Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 84

Rihanna: "Umbrella"

Schon wieder Regen. Man holt den Schirm heraus, spannt ihn auf und lauscht dem Geprassel der Wassermassen. Der Song dazu ist sonniger als nötig - findet Manfred Prescher, der wie immer mehr zu berichten weiß: über Schokoladen-Beats etwa und das Siechtum der Musikindustrie.    11.06.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wenn sich ein Lied in den deutschen Charts raketenartig von Null auf Eins katapultiert, dann kann das zwei Gründe haben: Entweder es trifft den Massengeschmack von Otto und Marie Normalmusikhörer - oder es ist wieder eine dieser Wochen, in denen fünf verkaufte Maxi-CDs genügen, um den Hitparaden-Thron zu erklimmen. Wahrscheinlich ist beides der Fall, da die Maxi-CD von allen "physischen" Tonträgern, die es so gibt, am schnellsten ausstirbt. Der Fan besorgt sich schließlich das komplette Album; hin und wieder kauft er es sogar.

Wer nur den Hit will, saugt ihn im für die Musikindustrie günstigsten Falle legal für 99 Cent aus dem Netz und shufflet ihn zu den anderen Lebensabschnitts-Songs ins Innere des angebissenen Äpfelchens. Über die Qualität des Liedes sagt diese volkstümliche Vorgehensweise natürlich nur bedingt etwas aus. Ob Herbert Grönemeyer oder der Protagonist aus "XY ungelöst - Dieter Bohlen sucht den Super-Trottel" - generell ist alles möglich. Hin und wieder landet sogar ein richtig guter Song ganz oben. Geschmack ist bekanntermaßen Glückssache und eher eine Seltenheit. Um es mit Fehlfarben zu sagen: "Das Schlechte muß sich gut verkaufen." Aber wenigstens bleiben die Marktmechanismen seit einiger Zeit gleich.

Daß dieser Umstand zum Niedergang eines kompletten Medienindustriezweigs führt, ist möglicherweise tragisch, wahrscheinlich aber eher ein Akt der Barmherzigkeit, wenn ich an die zurückliegenden Jahre des Siechtums denke. Neue Strukturen schaffen vielleicht auch neue Chancen für Künstler, Fans und meinethalben auch die globale Musikwirtschaft. Vielleicht können die Trümmerfrauen aus den Presseabteilungen beim Wiederaufbau zeigen, daß sie aus der Katastrophe gelernt haben. Bis dahin bleibt alles, wie es ist. Der Patient hängt am Tropf und bekommt ab und an einen Energiestoß, der das Leben noch ein wenig verlängert.

 

Ein solcher Impuls kommt von Rihanna, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in England höchstmöglich in die Charts eingestiegen ist. Dort sind solche Turbo-Durchmärsche seit Beginn der offiziellen Hitlistenerstellung im Stonehenge des ausgehenden Jahres 1952 durchaus an der Tagesordnung. Oft schafften es seither echte Geniestreiche direkt an die Spitze.

Ganz so doll ist Rihannas im Verbund mit dem Rapper und Produzenten Jay-Z entstandene Nummer "Umbrella" zwar nicht, aber man hat schon Schlechteres als Ohrwurm bezeichnet. Die in Barbados geborene Sängerin entspricht auf den ersten Blick zwar absolut den Schönheitsidealen von MTV, "Bravo" und der HipHop-Community, aber man sollte die Dame nicht nur nach den falschen Fingernägeln beurteilen.

Das Label Def Jam nahm sie nicht nur wegen ihrer zielgruppentauglichen optischen Attribute unter Vertrag, sondern auch wegen ihres Könnens. Das zeigte schon der erste Hit "If It´s Lovin´ That You Want" von 2005. Drei Alben und sich verdoppelnde Absatzzahlen zeugen davon, daß es Rihanna geschafft hat, zur Rechten von Christina A. oder Beyoncé sitzen zu dürfen. Und wie reagieren die Fans auf den neuesten Hit? Bei YouTube schreibt ein "baynado" über das feuchtfröhliche Video zu "Umbrella", beziehungsweise über die Sängerin: "Oh Mann, ist die heiß!" Und "mk23" findet es oder sie "hammergeil". Gleichzeitig versucht er sich als Prophet und formuliert den Satz: "Bin wirklich begeistert von dem Video. 100%ig ein No. 1 Hit!"

Als Weissager eignet sich mk23 nicht wirklich, da die Charts-Auswertung zum Zeitpunkt seines Postings bereits feststand. Aber alles halb so wild: "Umbrella" steht oben. Was weniger am Text liegt, denn der gehört selbst im R&B-Flachland nicht zu denen, die besonders viel Esprit versprühen: "When the sun shines, we´ll never be worlds apart." Und erst der Refrain mit dem ebenso stupiden, aber doch zum Hops-Rhythmus passenden, folglich extrem eingängigen Sirenenecho "Under my umbrella/Ella ella eh eh eh" ... Klingt fast nach der Frage, die der typische Tourist einem alpinen Bergmassiv einfach stellen muß: "Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?" Und der brave Monte Zuckerhütl antwortet "Esel, Esel, Esel" zurück. Daß das "eh eh eh" fast wie "I-aah" klingt, ist sicher nicht gewollt.

 

Auf jeden Fall schmeckt mit diesem Stück Herumgebounce der Sommer. Der Beat folgt den seit 20 Jahren üblichen Vorgaben aus HipHop und flottem Soul. Wie ein Frauenkörper um die Metallstange im Striplokal schlängelt sich Rihannas Stimme drumherum. Daß das nicht so billig klingt wie sonst im Genre der Aaliyahs üblich, liegt an der knackigen Produktion und der charmanten Melodie.

Und man sollte gnädig sein: Für den einmaligen Gebrauch auf der Party oder im Club eignet sich der Song absolut. Die Crux mit solchen Stücken ist allerdings, daß sie schon fade klingen, wenn die Masse beginnt, darauf abzufahren. Glücklicherweise ist diese Zeitspanne dieses Mal recht kurz, so daß noch ein, zwei Tage bleiben, "Rain man is back with little Miss Sunshine" zu genießen. Das ist wie mit dem Eiskonfekt im Kino: Ist die Schachtel leer, reicht es auch wieder mit dem süßen Zeug.

Bleibt noch eine Frage zu klären: Der Bürgermeister von Wesel ist eine hübsche, im Vergleich zu Rihanna richtig natürlich wirkende Frau namens Ulrike Westkamp. Und die singt wahrscheinlich eher "Unter einem Regenschirm am Abend hakt man sich zum ersten Male ein/Unter einem Regenschirm am Abend kann es Gott sei Dank nicht anders sein ..."

Auch gut.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Rihanna - Good Girl Gone Bad


Universal Music (USA 2007)

Links:

Kommentare_

bruce - 11.06.2007 : 19.16
Uff, gut daß ich heutzutage so prima von diesem Business abgeschirmt bin und nur noch hören muß, was ich will; so ist mir das Teil bis jetzt erspart geblieben. Früher mal war ich im Tonträgerhandel beschäftigt und allen Ohrwürmern schonungslos ausgesetzt.
Ansonsten: interessante Serie, super Artikel!
reg - 03.09.2007 : 10.41
das ist scheisse

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.