Nine Inch Nails: "Various Methods Of Escape"
Enthalten auf der CD "Hesitation Marks" (Polydor/Universal)
Das mußte unweigerlich einmal so kommen - empfindet Manfred Prescher. Bisher hat er immer verweigert, sich mit dem Phänomen Trent Reznor zu beschäftigen. Doch der Urlaub ist vorbei, und es ist Zeit, wieder den Hammer zu schwingen. 16.09.2013
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Was für ein Jubiläum war das! Ich bin immer noch hin und weg oder sogar hin und her, weil die Idee, einfach mal den Elektronikschrott die Auswahl der zu besprechenden Feiertags-Songs bestimmen zu lassen, überaus gut ankam. Praktisch jeder hat irgend so ein Ding oder "Gädsched", wie es auf Neu-Niederösterreichisch heißt. Und darauf sammelt sich gar merkwürdig Zeug, das umso luzider vor sich hin merkwürdelt, je ausführlicher man das Kasterl im Shuffle-Modus die Mediathek durchsurfen läßt. Ein Heidenspaß war das - und dabei eigentlich via unbefleckter Empfängnis mit einem Geistesblitz aus der Not respektive Faulheit heraus geboren. Eine Jungfrau mag zwar irgendwie hübscher sein, aber dieser Zustand ist in aller Regel genauso flüchtig wie das Ergebnis unserer Spontanauswahlen.
Ich höre, also bin ich? Musiksoziologen (genau, so etwas gibt es wirklich) behaupten ja hartnäckig, daß man den Menschen anhand dessen erkennen kann, was er hört. Wenn das stimmt, stimmt es dann auch für vom Mobiltelefon erzeugte Spontanergüsse? Sicher bin ich mir dessen nicht, obwohl die folgende Tatsache ja nicht zu leugnen ist: Das iPhone habe ich selber mit Musik gefüllt. Zieht man ein wenig Beliebigkeit ab, bleibt ein soundmäßiger Obatzda übrig, der vielleicht tatsächlich signifikante Persönlichkeitsmerkmale verkörpert. Aus diesem Grund habe ich die neue CD "Hesitation Marks" von Nine Inch Nails auch wieder vom Gerät runtergezogen. Was soll mein Psychologe von mir denken?
Nicht daß Ihr jetzt glaubt, die CD wäre irgendwie ranzig, fade oder einfach nur schlecht. Nein, Michael Trent Reznor weiß ziemlich genau, was er tut. Und im Vergleich zu "The Slip", dem letzten, auch schon wieder fünf Jahre alten Werk, ist "Hesitation Marks" ein Meilenstein. Allerdings einer mit bizarren Eiskristallen darauf. Irgendwie habe ich die frostige Welt von Nine Inch Nails immer als eine einzige Attitüde wahrgenommen. Nein, liebe Leser, das despektierlich gebrauchte Wort "Gutmensch" kommt mir nicht in die Logitech-Ersatzfeder, denn es stammt von den Nazis. Wenn Gutmenschen böse sind, dann wären ja im Umkehrschluß böse Leute eigentlich gar keine schlimmen Finger, sondern ... nicht auszudenken. Das hieße ja, Österreicher könnten Fußball spielen, weil sie es ja eigentlich nicht können. Und Deutsche Skifahren.
Reznor entführt uns wieder mal in eine Hölle, die aus der Industrialisierung zu stammen scheint, wie sie Ufa und Hollywood schufen: Es drängen sich Bilder auf, die von Fritz Lang oder Charlie Chaplin stammen könnten - der entmenschte Mensch, dem nur die Schmerzen bleiben. Der im Zweifelsfall nur "Flüchten oder Standhalten" kann, beides bis zum finalen Umfallen. Die zwei von Horst-Eberhard Richter irgendwann in der bunten Vorzeit namens siebziger Jahre skizzierten Wege bieten folglich keine Lösung für irgendetwas. Laut Trent Reznor und "Various Methods Of Escape" ist nämlich Standhalten auch nur eine weitere Form von Flucht bzw. nur mit Flucht in die Winkel der eigenen Befindlichkeit zu ertragen. Denn wir alle leben in einer Welt, die wir uns in Dolby Atmos und 3D zurechthalluzinieren. Sonst wären wir vermutlich tot.
