Hayseed Dixie - Weapons Of Grass Destruction
Indigo (D 2007)
Man muß den Namen mehrfach und sehr schnell aussprechen - schon klingt er ziemlich wie "Aysie Diesie". Ein merkwürdiger Zufall? Mitnichten, wie Manfred Prescher mittlerweile weiß. 23.04.2007
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Es war einmal ein verschlafenes Kuhkaff in einer Gegend, die selbst für Füchse und Hasen zu abgelegen war, um sich dort "Gute Nacht" sagen zu wollen. Sogar das Valley der Waltons-Mischpoche wirkte dagegen wie eine pulsierende Weltmetropole. In diesem Nest, irgendwo im Niemandsland der USA, wo der nächste Highway Hunderte Meilen und mehrere moderne Zeitalter weit weg ist und die Umgebung noch in bester Bürgerkriegstradition "Dixie" heißt, haben die wenigen Menschen noch nichts von den Segnungen des Internet oder von mobilen Telefonen gehört. Man befindet sich - repräsentiert durch das Dampfradio - kommunikationstechnisch irgendwo zwischen der Rauchzeichenübermittlung der Ureinwohner und den Segnungen der Neuzeit.
An diesem weltvergessenen, idyllischen Fleck Erde sitzt man also noch brav bei Steak und Whiskey und ist von den Klängen irritiert, die da neuerdings aus dem Äther in die freie Wildbahn dringen. Vom Bluegrass-Country der Carter Family oder Bob Wills und seinen Playboys ist nichts mehr zu hören. Stattdessen ertönen allerorten Sprechgesang irgendwelcher Neger, laute Gitarren und Rhythmen, bei denen sich selbst geübte Squaredancer die Knochen brechen würden. "Eine merkwürdige Welt da draußen", findet Fiedel-Spieler Barley Scotch, und seine Kumpane nicken beipflichtend, während sie sich noch einen Shot Bourbon gönnen.
"Verdammt merkwürdig!" "Wo gibt´s denn so ein Zeug?" "Da wirft ja die Sau im Stall vor Schreck!" Solche und ähnliche Ausrufe begleiten das Rundfunkprogramm. Zumindest bis zu dem Moment, als "Hells Bells" gespielt wird. "Ja, meine Scheiße", flucht Don Wayne Reno und streichelt gedankenverloren sein Banjo. "Erkennt ihr das?"
"Klar, das ist unser verdammtes 'Hells Bells', wer kennt das nicht? Das hat schon mein Großvater damals bei Gettysburg gesungen", antwortet Barley Scotch. "Aber wartet, ich will mal hören, wer unser Lied geklaut hat!" Nach dem Ende des Songs erklärt der Yankee-Moderator, daß es sich um die australische Band Aysie Diesie handle.
"Woher sind die?" fragt Bassist Chad Mize? "Australien? Wo liegtn das?"
Aber keiner weiß es.
"Muß irgendwo hinter den Blue Ridge Mountains sein", mutmaßt Don Wayne Reno. "Auf jeden Fall will ich da nicht hin", ruft Scotch dazwischen. "Wenn dort der Whiskey so schmeckt, wie der Mist klingt, dann ist´s ja in Luzifers A....loch noch schöner", meint Chad Mize. "Dann klauen die auch noch unseren Namen! Aysie Diesie! Das klingt wirklich nach Hayseed!" erklärt Don Waynes Bruder Dale dem begriffsstutzigen Rest der anwesenden Musiker. "Und wo liegt unser geliebtes Hayseed? Genau! In Dixie!"
Einige feuchtfröhliche Abende später erkennen die Freunde, daß die Yanks aus Australien noch mehr Songs geklaut haben: "You Shook Me All Night Long", "T.N.T"., "Have A Drink On Me" oder auch "Big Balls". "Denen sollte man zeigen, wer die 'Big Balls' hat", findet Dale Reno, und alle pflichten ihm bei. So kommt es, daß sich die musikalischen Kumpels mit einigen Flaschen Bourbon zum Üben zurückziehen und die Songs ihrer Ahnen wieder nach Hayseed/Dixie zurückholen. Sie sind sich einig, daß man den Diebstahl der Nordstaatler nicht einfach dulden darf, und nehmen daher die altbewährten Lieder - natürlich unter dem Namen Hayseed Dixie - selbst auf. Und zwar so, wie es sich gehört: mit Fiedel, Banjo, Mandoline und reichlich Schmiß. Später kommt man dahinter, daß sich nicht nur diese blöden Australier am Liedgut des Südens vergriffen haben. Da gibt es auch noch KISS und Stücke wie "War Pigs", "Whole Lotta Love", "Strawberry Fields Forever", "I Don´t Feel Like Dancing" oder "I Love Rock´n´Roll".
Schließlich erinnert das Radio ausgerechnet durch ein paar "goddamn Krauts called Rammstein" auch noch an ein unrühmliches Kapitel der Südstaaten-Geschichte: den 9. April 1865 nämlich, als man bei Appomattox Court House endgültig vor den Yankees kapitulierte - und an das, was danach passierte, den Beginn der Restauration. Damals verfielen die Herrschaftshäuser, und selbst die reichsten Grundbesitzer litten Hunger. Es war einfach kein Personal mehr da, das die Äcker bestellen konnte. Im Winter 1865/66 war die Not dann so groß, daß man in der Wahl der Nahrungsmittel immer weiter ging und Grenzen überschritt. Man schreckte schließlich nicht einmal mehr davor zurück, auch Menschen über dem Feuer zu rösten. Selbstverstümmelungen waren ebenfalls an der Tagesordnung. In einem tragischen Lied aus dieser harten Zeit, dem Walt Whitmore Twain zugeschriebenen Poem "Mein Teil", das fast schon vergessen wurde, weil niemand in Hayseed oder sonst wo in Dixie gerne an diese finstere und gottlose Zeit erinnert werden will, heißt es laut tradierter deutscher Übersetzung unter anderem: "Ich esse weiter unter Krämpfen/Ist doch so gut gewürzt/Und so schön flambiert/Und so liebevoll auf Porzellan serviert."
Wenn man dieses Lied schon singen muß, da sind sich die Freunde aus Hayseed nach einer 10-Shot-Discussion einig, dann macht man das lieber gleich selbst und überläßt es nicht irgendwelchen Ausländern. Rammstein? Krauts singen das? Das darf doch nicht wahr sein! Erst australische Yanks, dann verdammte Germans. Nein, das geht nicht. Es war unsere Schmach, und es sind unsere Teile gewesen, die da auf Porzellan serviert wurden ...
"Du bist, was du ißt" heißt es in "Mein Teil". Don Wayne Reno wird, vom Alkohol aufgewühlt, philosophisch: "Und daß wir sind, verdanken wir der Tatsache, daß unsere Ahnen ihren Hunger irgendwie in den Griff bekamen!" Und sein Bruder Dale ergänzt: "Genau! 'Die stumpfe Klinge gut und recht/ich blute stark und mir ist schlecht/Ich esse weiter unter Krämpfen' - es ist doch für einen guten Zweck".
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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