Paul Weller - 22 Dreams
Universal (GB 2008)
Als Gott entdeckte, daß die Menschheit verdammt uncool geworden war, ließ er in einem Kaff in Surrey einen Jungen zur Welt kommen, der uns auf den rechten Pfad zurückführen sollte - sagt Manfred Prescher. 09.06.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Am 25. Mai wurde Paul Weller 50 Jahre alt. Manche Journalisten versteiften sich zu diesem Anlaß darauf, den Modfather mit dem Adjektiv "alt" zu belegen, was natürlich völliger Quatsch ist. Wenn einer wie das blühende Leben aussieht und die menschliche Umsetzung des Begriffs "Hipness" ist, dann Weller. Andererseits verwundert es schon, daß der Brite erst auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken kann - denn das, was er geleistet hat, verpacken andere in drei oder noch mehr Karrieren.
Kurz zur Erinnerung: Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre brachte er mit The Jam Style und Stil in den Punk, Hits wie "The Eton Rifles", "Town Called Malice" oder das ebenso logische wie gelungene Kinks-Cover "David Watts" inklusive. Nach dem überraschenden Ende der Band entwickelte er mit dem Projekt Style Council eine swingende Brit-Variante des Groove und bewies nebenbei, daß weiße Männer eben doch Soul haben können. Weil das aber in Europa seltener vorkommt als im Land von Sam Cooke, Al Green und Marvin Gaye, waren Style Council besonders groß - remember "My Ever Changing Moods" oder "Solid Bond In Your Heart".
Da Weller sich nur ungern auf Lorbeeren ausruht, war auch das Konzil mit Mick Talbot nicht für die Ewigkeit gedacht. Richtig frei fühlte sich Paul erst, als er allein und ungebunden seinen musikalischen Neigungen nachgehen konnte, was er die letzten eineinhalb Jahrzehnte lang mit Schmackes und teilweise extrem tollen Alben wie "Wild Wood", "Stanley Road" oder "Heavy Soul" exzessiv machte. Wer die Hits aus den drei Karrieren des Paul Weller nonstop hören will, braucht Doppel- oder Tripelherz, um nicht vor Verzückung aus den Latschen zu kippen und vom Herzkasperl über den Jordan getragen zu werden - und die 4-CD-Schachtel "Hit Parade".
Wie oft sich Weller auf seinen Soloplatten neu erfunden hat, kann niemand sagen. In der Regel sind sogar die einzelnen Stücke so voll mit verschiedenen und bis dato unbekannten Ideen, daß kein Rechenschieber zum Addieren reichen würde. Selbst Paules Freund und Kupferstecher Noel Gallagher zeigt sich in Interviews öfters überrascht von der kreativen Potenz des rüstigen Fünfzigers. Die Verblüffung des Oasis-Frontmanns ist ob der eigenen Kreativschwächen übrigens völlig angebracht, wie das von ihm mitgeschriebene "Echoes Round The Sun" belegt: Der Song, der als Doppel-A-Seite der Single "Have You Made Up Your Mind" beigepackt wurde, gehört zu den schwächeren auf dem neuen Album "22 Dreams". Von den 22 Träumen des Herrn W. bekommen wir aber sowieso nur 21 mit, weil einer davon dem Vernehmen nach so grausig sein soll, daß nur wahre Splatterfans daran gefallen finden würden.
Das Cover zur Nachtwelt des Künstlers ist eine Mischung zwischen Claude Monet und Disneys "Alice im Wunderland", die Musik changiert hin und wieder arg zwischen Euro-Jazz und dem Berieselungs-Soundtrack für ein Hippie-Kaufhaus. Aber immerhin: Ein Dutzend allerbester Weller-Songs bleiben immer noch übrig - und daraus würden andere Künstler locker drei oder vier Alben machen. (Im Falle von Oasis würde die Ideenvielfalt bei der derzeitigen Qualität des Outputs sogar noch wesentlich weiter reichen.) Im Gegensatz zum mediokren "Echoes Round The Sun" ist die Flipside der Single ein echter Weller von gutem Schrot und Korn. Man braucht die Kurze aber trotzdem nicht, weil beide Tracks zu den "22 Dreams" gehören.
Mag sein, daß man im Schlaf nicht sündigt - auf Morpheus´ Planeten scheint man jedenfalls viel kreativen Freiraum zu bekommen. Der 50. Geburtstag ist exakt der richtige Zeitpunkt für ein Konzeptalbum, das sich mit Träumen beschäftigt. Bei Jungspunden ist die Schlafphase ja nur kurz und dank Drogen- und anderer Exzesse viel zu tief; da ratzt man in den bis zum Morgenkaffee verbleibenden Minuten so bleischwer, daß es schon die Instrumente eines modernen Labors braucht, um irgendeine Aktivität zu messen. Ist man wiederum so alt wie Mick "Methusalem" Jagger, dann ist das Schlafbedürfnis so gering, daß die verträumte Zeit noch nicht einmal reichen würde, einen Telefonjoker anzurufen und ihn nach dem Ausgang in die reale Umgebung zu fragen.
Ein wenig verschwurbelt ist es natürlich schon, die privaten Träume in Popsongs zu packen und auf einem Album zu versammeln. Was den rastlosen Künstler überhaupt nicht stört, weil es zu Wellers Haupteigenschaften gehört, daß er seinen Weg geht - stur wie ein Panzerwagen. Ihm waren Marktmechanismen immer schon genauso egal wie die Rezeption seiner Alben in den Medien. Die britischen Musikzeitschriften hält er sowieso für oberflächliche Comic-Hefte, die für Fans und Songwriter gleichermaßen unwichtig sind.
Ein paar Menschen sollten "22 Dreams" natürlich schon kaufen. Erstens sind Designer-Anzüge teuer, und zweitens hat der Mann ein Haus voller Kinder. Wem Pauls Traumlandschaften allerdings zu barock und zu Sergeant-Pepper-mäßig durchproduziert sind, der kann sich die Special Edition besorgen, wo auf einer Bonus-Disc die kargen Ursprungsversionen der Songs zu finden sind. Wie ein Archäologe legt Weller bei den "Demos" die einzelnen Schichten der Lieder frei - und siehe da: Sie sind mindestens so wunderbar wie vieles, das bislang die Signets "The Jam", "Style Council" oder "Paul Weller" trug. Der Hit "Have You Made Up Your Mind" gewinnt durch die Entschlackungskur am meisten; das soulige Stück funkelt plötzlich wie ein früher Van-Morrison-Diamant. Cooler geht es kaum.
Wesentlich uneleganter geht es nächste Woche an dieser Stelle zu. Dann regiert König Fußball mit seiner Mischung aus Blut, Schweiß, ewigen Weisheiten und schlechten Songs.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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