Kolumnen_Miststück der Woche III/63

Robbie Williams: "Minnie The Moocher"

Muß man wirklich alte Sachen nachsingen, nur weil der Zahn der Zeit so massiv an einem nagt und einem nichts mehr von Belang einfällt? Nicht unbedingt, aber es schadet auch nix - findet Manfred Prescher.    09.12.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Ich war doch ziemlich gespannt, wie sich Robbie Williams, der ewig feuchte Traum vieler Mädels, aus der Affäre ziehen wird, wenn er einen meiner absoluten Lieblingssongs interpretiert. So richtig gescheitert ist der Mann aus Stoke nicht, was auch daran liegt, daß die Bigband den Sound der röhrenden Zwanziger recht ordentlich hinbekommt. Man hat sogar das Gefühl, der originalen Kombo des wohl doch leider unvergleichlichen Cab Calloway zu lauschen. Auch der Gesang ist nicht so übel, aber auf die charmante, zur wilden Raserei hochgetriebene Scat-Einlage verzichtet Robbie. Wahrscheinlich, weil auch diese Kunst irgendwie von Können kommt - und er kann es halt nicht.

Daß er damit den Song um seinen Spannungsbogen beraubt, hat er sicher nicht bemerkt, sonst hätte er "Minnie The Moocher" hundertprozentig nicht aufgenommen. Wo doch die Blues Brothers Band um Donald "Duck" Dunn und Steve Cropper im Verein mit einem ebenso alten wie endscoolen Calloway gezeigt haben, wie die Minnie wirklich zu klingen hat. Tja, Robbie, die anderen Songs auf deinem sehr zweideutig betitelten Album "Swings Both Ways" sind echt nett, du wirst zwar nie Sinatra oder Crosby, aber das ist auch OK. Jeder swinge schließlich, wie er kann - und nicht wie der Nebenmann. Und weil ich gerade so in einer echten Fair-Trade-Stimmung bin, werde ich den Herrn Williams und die liebe Leserschaft mal kurz an die Hand nehmen und gemeinsam mit den werten Herrschaften durch die Zeit reisen. Also gut festhalten und Vorsicht an der Bahnsteigkante!

 

Die Samtvorhänge schimmern dunkelrot, die Rauchschwaden sind so dicht, daß man meint, die Luft schneiden zu können. An den Tischen sitzen wohlhabende Menschen, die ihren besten Sonntagsanzug ausführen. Sie sind die Gewinner, denen Börsenspekulation und schnelle Geschäfte ein Stutzer-Leben in Braus und noch mehr Saus ermöglichen. Das Geld fließt in Strömen, aber das macht nichts. Es ist genug davon da. Nicht für alle, aber wenigstens für die, die den großen Gatsby markieren können. Sie halten sich für die Elite, weil sie im Eiltempo schaffen, wofür die ersten Kapitalisten noch Jahrzehnte voller Bilanzen und Ausbeutung gebraucht haben. Daher zeigt man, was man hat. Besonders hier im Cotton Club, der in einer Gegend liegt, die eher übel beleumundet ist.

Glitzer und Geschmeide, neckische Kleider, die viel Knie zeigen, Smokings und Pomade - man gibt sich elegant und verrucht. Wer im Big Apple "in" ist und genug Geld hat, die schwarzen Swingstars zu bewundern, trifft sich mit Gleichgesinnten an der Ecke 142. Straße und Lennox Avenue. Hier in Harlem hat Boxchamp Jack Johnson sein Etablissement eröffnet. Hier im Cotton Club treten sie alle auf, die Ellingtons, die Armstrongs, hier spielen King Oliver und Cab Calloway zum Tanz und zur Belustigung der Trendsetter. Und die warten darauf, daß die Nacht zum Tag wird, daß sich die Triebe hysterisch kanalisieren lassen in einem mitreißenden Schwung, den Cabell "Cab" Calloway am besten drauf hat. Der Mann kommt nicht aus dem Ghetto, sondern ist Sohn eines recht angesehenen Anwalts und wird - wie seine Schwester Blanche - Künstler und eben nicht Gutbürger. Er gibt der Meute, was sie will, scheint aber immer über ihr zu stehen. Auch an jenem Abend im Jahr ´29, als sich alle hochschaukeln wollen. An der Wall Street drüben in Manhattan, wo Kurse in Höhen steigen, die keiner für möglich gehalten hätte. Und hier in Harlem, wo der Vulkan brodelt und jeder Angst hat, in den kochenden Sumpf zu fallen.

Die Stimmung ist aufgeheizt, der Club längst zur Sauna geworden. Nervös nesteln die Damen an ihren Handtaschen, die Herren ordern noch einen Kaffee - und warten auf die Porzellantasse mit dem irgendwo in der Bronx gebrannten Teufelszeug. Die Band spielt das magische Intro, dann geht der Vorhang auf und eine schlanke Gestalt beginnt zu singen: "Here is the story ´bout Minnie the moocher ..." Cab Calloway hat dieses Lied zusammen mit dem Musikverleger, Sänger und Komponisten Irving Mills geschrieben, aber das schert an diesem Abend niemanden, genausowenig wie die Tatsache, daß "Minnie" eine Kopie des Traditionals "Willie The Weeper" ist. Namen sind Schall und Zigarettenrauch; was gestern war, ist heute vorbei. Und was morgen ist, kann ruhig noch ein Weilchen im Nebel verhangen bleiben. Bedächtig fängt Calloway an und wird immer schneller. Jede Strophe endet mit einem Scat, und je mehr sich seine Stimme zu überdrehen scheint, desto mehr rasen die Leute im Club mit. Sie stampfen, johlen, tanzen, singen. Doch Cab singt schneller als seine Schatten unten im Publikum. Er kontrolliert sein Organ noch bei gefühlten 200 km/h, während das Volk in Richtung "befreiendes Lachen" ausbricht. Die Glut im Vulkan sieht schon viel weniger beängstigend aus an diesem Abend.

Nun, Calloway hat einen echten Partykracher für die Ewigkeit geschrieben, der funktionierte in den 20ern, in den 60ern und auch bei den Blues Brothers - weil das Lied einfach auf geschmackvolle Art und Weise Fahrt aufnimmt. Wie ein Duesenberg, der sanft anrollt und dann zum eleganten Rennwagen wird. Robbie Williams hat das irgendwie nicht begriffen, im Gegensatz zu den Toten Hosen. Deren "Bommerlunder" funktioniert schließlich auf die gleiche Weise wie "Minnie The Moocher" - obwohl sie nicht im Duesenberg, sondern im Opel Commodore unterwegs sind. Aber der packt die 200 auch spielend.

 

Nächste Woche wird es hier um etwas gehen, das mir sehr am Herzen liegt: Ich lasse das Jahr Revue passieren und nehme dazu ein Stück von Volcano Choir. Die klingen übrigens eher nach erloschenem Lava-Massiv, aber das nur am Rande. Bis dahin: Führt eure Liebste oder euren Liebsten in den Cotton Club bei euch in der Gegend oder im Herzen. Habt Spaß! Darauf ein freudig-erregtes "Hi-de-hi-de-hi-de-ho" von Cab Calloway und mir.  


 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Robbie Williams: "Minnie The Moocher"

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Enthalten auf der CD "Swings Both Ways" (Island/Universal)

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