Paul McCartney: "On My Way To Work"
(Fotos: Paul McCartney)
Enthalten auf der CD "New" (Concord/Universal)
Manfred Prescher hat vor längerem angekündigt, mal über den ewigen Beatle zu schreiben - und sich dann sauber davor gedrückt. Aber irgendwie führt kein Weg daran vorbei. 03.02.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Darf man, so fragt sich der überaus trendig-aufgeklärte Zeitgenosse, an die unbefleckte Empfängnis oder an den "Klapperstrauß" (Helge Schneider) glauben? Diese Frage ist freilich genauso nutzlos wie die, ob es möglich ist, stilsicher und modern zu sein, während man gleichzeitig Paul McCartney hört.
Ich aber sage euch: Ja, das ist absolut möglich. Erstens waren die Beatles durchaus kreuzgute und sehr talentierte Burschen, denen man sogar die Pilzkopffrisuren nachsehen kann. Und zweitens ist "New", das 16. Studioalbum des ewig jungen, auch schon 71 Jahre alten Bassisten der Fab Four auch echt wunderbar geraten - so altmodisch, aber eben doch frisch und munter, daß der CD-Titel perfekt paßt. Das Ergebnis klingt tatsächlich teilweise sehr schwer nach den Liverpooler Stadtmusikanten, etwa beim Titelstück oder auch bei "Early Days". Obwohl: Da kommt Pauls Stimme doch schon recht seniorenmäßig und gebrechlich rüber, aber das ist wohl Absicht. Will er uns doch sagen, daß "alte Säcke" im Gestern leben. Aber sehen wir mal vom Schweinerock-Habitus des Openers "Save Us" ab, ist McCartney so taufrisch wie der lichte Frühlingsmorgen auf den sanften Wiesenhügeln des Allgäus. Letztlich ist es auch wurschtegal, ob Mark Ronson, Ethan Jones, Paul Epworth oder Gilles Martin, der Sohn des "fünften Beatle" George Martin, im Studio an den Reglern saß.
Weil - so hör´ ich zumindest die Kritikaster murren - der McCartney immer so typisch nach McCartney klingt. Mal ehrlich: Nach was oder nach wem soll denn einer tönen, der zusammen mit seinem Partner John Lennon Lieder verfaßt hat, die heute noch zig-Millionen Mal verkauft werden? Jeden Tag werden mehr "I Want To Hold Your Hand"s oder "Hey Jude"s aus dem Netz gesaugt als Hits von Katy Perry oder Lady Gaga. Nichts gegen die beiden Damen, aber auch die werden schon jetzt auf ihre spezifisch schrille Art festgelegt. Und wenn man dann erst, wie McCartney, Jahr für Jahr mit den wohlgeratenen "Altlasten" Unsummen verdient, kann man sich dem Zirkus nicht entziehen. Warum auch?
Für uns klingt McCartney vertraut, das kann nerven. Wenn aber Paul seinen Job gut macht, dann können wir das bedenkenlos genießen. Und ihm ein langes Leben in Frieden und unbescheidenem Wohlstand wünschen. Im Gegensatz zu Lennon weilt er nämlich noch unter uns und belegt, daß Lust und Laune keine Frage des Alters sind und Reichtum auch Freiheit bedeuten kann. Nebenbei sage ich euch hier, daß ich McCartney schon immer seinem Partner vorgezogen habe. Das spricht nicht wirklich gegen Lennon, sondern für den im Juni 1942 geborenen Sohn von James und Patricia McCartney. Ich finde, daß er ein begnadeter Songschreiber war und ist. So etwas wie "Gesterntags" (Walter Moers) muß man erst mal hinkriegen. Das kann nicht jeder. Daher hat der Mann eigens sieben Menschen beiderlei Geschlechts und aus allen Kontinenten angestellt, die dafür entlohnt werden, seine 4805 Grammys abzustauben. Diese Preise hat er auch als Ex-Beatle dermaßen verdient, weil er - vor allem mit den Wings - aus dem Einheitsbrei hervorquellende Alben herausbrachte. "Band On The Run" zum Beispiel. Oder das unterschätzte "London Town", das ich mir vor kurzem erst nach einer Operation intravenös als positive Aufweckstimulanz in Körper und Seele pumpen habe lassen - zusammen mit "New". Selbst die einäugige Hosenschlange groovte sich munter werdend ein und blickte der vermutlich blonden Zukunft entgegen.
Besonders hat es mir grad "On My Way To Work", so eine Art Großstadtversion des "Girl On The Billboard" a.k.a. "Die Frau mit dem Gurt", angetan. Ich glaube zwar nicht, daß Paul McCartney mit einem grünen Bus aus der Liverpooler Vorstadt Allerton zum Job gondelt, an der Stechuhr den Malocherblues anstimmt und sich mittags mit zwei Dauerwurststullen begnügt, aber was soll´s. Man kann auch in Ich-Form Geschichten erfinden - das hab ich selbst schon nachhaltig und nicht unbedingt auf ehrenwerte Weise bewiesen. "On My Way To Work" ist auf jeden Fall sehr charmant.
Paul erzählt darin, daß er ein wohl eher anrüchiges Magazin gekauft und sich in ein hübsches Mädchen aus Chichester verliebt hat. Die junge Frau, die im übrigen Geschichte studiert und hobbymäßig auf Wasserskiern herumtobt, verschönt ihm den Tag. "On my way to work/As I was clocking in" wünscht Paul sich, daß sich die Süße aus der Kleinstadt in West Sussex nur für ihn ausziehen möge. McCartney ist dabei überhaupt nicht sexistisch, sondern sehr einfühlsam und warmherzig im Umgang mit der Phantasie des "Working Class Hero". Kein feuchter Traum, sondern Fluchtversuch in eine schlicht schönere Welt. Das braucht man auch, wenn man "Eight Days A Week" arbeitet und an jedem verdammten Abend in seiner kargen Butze einsam abhängt, ohne Liebe und ohne die eigenen fünf Minuten Ruhm. Und während draußen praktisch jeder andere in einer Castingshow herumstolzieren darf, mäandert man zwischen Wecker und Stechuhr, Mittagsgong und Entwerterautomatenklingel umher, bis sich die Liedzeile des Heiligen Hiram "Hank" Williams unweigerlich erfüllt haben wird: "I´ll Never Get Out Of This World Alive".
Bis dahin, Girls and Boys, genießt das Leben, sucht euch Liebe und Erfüllung im "real life", aber gebt euch ab und zu etwas McCartney. In Dosen genossen, bereitet das große Freude, schöner Götterfunken. Nächste Woche geht es hier um Reverend Horton Heat, den Hohepriester des Rockabilly-Country. Also paßt auf euch auf. Der Rest paßt dann automatisch auch.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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