Christina Aguilera - Back To Basics
Sony BMG (USA 2006)
Photos: Ellen von Unwerth
Es scheint so, als sei die Christl von der Teenie-Post endlich dem "Mickey Mouse Club" entwachsen. Zumindest versucht sie sich nun an einer Kreuzung von Greta Garbo und Mae West. 16.04.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
"We are six jerks in a Jeep", sangen LaVerne Sofie, Maxine Angelyn und Patty Marie von den Andrews Sisters zu einer Zeit, als männliche Amerikaner in verschwitzten Stiefeln durch Europa marschierten und den Kontinent von Adolfs Heer befreiten. Wahrscheinlich haben sich viele GIs das adrette Damentrio in den Spind gepinnt und gehofft, daß sie diese Ladys im Jeep zur nächsten Etappe begleiten werden.
Heutzutage ist wahrscheinlich Christina Aguilera der feuchte Traum junger Soldaten. Daß sich der 27jährige Superstar aus Staten Island allmählich vom "Mickey Mouse Club" emanzipiert, mit dessen Moderation sie den ersten Schritt in Richtung Weltkarriere ging, und nun versucht, das Kindfrau-Schema zu durchbrechen, ist verständlich. Wer will schon gern als lebendes Barbie-Püppchen enden? Genauso vernünftig ist es, daß sich Aguilera ausgerechnet die Andrews Sisters zum Vorbild genommen hat. Schließlich gibt es Parallelen zwischen Christina und den angeblichen Sauberfrauen aus Minnesota: sie sind Kunstprodukte ihrer jeweiligen Epoche und locken Männer mit einer Verheißung auf ein später, das nie konkretisiert wird. Sowohl bei Christina Aguilera als auch bei den Andrews Sisters ist der Schein braver und züchtiger als die Wirklichkeit. Im direkten Vergleich bietet Madame A. natürlich deutlich mehr Anzüglichkeit, das ist auch völlig klar; schließlich liegen sechs Jahrzehnte zwischen den jeweiligen Hits. "The times they are a-changing" - aber eben nur in beschränktem Maße. Und nur an der Oberfläche.
Aber auch an der Oberfläche verwischen sich bei Christina Aguilera die Differenzen zwischen den 30er/40er Jahren auf der einen Seite und der Jetztzeit auf der anderen. Mit "Candyman" adaptiert sie den mehrstimmigen Vocal-Sound der Schwestern perfekt; ein leichter HipHop-Beat und ein in bester Boney-M.- oder Snap-Tradition vor sich hinsalbadernder Typ sind die Reminiszenzen an die Neuzeit. Gebraucht hat es diese Zutaten höchstens, um der kräftigen, aber eben doch eher ungelenken Stimme von Christina den bewährten Halt zu geben. Ein engelsgleicher Gesang, wie ihn Patty Marie einst hinbekam, ist halt leider nicht ihr Ding.
Den Andrews-Part innerhalb der neuen Single übernehmen daher auch andere Damen - und die klingen täuschend echt, sind vom Original kaum zu unterscheiden. Man möchte fast "Bei mir tönst du schön!" rufen. Christina Aguilera selbst zieht sich achtbar aus der Affäre, hat die typische Tonart von "Dirty", "What A Girl Wants" oder "Genie In A Bottle" gut im Griff. Aber das alles ist nicht genial und hat schon mal gar nichts von der "Jeannie" in der Flasche - obwohl Christina nun noch blonder daherkommt als seinerzeit die bezaubernde Barbara Eden. Die wasserstoffperoxide Helligkeit in der gewellten Frisur macht das neuzeitliche Geschöpf noch lange nicht zum klassischen Vamp aus Hollywoods Glanzzeit - obwohl sie sich in Video und auf dem Cover der als Doppelalbum ausgelegten "Geschichtsstunde für Dummies" so altmodisch sinnlich präsentiert, als sei sie die Reinkarnation von Mae West. Und dann diese Augen! Die sind derart auf latente Verträumtheit hin geschminkt, daß selbst Greta Garbo neidisch werden könnte. Von Christinas Fast-Namensvetterin, der "Reichswasserleiche" Söderbaum, ganz zu schweigen.
Auf dem Cover zur Single ist Aguilera in typischer Nachkriegs-Pin-up-Pose zu sehen. Selbst die Farbgebung der eigentlich längst vergangenen Epoche wurde für das Artwork übernommen. Daß das Kunstprodukt "Aguilera" dadurch noch künstlicher wirkt als ohnehin schon, ist dabei wohlkalkuliert. So wirkt die Diva noch unerreichbarer - ein Effekt, auf den auch die Photographen der frühen Sexy-Poster mit Erfolg setzten. In der rechten Hand hält sie ein Blasinstrument - ein Ferkel ist, wer da an die Zeilen denkt, die Godfather Brown bei den Konzerten immer seinem Saxophonisten Maceo Parker zurief: "Maceo, blow me the horn!" Wer da gern das Hörnchen bereitstellen möchte, wird sich von der gezielt lasziven Pose der Aguilera aber trotzdem angesprochen fühlen.
Mit "Candy Man", dem Spät-Hit des hochverehrten Stimmwunders Sammy Davis Jr., hat Christinas dritter Hit aus "Back To Basics" allerdings nichts zu tun. Während Davis sich nämlich als charmanter Crooner selbst anpreist, ohne allzusehr auf den Putz zu hauen, geht es bei der aktuellen Ausgabe des süßen Burschen handfester zu: "He really got me working up an appetite/He had tattoos up and down his arm/There´s nothing more dangerous than a boy with charm/He´s a one stop jive, makes my panties drop/He´s a sweet talkin´ sugar coated candy man/A sweet talkin´ sugar coated candy man."
Immerhin weiß er, was sich früher so gehörte - und führt sein Babe in den Cotton Club. Daß besagtes Etablissement, in dem Cab "The Moocher" Calloway, Louis Armstrong oder Joe "King" Oliver wahre Triumphe feierten, bereits 1940 - und nach mehrjährigem Dahinsiechen - für immer seine Tore schloß, ist wirklich nur eine Marginalie. Der Sound of the Forties wurde in "Candyman" jedenfalls so gut getroffen, daß diese leichte Geschichtsfälschung nicht groß auffällt. Interessiert eh keinen. Die 40er Jahre sind so weit weg wie ein Planet im Affenkopfnebel. Oder doch nicht? Für Christina Aguilera hätten die Andrews Sisters sicher noch einen Platz im Jeep frei. Und die kleine historische Ungenauigkeit wird keinen GI davon abhalten, so manches Playmate durch Madame A. zu ersetzen. So könnte man "Back To Basics" auch definieren ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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