibt´s dann auch noch Banaroo, die mit ihrem "Coming Home For Christmas" jedes Kaufhaus zwischen Flensburg und Graz beschallen und durchaus logischerweise auch live in den Konsumtempeln auftreten.

Ein Euro von jeder verkauften Maxi-CD geht ebenso konsequent an arme Kinder, schließlich sollen die auch mal was Anständiges zum Fest bekommen. Für einen Nintendo Wii langt der Beitrag zwar noch nicht, aber der Grundstein ist immerhin gelegt.

 

Weihnachten ist das Fest, an dem ich unseren Nachbarn besonders liebe. Der hat einen schätzungsweise drei Meter großen, korpulenten Weihnachtsmann im Vorgarten stehen. Weil das Monstrum auch noch von innen beleuchtet ist, wirkt seine Gesichtsfarbe leicht gelblich, so daß es eine nicht geringe Ähnlichkeit mit Homer Simpson aufweist. Zum Wohle des regionalen Energielieferanten verbindet der Gartenschmuck kitschigen Bombast mit perfekter Energieverschwendung. Ich würde allerdings glatt meine Shorts fressen, wenn die Ähnlichkeit zu Homey Absicht wäre.

Der langen Rede kurzer Sinn: Christliche Symbolik, heidnische Rituale und weltliche Definitionen gehen Weihnachten stets Hand in Hand und werden vom Wunsch der Menschen nach Besinnlich- und Festlichkeit in etwa so zusammengehalten wie der Lebkuchenteig vom Honig. Das war schon immer so - nicht erst, seit Frankie Goes To Hollywood mit "The Power Of Love" dazu aufriefen, das Fest der Liebe in den verlangenden Armen der Partnerin, bei Holly Johnson muß man eher sagen: des Partners, zu verbringen. Schnulzen wie diese verkaufen sich in der besinnlichen Jahreszeit besonders gut, das ist auch in dieses Mal so. Das diesjährige Rührstück heißt "Das Beste", stammt von Sillbermond und wird wahrscheinlich gerade öfter aus dem Netz gesaugt als auf den Weihnachtsmärkten Glühwein bestellt wird.

 

Die irgendwann mal immerhin zur zweitbesten Schülerband Sachsens gekürte Formation Silbermond hat sich mittlerweile weiterentwickelt; im kommenden Jahr soll sie zur drittbesten Kombo aller ostdeutschen BWL-Studenten gekürt werden. Zuvor gibt sie uns allen allerdings "Das Beste". Wahrscheinlich stimmt das sogar, blöde ist nur, daß andere das mit der herzerwärmenden Schnulze viel besser hinbekommen, zum Beispiel eben Frankie Goes To Hollywood.

Den modernen Zeitgenossen stört das freilich nicht, der erfreut sich am höchst eigenwilligen Gesang von Stefanie Kloß, die ihren Nachnamen durchaus zu Recht trägt, weil ihre Stimme immer irgendwie nach Trauerknödel klingt. Sie verbindet namenloses Leiden und Betroffenheit im Bettina-Wegner-Style mit sächsischer Koketterie. So ist es ein Leichtes, im Vorprogramm der Puhdys aufzutreten - und genau damit haben Silbermond ihre Karriere begonnen.

"Alt wie ein Baum" möchte ich werden, aber hoffentlich, ohne jemals dazu gezwungen zu werden, eine Aufzeichnung dieses generationsübergreifenden Elends ostdeutscher Provenienz anschauen zu müssen. Ist es Honeckers Rache? Oder wird am sächsischen Wesen die BRD genesen? Im Augenblick helfen die Leipziger erstmal dem angeschlagenen Sony/BMG-Konglomerat, den Abstand auf Marktführer Universal Music zu verkürzen. Mit mehr Kuschel- als Rock, denn der liegt fein säuberlich zusammengelegt mit dem Rest der Wäsche auf einem Stuhl. Stefanie schmiegt sich pudelnackig an ihren Liebsten: "Du bist das Beste, was mir je passiert ist/Es tut so gut, wie du mich liebst."

O weh und ach, das singt sie so verhärmt, daß man an der Qualität des Liebhabers glatt zweifeln könnte. Waren die Vorgänger so schlecht, daß sie nun ihren Anspruch herunterschrauben muß? Oder ist sie schon vorab traurig, weil alles außer der Wurst ein Ende hat? Man weiß es nicht. Für die erste Vermutung spricht folgender Satz aus der Pennälerin Wunderhorn: "Dann kann ich es kaum glauben/Daß jemand wie ich so was Schönes wie dich verdient hat." Die Freude darüber schlägt keine Götterfunken, und mag das Lied auch auf eine platte Art besinnlich sein - sinnlich ist es nicht.

 

Das Leben ist ein Jammertal, die Liebe ist es auch. Zumindest, wenn es nach Silbermond geht. Der Erfolg dieses vorweihnachtlichen Hits spricht dafür, daß die Verse bei vielen Menschen in Niederösterreich oder Bremen ankommen, denn der Text kann sich nicht hinter einer fremden Sprache verstecken. Dafür sächselt Frau Kloß einfach zu wenig. Dem Albumtitel "Laut gedacht" entsprechend zeigt sie das intellektuelle Gewicht ihres Hirnkasterls. Besonders massiv ist das Ding allerdings nicht gebaut, aber ich will fair sein: Im Liegen denkt sich´s schlecht, da schläft man leicht weg und wundert sich, wenn das "Goldstück" das Weite gesucht hat und aus dem vier Quadratmeter großem Elendsgebiet geflohen ist ...


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Silbermond - Laut gedacht


Sony BMG (D 2006)

 

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