Lilly Wood & The Prick and Robin Schulz: "Prayer In C”
Enthalten auf der gleichnamigen Maxi-CD (Warner)
Die Welt geht unter - weil wir Menschen einfach auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen. Mit diesem Grundtenor spricht man der Jugend dermaßen aus der Seele, daß es nicht verwundert, wenn ein Welt-Hit draus wird. Das findet zumindest Manfred Prescher, der als ewiger Kindskopf auch ein Fable für solche Songs hat. 21.07.2014
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Zunächst mal muß ich mich an die eigene Jugend erinnern. Denn Tony Ramone - nicht verwandt oder verschwägert mit den anderen Ramones, die den Zirkus hier bereits verlassen haben - ist verstorben. Der Schlagzeuger der New Yorker Punkband The Ramones drosch sich ungepflegt, aber effektvoll durch "Blitzkrieg Bop", "I Wanna Be Sedated" oder "I Wanna Be Your Boyfriend" und war mittlerweile längst so aus der Zeit gefallen, daß es wahrscheinlich in Kürze zu einer großangelegten Renaissance der trutzig-rotzigen Rockerbande gekommen wäre. Sprich: Irgendein cooler DJ irgendwo zwischen Wellington und Obereinherz hätte vielleicht "Beat On The Brat" genommen und einen kräftigen Schubs aus der Retorte über das "Brat" gelegt. Von Tonys eigenem Spiel wäre dann wohl nichts mehr übrig gewesen, aber immerhin hätten die Ramones so vermutlich ihren ersten Nummer-1-Hit abbekommen.
Ihr denkt sicher, was fabuliert denn unser Kolumnist da schon wieder? Und was hat der für ein Zeug zu sich genommen? Aber bei meiner Ehre: Außer Kaffee und etwas Frühstücksmüsli rein gar nix. Außerdem ist das Ganze auch gar nicht mal so abwegig. Schließlich passiert genau das immer und immer wieder: Ein technisch begabter, Internet-affiner Produzent oder DJ durchstöbert das Web und findet eine Perle, die sich veredeln läßt. Oder er holt sich einen Künstler mit ins Boot, der mit seinen Ideen dazu beiträgt, daß sich Erfolge einstellen. Im Moment sind es zwar eher soulige und folkige Songs, die mit einem zusätzlichen Groove unterlegt werden, aber man kann auch die Ramones kräftig rannehmen: "Sheena Is A Punk Rocker" als Techno-Hammer? Das funktioniert bestimmt so gut wie seinerzeit bei "Every1´s A Winner" von Alan Vega.
Ich hab´ da so einen Traum. In dem nehme ich das mit sonorer Stimme von Telly Savalas gesprochene "If", das 1975 ein Hit war, das aber längst kein Schweinderl mehr kennt, und lege einen sanften Dubstep-Beat darunter. Das Ding geht - zumindest in meinem Schwurbel - ab wie Schmidts Katze. Und meine Freundin wäre zuerst stolz, dann genervt, weil sie das Lied jeden Tag beim Aufwachen im Radio hören müßte.
So ähnlich geht es wahrscheinlich auch der Freundin des Osnabrücker DJs Robin Schulz. Der ist allerdings schon Wiederholungstäter: Erst nahm er sich das im Benelux-Raum erfolgreiche Rap-Soul-Stück "Waves" von Mr. Probz vor und nun verwurstet er das in Frankreich entstandene, dort aber nur auf einem Album veröffentlichte Folk-Stück "Prayer In C" vom Duo Lilly Wood & The Pricks. Das erste Cleverle seiner Art ist Schulz natürlich nicht, da schon DJ Aviciis letztjähriger Welt-Hit "Wake Me Up" durch die Stimme und die Songwriter-Kunst von Aloe "I Need A Dollar" Blacc lebte. Und bereits im Jahr zuvor war ein israelischer Sänger namens Asaf Avidan mit einem Lied namens "One Day/Reckoning Song" gefühlte 78 Wochen Nummer 1 der Hitparaden - aber erst, nachdem DJ Wankelmut einen sanften Beat darübergelegt hatte.
Ich hätte es wirklich bald vergessen, aber als ich mich wieder an "One Day" und den Sänger mit den seltsamen Stimmlagenwechseln erinnerte, wußte ich, daß dies die Blaupause zu "Prayer In C" ist. Ja, und Folk mit einem sanften Disco-Groove geht halt immer noch sehr gut - man kann den einen oder anderen Dollar damit verdienen. Siehe auch "Far Away (She Moves)", wo DJ Alle Farben mit der Sängerin Graham Candy kollaboriert. Hier - wie auch bei "Prayer In C" - wird eine rauhe, verletzlich-kraftvolle Frauenstimme in den Beat eingewoben; bei "One Day" klingt der Sänger teilweise wie Janis Joplin oder P. J. Harvey. Und über allem liegt stets ein Beat, auf dem die Gedanken beim Hören praktisch von Oberstdorf nach Osnabrück und von da aus weiter bis nach Ohio surfen können.
Ob Lilly Wood & The Pricks bzw. deren Sängerin Nili Hadida mit ihrer sehr nihilistischen Weltsicht Recht haben bzw. hat? Ich weiß es nicht. Aber es könnte, gerade im Anblick der andauernden Katastrophen der Menschheit, wohl so sein. Und wenn man sieht, wie zynisch Konfliktparteien während ihrer verblödeten Scharmützel mit den eigenen Mitmenschen umgehen, sollte man die Hoffnung auf eine bessere Welt vermutlich begraben. Und selbstverständlich kann man dann - analog zu Lilly Wood - auch das unvermeidliche Ende von Liebesbeziehungen aus dem Weltenchaos deduzieren. Das haben Teenager übrigens schon immer so gemacht, ob zur Zeit der Rolling Stones, der Sex Pistols oder von The Smiths. Mit Recht übrigens, denn es hat sich ja nichts verändert auf Gottes weitem Rund.
An die Liebe darf man aber trotzdem glauben. Sonst könnte man sich ja gleich die Kugel geben. Übrigens habe ich festgestellt, daß es in Beziehungen doch nicht immer zerstörerisch läuft. Nehmt das zum Trost und wartet auf nächste Woche. Da schreib´ ich dann für euch über die Fantastischen Vier. Die sind mittlerweile genauso jenseits von Gut und Böse wie die gleichnamigen Marvel-Comics aus den Sixties. Bis dahin wünsche ich euch eine friedvolle Woche mit liebevollem Approach.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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