Bloc Party - A Weekend In The City
Rough Trade (GB 2007)
Eine alte Fußballtrainerweisheit besagt, daß das nächste Spiel immer das Allerschwerste ist. Manfred Prescher überträgt diese Aussage in den Bereich des modernen Britpop. 15.01.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Wo wurde der Fußball erfunden? Wer war´s? Genau, die Briten waren es. Und das eigenwillige Inselvolk hat sich auch die Popmusik ausgedacht, oder doch zumindest einen Teil davon. Den nämlich, bei dem vier oder fünf junge Männer ihr gemeinsames Band-Ding zelebrieren. Seit der Steinzeit mit ihren Quarrymen und der rollenden Geröll-Lawine ist ein nie versiegender Strom an Gruppen in die weite Welt hinausgeflossen. Wenn man vom jeweiligen Zeitgeist absieht, der durch Songs und Stilrichtungen spukt, hat sich nicht viel verändert. Ein "Yeah Yeah Yeah" reicht auch heute noch, um Begeisterungsorkane zu erzeugen und die Trendcharts aufzurollen. Popmusik und Fußball funktionieren nach einfachen Gesetzmäßigkeiten, und die Briten verstehen es, sich und uns blendend zu unterhalten.
Während allerdings Chelsea, Arsenal oder ManU, oberflächlich betrachtet, für Kontinuität und einen gewissen, durchaus tröstlich-trotzigen Stillstand der Zeit in einem sich immer rascher beschleunigenden Weltenlauf stehen, passiert mit den Bands genau das Gegenteil: sie verfallen, werden ersetzt - und zwar in einem rasanten Tempo, das schneller ist als unsere ohnehin schon hohe Allgemeingeschwindigkeit.
Das führt dazu, daß die Band, die wir gestern liebten oder die gestern zum Hype der Jetztzeit gekürt wurde, eigentlich schon vorgestern out war. Oder anders: Wenn man heute zum Plattendealer seines Vertrauens geht, weil man sich die neue CD von Bloc Party kaufen will, nimmt man stattdessen die Arctic-Monkeys-Scheibe zur Hand, und die verwandelt sich, während man an der Kasse wartet, in das Werk von Razorlight.
Das physikalische Gesetz des britischen Pop, das dem zugrundeliegt, begleitet uns bis nach Hause, bis die CD in den Player eingelegt werden soll - und natürlich bis in die Tiefen der eigenen Sammlung. Es erklärt andererseits auch, warum es die Stones heute noch gibt und warum sie auch in 100 Jahren existieren werden. Doch das steht auf einem anderen Blatt, in einem anderen "Miststück".
Logischerweise ist auch die Konkurrenzdichte innerhalb der beinahe Vergessenen gewachsen und wächst zusehends weiter, weshalb es alle Bands schwer haben, einen zweiten großen Wurf zu landen. Man wird in diesem Jahr unter anderem sehen, ob dies den Kaiser Chiefs gelingt; ihre im Februar erscheinende Single "Ruby" macht zumindest Hoffnung. Zuerst sind allerdings Bloc Party dran. Die haben uns vor langer Zeit mit "Helicopter" einen echten Hit serviert und mit dem dazugehörigen Album "Silent Alarm" eine kurze Zeitspanne lang zum Tanzen und Mitsingen animiert. Produziert wurde das Werk übrigens damals von Paul Epworth, der mit den Babyshambles und den Futureheads noch andere "Heroes just for one day" (David Bowie) in fachmännisch geregelte Erfolgsbahnen versetzte.
Weil Bloc Party zwar gut sind, aber nicht nur wegen ihres dunkelhäutigen Sängers und Gitarristen Kele Okereke als etwas Besonderes gelten sollen, wurden ihnen per Marketing-Dekret Wesensverwandtschaften zu Cure, Orange Juice, Gang Of Four, Joy Division, zu Ami-Intelligenzlern wie den Pixies, Sonic Youth oder den frühen Talking Heads untergejubelt. Und natürlich wurden Bloc Party oft mit Franz Ferdinand verglichen.
Wer mit dieser Last einer randvollen Altquerverweistonne auf dem Rücken ein geniales Zweitalbum aufnehmen will, muß schon richtig cool sein - ganz abgesehen davon, daß meist für das Debüt auf eine Schatzkiste an guten Liedern zurückgegriffen wird, die in der High-Tempo-Jetztzeit nicht mehr adäquat aufgefüllt werden kann.
Genau das ist das Problem der neuen Bloc-Party-CD "A Weekend In The City". Das Material reicht nicht an die Qualität des Erstlings heran. Dazu kommt, daß es die Londoner jedem recht machen wollen und sich in Beliebigkeit verlieren.
Die Single "The Prayer" scheint textlich auszudrücken, daß Okereke sich dieses Problems schmerzlich bewußt ist. Wie könnte man dieses Stoßgebet sonst verstehen? "Lord, give me grace/And dancing feet/And the power to impress." Und weiter: "Is it wrong to crave recognition?/Second best."
Genau, die alten Songs waren besser, die Füße bewegten sich zu "So Here We Are", "Banquet" oder "This Modern Love" praktisch von selbst. Ein Kirchgang mit flehendem Anruf des Allmächtigen war nicht nötig. Heute soll der Herr im Himmel dafür sorgen, daß die Band nicht länger im Lande Orientierungslosigkeit umherirrt. Denn genau das tun Bloc Party. Ein Indiz dafür ist, daß sie nicht das beste, tanzbarste und eingängigste Stück der CD, nämlich "Hunting For Witches" als erste Single auskoppelten, sondern den deutlich faderen Mix aus Kirchentag-Sound und Indie-Schwulst.
Als Fan der ersten Platte muß man "The Prayer" für ein Stück Mist halten. Für sich - und unabhängig vom bisherigen Schaffen der Gruppe - ist das Lied nicht schlecht, aber in der gewaltigen Menge an Veröffentlichungen, die uns das Vereinigte Königreich in diesem Jahr bescheren wird, droht das Gebet einfach unterzugehen. Da hilft es auch nicht, daß die Mehrzahl der Menschen das Erstlingswerk längst schon vergessen haben wird, denn für einen zweiten Frühling ist "The Prayer" nicht frisch genug.
"Tonight make me a unstoppable", bittet Okereke. Er will, daß alles wieder so wird wie damals in der Nacht im Mai. Aber die ist längst vorbei.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Bloc Party - A Weekend In The City
Rough Trade (GB 2007)
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.
Kommentare_