Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 74

The Rumble Strips: "Alarm Clock"

Gute Laune kann manchmal ganz schön nerven. Schließlich gibt es für alles in der Welt unpassende Zeiten - auch für Jux, Tollerei und Saxophon-Breitseiten. Findet Manfred Prescher.    02.04.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Warum die Schlüsselfunktion bei neumodischen, auf globale Verwendung ausgelegten Weckern "Alarm" heißt, ist eigentlich klar: Das Ding will den Menschen mit maximaler Dringlichkeit den Ernst der Lage vermitteln - also, daß sie dringend an der Arbeitereinheitsfront oder sonst irgendwo erwartet werden, um ihr Tagwerk zu verrichten. Und das geht nun mal besonders effizient, wenn man zeitig und mit dem Tempo einer Feuerwehreinheit auf dem Weg zum Großbrand in Schloß Schreckenstein aus den Federn kommt. Der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm.

Wer aber keine Würmer mag oder zumindest zu nachtschlafender Morgenstund lieber Nutella-Semmeln statt schleimigen Kreaturen zum ausgedehnten Frühstück verspeist, ist zumindest im Zwiespalt. Standhalten oder doch mit Widerwillen und geschlossenen Lidern stolpernd ins Bad flüchten? Man wird unsanft und unvermittelt aus dem Schlaf gerissen und mit einem Augenaufschlag in die grelle Wirklichkeit gestoßen. Dafür hätte der Wecker einen wuchtigen Tritt verdient, der ihn auf immer und ewig in die Kleingerätehölle verdammt. Hat aber keinen Sinn, weil erstens die Realität immer siegt und es zweitens in der Weckerzunft keine Nachwuchssorgen gibt. Fünf oder sechs von denen warten schon auf ihren Kampfeinsatz im Blitzkrieg gegen Morpheus´ Reich. Dabei sind ihnen alle Mittel recht, selbst Vogelgezwitscher, synthetischer Kaffeeduft, Moderatorengeschwätz von Radio Gong (welch passend ekliger Name!) oder Musik.

"Ich brauche nur Musik, Musik, Musik", heißt es in einem alten Schlager aus der Zeit, als König Adolf noch nichts von seinem Rechenfehler wußte. Stimmt schon, aber eben nicht immer. Und nicht immer in dieser ausgelassenen Fröhlichkeit, mit der derzeit häufig Briten aus Peter-Pan-Land gerissen werden: "Alarm Clock" von den Rumble Strips gilt als veritabler Muntermacher bei den Rundfunkverantwortlichen im Inselreich. Womit zunächst mal nichts gegen das Lied gesagt sein will - eher gegen seinen perfiden Einsatzzweck.

Dabei steht der Name Rumble Strips für etwas, das für Sicherheitsabstand sorgen soll: Die so bezeichneten Rüttelstreifen sind mittig auf US-Highways angebracht, um zu verhindern, daß jemand versehentlich auf die Gegenfahrbahn gerät und dort ein blechernes Desaster mit gleichzeitigem Blutbad anrichtet. Wenn man so will, wird damit auf den Amistraßen, von deren weltwundergleicher Länge wir alten Europäer uns gar keine Vorstellung machen können, auch der so wichtige Sekundenschlaf unterstützt: Wenn´s rumpelt, wird man wach. Man kann aber durchaus immer noch im Straßengraben landen. Somit sind diese künstlichen Spurrillen nur ein weiteres Kampfmittel der allgegenwärtigen Weckerarmee. Der Bandname ergibt so gesehen auf jeden Fall Sinn ...

The Rumble Strips sind definitiv Engländer. Ihr Sound ist so typisch britisch, wie es - seit die Jamaikaner ihn gegen Schiffsladungen voll überdimensionaler Zigarettenpapierchen und dank der vielen westindischen Einwanderer und ihrer mitgebrachten musikalischen Identität auch weitgehend ohne Transportkosten an das Vereinigte Königreich abgegeben haben - nur irgendwie möglich ist. Samt Namensrecht und Bläser-Sound. Ska heißt dieser Style, der immer neue Jungmänner dazu anspornt, Blues-Brothers-Anzüge zu tragen, die Welt nur noch in Schwarzweiß zu sehen und im Two-Tone-Sound durch die Nacht zu schunkeln. Als noch die Saurier über den Planeten trampelten, damals in den frühen 80ern, da war der stampfende Rhythmus der nachgeborenen Urenkel von Don Drummond und den anderen Skatalites eine adäquate Ausdrucksform. Und das Label 2-tone galt als Nabel der modernen Welt, da dort unter anderem The Specials und Madness veröffentlichten. Die Tiefausleger dieser Rude-Boy-Fröhlichkeit werden heute noch von eigentlich gestrigen Geheimbündlern gepflegt, die das "Last Boat To Cairo" nehmen, um " A Message To You, Rudy" zu überbringen - selbstverständlich, ohne dabei den Hut abzunehmen.

 

Wie es aussieht, ist diese Hinterbliebenenszene bald schon wieder sehr trendy. Auf der Suche nach dem allerneuesten Retro-Ding sind findige Engländer nämlich auch auf den Post-Jamaika-Sound gekommen - siehe "Miststück" Nr. 70 ("Mr Hudson And The Library"), siehe aber auch The Rumble Strips.

Die Zutaten sind bewährt: ein schneller, simpler Beat, dazu eine genauso einfache Melodie, die sich auch dann im Ohr festsetzt, wenn man noch verzweifelt am letzten Traumzipfel hängt, und dazu eine volle Bläserbreitseite, die selbst die größte Schlafmütze aus den Federn treibt. Die Rüttelstreifen, deren noch junge Karriere in der Gegend von Exeter, genauer in Travistock begann, machen wirklich alles richtig. Der Sound stimmt und hätte es schon 1982 ohne Zeitgeist-Eingriff in die Charts geschafft. Das wird Charlie Waller und seinen Kumpanen auch ein Vierteljahrhundert später gelingen, weil das Ding eindeutig was hat: Schmiß, Charme und eine Fröhlichkeit, die manchmal ansteckend sein kann. Nur als Wecker ist "Alarm Clock" wirklich ungeeignet; der Schwung wirkt dann penetrant, das Gebläse wie ein Hurrikan.

In Deutschland und Österreich wird der Song wahrscheinlich nicht auf den Playlists der Radiosender auftauchen - zumindest dann nicht, wenn alles wieder so läuft wie in der Pop-Prähistorie: Schon damals blieb Ska, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, eher unbemerkt von der Masse der Rundfunkhörer. Und auch wenn es die kränkelnde Musikindustrie in ihrem Elfenbeinsiechenturm nicht so gerne hört: Ohne massives Airplay-Gedudel in der Morgenstund läßt sich der witzig-ruppige Charmebolzen wirklich genießen - von wenigen, aber geschmackssicheren Menschen, die sich das Ding als Import holen, bevor hierzulande jemand auf die Idee kommt, es zu veröffentlichen.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

The Rumble Strips - Alarm Clock (Maxi-CD)


Universal Music UK (GB 2007)

 

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