Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 59

Helge Schneider: "Käsebrot"

Der Mann hat ein Herz für Nahrungsmittel, die sonst achtlos auf dem Tisch liegen und nie zum Gegenstand lyrischer Betrachtungen werden. Dafür liebt ihn Manfred Prescher.    18.12.2006

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Die Welt ist schon ziemlich fies: ABC-Schützen, die sich vertun und - durchaus logisch, wenn man es richtig bedenkt, "Bröter" für die Mehrzahl von Brot halten, werden vom Lehrer getadelt und von den Mitschülern belächelt. Nun kommt Helge Schneider und gibt zu Protokoll, daß "Käsebrot eines der besten Bröter der Welt" sei.

Leider ist Helge nicht der Duden, und so müssen Pennäler auch weiterhin Spott über sich ergehen lassen, wenn sie Teil einer Wortschöpfungskette werden. Wer wirklich kreativ sein will, braucht ein dickes Fell, mindestens aber eine Wischmop-Frisur - so wie Helge Schneider; auch wenn der mittlerweile beim Friseur war und auf aktuellen Photos wie eine Mischung aus Penner, Tom Waits, David Byrne und John Cale ausschaut.

Wahrscheinlich entspricht diese Vielfalt auch seinem Wesen. Vielfalt und Einfalt - Herr Schneider bringt beides unter einen Schlapphut. Ihm ist es wurscht, ob ihn die Leute für einen Idioten halten, für ein Faktotum, das irgendwie an den Rändern des Comedy-Klüngels herumtorkelt, Filme dreht, Bücher und Lieder schreibt - und Käsebröter supersexy findet. Wobei sich schon der Verdacht aufdrängt, daß Helge nicht wirklich Texte schreibt, zumindest nicht konzeptuell, sondern alles so in Schreibmaschinen- und Klaviertasten hämmert, wie es ihm gerade durch den Schwurbel geht. Daß das keiner besser kann, zeigen seine Monologe im Grenzgebiet von Gaga, Debil und Groucho Marx. Helge macht, was er will und wie er es will: Er ist ein Gesamtkunstwerk, an dem er mit Akribie arbeitet, auch wenn es locker hingerotzt klingt.

Das ist kein Widerspruch: Songs schüttelt er aus dem Ärmel, aber bis ins kleinste graubraune Haar Helge zu sein, das ist eine Lebensaufgabe. Und das seit Beginn, wenn wir der Schneiderschen Website glauben wollen: "Helge wurde am 30. August 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren. Deshalb wollte er zunächst Clown werden. Er verklitt sich schon als kleiner Junge als Opa..."

In ernsteren Momenten gibt er schon mal zu, daß er das Ausgelachtwerden billigend in Kauf nahm, weil er mit Jux und Tollerei Schüchternheit und Ausstrahlungsdefizite gegenüber dem anderen Geschlecht mehr als kompensieren konnte. Nebenbei verdiente er sich, wie er in einem Interview formulierte, durch Auftragswitzeleien die eine oder andere zusätzliche Pausenvesper.

 

Seine Vorliebe für Lebensmittel ist offenkundig. Er singt über "Bonbons aus Wurst", womit natürlich eher fleischfarbene Lutscher gemeint sind, über Reis, Möhrchen und Butter - und jetzt halt über den König unter den Stullen, das Käsebrot. Der Text ist natürlich doof, auch wenn man Helge anrechnen muß, daß er schnöde Lebensmittel trefflich besingt, die von den meisten Menschen eher beiläufig in den Mund genommen werden.

Seit Freddy Quinn in den frühen 60er Jahren sein "Eine Handvoll Reis" herausbrachte, hat sich niemand der weißen Körnchen angenommen. Im Gegensatz zum österreichischen Schlagerseemann und Dauerfremdenlegionär, dessen Fan Schneider ist, hat der Mülheimer den Reis nicht zur Bebilderung einer kargen Wanderschaft durch fremdes Feindesterrain genutzt, sondern um an eine Frau heranzukommen: "Es gibt Reis, Baby" - wie bei Freddy allerdings als (einzige) Hauptnahrung und nicht als Beilage. Weswegen wahrscheinlich die meisten Ladys im Zweifelsfalle ein opulentes Käsebrot vorziehen würden.

 

Als Musiker ist Helge Schneider über jeden Zweifel erhaben, er ist ein Multitalent an nahezu allen Instrumenten. Die ersten Schritte zur musikalischen Omnipotenz ging er 1959, als er die ersten Fertigkeiten auf Grundig und Graetz erlangte. Dann ging es über Kamm und Gardinenstange weiter zu Klavier, Saxophon und Gitarre. Seine Vorlieben sind durchaus von der Zeit geprägt, in der er aufwuchs. Seine Sammlung an Devotionalien aus dem Gelsenkirchener Barock ist legendär; wahrscheinlich hat er alle Singles, die je unter dem geschwungenen, weißen Polydor-Signet auf orangenem Grund herausgekommen sind. Dazu Swing und "Iatz". Freejazz mag er allerdings nicht, er braucht eine Melodie zum "Drüberimprovisieren". Die Sprache wird dabei genauso als Instrument eingesetzt wie der Flügel. Munter geht es unter und über die Original-Line. Das kann niemand so gut wie Schneider, weswegen er den Titel "Last Jazzman" durchaus zu Recht trägt. Während die United Jazz und Rock Ensembles Europas mit Ernst zur Sache gehen, groovt sich Helge locker in unmittelbare Nähe zum frühen Coleman Hawkins oder Lionel Hampton. Dessen Version von "Rag Mop" könnte auch für "Käsebrot" Pate gestanden haben: schmissig, flott und swingend. Daß es von "Rag Mop" eine zu Helges früherer Standardfrisur passende deutsche Version namens "Wisch Mop" gegeben hat, paßt dazu auch irgendwie.

 

"Käsebrot" ist der Beginn einer beispiellosen Schneider-Offensive. Fortgesetzt wird sie im Januar mit dem Album, das den gnadenlos dämlichen Sprachmix-Kalauer "I Brake Together" als Titel trägt und einer fast schon Dylan-esken Mammut-Tournee, die mindestens das komplette Jahr 2007 dauern wird. Außerdem ist ein neues Buch erhältlich, wie immer flink und ohne Pause vom Hirn in den Arm und von dort gleich in die Druckerei von Kiepenheuer & Witsch diktiert: "Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas - Bekenntnisse eines Heiratsschwindlers". Dazwischen beweist er, daß er auch anders kann: In Daniel Levys Tragikomödie "Mein Führer" (Start: 11. 1. 2007) spielt er genau den. Es ist unglaublich, wie gut er den Diktator hinbekommt, man möchte ihm fast glauben, daß er "beweisen wollte, daß jeder Hitler hätte sein können", wie kolportiert wird. Die ernsthaftere Ader zeigte sich erstmals auf dem Fehlfarben-Tribut "26 1/2", wo er das Lied "Einsam" völlig "richtig" und ohne humoreske Schnörkel singt.

Aber das sind alles nur Momentaufnahmen. Danach geht es heim an den Kühlschrank, wo Emmentaler und Harzer darauf warten, auf Bröter gelegt zu werden. Führerspielen macht schließlich hungrig, und Hunger ist bei Helge der beste Komponist. "Käsebrot ist ein gutes Brot" - Schinkenbrot aber auch!


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

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