Das klingt defätistisch und letztlich auch zynisch. Und da liegt der Hase begraben, dem Reznor als leidenschaftlicher Tierschützer freilich nie das Fell über die Ohren ziehen würde. Denn laut Herrn Richter ist Zynismus oft ein Mittel, "sich vor destabilisierender Niedergeschlagenheit zu schützen". Niedergeschlagen war Trent Reznor praktisch schon immer. Als musikalischer Sisyphos wälzt er seit 1988 tonnenschwere Stahlblöcke Abhänge hinunter, was genauso schwer ist wie das Hinaufschieben beim alten Griechen. Schließlich kommen die Kolosse leicht in Fahrt und rollen im Zweifelsfalle alles platt.
Nine Inch Nails sind also wieder da, die Welt ist schließlich immer noch oft ein garstiger Ort. Manchmal aber ist sie auch wunderschön. Deswegen wird es nächste Woche erst mal um Mayer Hawthorne gehen. Dessen Soul könnte mittlerweile sogar das Herz von Trent Reznor erwärmen, wenn der ein Interesse dran hätte. Mir ist das egal. Am Montag entzünde ich auf jeden Fall in der Kathedrale meines Herzens einen Kerzenleuchter exklusiv für euch, liebe Leser. Nine Inch Nails sollen derweil in der Unterstadt weiter für einen Kapitalismus mit Veganer-Antlitz werkeln.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Nine Inch Nails: "Various Methods Of Escape"
Enthalten auf der CD "Hesitation Marks" (Polydor/Universal)
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.
Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.
Kommentare_
Naja, wenn Sie das sagen, lieber Herr Prescher, dann sollten wir NIN auch einmal unter diesem Aspekt hören. Nur Ihre Herleitung des Wortes "Gutmensch" (das den Gutmenschen freilich nicht in ihr schmales Weltbild paßt) ist etwas sehr zweifelhaft. Dieses Wort existiert nämlich erst seit den mittleren bis späten 80er Jahren, also etwa so lange wie Nine Inch Nails. Und da waren die Nazis schon längst Geschichte.
Hallo Herr Dr.,
das Wort Gutmensch wird erst seit den 80er Jahren exzessiv und immer wirrer verwendet - da haben Sie recht. Es stammt in seiner ursprünglichen, ebenfalls abwertenden Bedeutung aber tatsächlich aus der NS-Zeit. Die Sprachforscher des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung die Herkunft entdeckten den Begriff häufig in der Zeit des Nationalsozialismus. So soll die Bezeichnung bereits für die Anhänger von Kardinal Graf von Galen verwendet worden sein, die gegen die Ermordung Behinderter durch die Nationalsozialisten auftraten. „Gutmensch“ sei eine Ableitung vom jiddischen „a gutt Mensch“. Der Deutsche Journalistenverband verweist auch auf Adolf Hitler, der in seinen Reden und seinem Buch „Mein Kampf“ die Vorsilbe "gut" in Verbindung mit "Mensch" wiederholt in abwertendem Zusammenhang verwendet hatte. So waren für ihn gutmeinende und gutmütige Menschen diejenigen, die mit Feinden des deutschen Volkes kollaborierten.
Sei dem, wie es sei. Das Wort ist auf jeden Fall ein ziemlich bescheuerter, dummdeutscher Schmarrn.
Geehrter Herr Prescher!
Entschuldigen Sie meine späte Antwort, ich war ein paar Tage weg vom Computer und anderswo.
Jedenfalls: Sogar die meist absolut systemtreue und staatstragende Verlautbarungen wiedergebende Wikipedia geht mit Ihrer Version der Herkunft des Wortes "Gutmensch" nicht ganz konform. Dort steht nur, daß der gewerkschaftsnahe Deutsche Journalisten-Verband zusammen mit einem privaten, sich selbst als links einstufenden "Forschungsinstitut" den Ursprung des Wortes "Gutmensch" irgendwo im Nationalsozialismus "vermutet". Daher ist es sinnlos, aus diesen "Forschungsergebnissen" zu zitieren - weil genau die Gutmenschen, die mit der herkömmlichen (und keineswegs aus dem Nationalsozialismus - übrigens, der ist seit nunmehr 68 Jahren vorbei! - stammenden) Bedeutung gemeint sind, versuchen natürlich, von ihrer traurigen und dummen Existenz abzulenken, indem sie alles, was nicht in ihr diktatorisch-widerliches Konzept paßt, irgendwelchen "Nazis" in die Schuhe schieben. So wird heute Politik gemacht (oder das, was sich dafür hält), und so arbeiten die neuen Blockwarte und Sturmtruppen des Systems. Und ob deren Gutmenschen nun nur nützliche Idioten oder die gefährlichere Version sind - man muß da nicht mitspielen. Findet Ihr
Dr. Trash