Kolumnen_Miststück der Woche, Pt. 88

Rodney Carrington: "Show ´Em To Me"

Männer ziehen in Kriege, besuchen regelmäßig Blutbadetempel und beten dort zum Gott der Finsternis. Dabei könnten sie leicht von ihrem Tun abgehalten werden - schließt zumindest Manfred Prescher aus diesem Hit.    09.07.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Preisfrage: Was war eigentlich am 24. April 1982? Das weiß natürlich keiner mehr. Daher verrate ich es: Am Abend dieses Tages stand Nicole in Harrogate auf der Bühne und flehte zur Wandergitarre um "Ein bißchen Frieden". Sie gewann zwar damals den Grand Prix d´Eurovision, ihr Wunsch ging allerdings nicht in Erfüllung. Im Gegenteil: An allen Ecken des Planeten krachte es weiter, das Grauen regierte mit ungebremster Vehemenz. Während Politiker über die Aufteilung der Welt diskutieren und Intellektuelle, Weltverbesserer, Popen und eben Nicole sich mit diversen, teils romantischen Ideen aus den jeweiligen Tiefen ihres Verstandes und der theoretischen Bildung heraus Gedanken über eine bessere, gerechtere, was-auch-immer Erde machen und sich sogar Superstars zum regelmäßigen "Sound-in" in unseren Fernsehapparaten treffen, geht es mit Terror und Gewalt munter weiter.

Daß es einen einfachen Weg zum Frieden gibt, behauptet ausgerechnet Rodney Carrington, der wie George W. Bush aus Texas stammt und wie dieser eine Mischung aus Witzbold und Redneck darstellt. Wo beim US-Präsidenten allerdings noch klerikale Verbrämtheit und amtsbedingte Gefährlichkeit hinzukommen, ist Carrington eher ein Mann, der mit deftigen Zoten und sexistischen Liedern um die Publikumsgunst ringt - und damit sowohl bei der US-Intelligenzija als auch beim letzten Hinterwäldler gut ankommt. Daß ihn viele Frauen auf dem Kieker haben, ist dann nur folgerichtig. Wobei sie mit ihrer ablehnenden Haltung womöglich ernsthaft dem Weltfrieden im Weg stehen ...

 

Rodney Carrington weiß, wie es gehen könnte: "Show them to me, show them to me/Unclasp your bra and set those puppies free/They´d look a whole lot better without that sweater, baby I´m sure you´ll agree/If you got two fun bags/Show them to me." Zugegeben, der Refrain sagt noch nichts über die politische und friedensstiftende Dimension des Busenzeigens, aber er verwendet doch ungewöhnliche Worte: hier "fun bags", später noch "chi chi´s" und "casabas".

Doch der Song fängt natürlich nicht mit den Mitsingzeilen an. Carrington geht gleich mit den ersten Sätzen in medias res und macht sich an die Beweisführung: "Well it seems to me that this whole world´s gone crazy/There´s too much hate and killin´ goin´ on/But when I see the bare chest of a woman/My worries and my problems are all gone/No one thinks of fightin´ when they see a topless girl/Baby, if you would show yours too, we could save the world."

Das klingt in der Wortwahl fast schon wie eine englische Version von "Ein bißchen Frieden" oder von Michael Jacksons frommem "Heal The World". Natürlich kamen in diesen Hits keine "Boobies" vor. Wenn es nach Rodney und der Mehrzahl seiner Geschlechtsgenossen ginge, hätte Nicole ja seinerzeit nur die weiße Klampfe beiseitelegen und die züchtige dunkle Bluse ausziehen müssen - und der Welt wäre dadurch womöglich nicht nur kollektives Ohrensausen erspart geblieben.

Mit Jackos Song und einer Vielzahl anderer Weltverbessererhymnen hat "Show ´Em To Me" nicht nur weite Teile der Wortwahl gemeinsam. Auch die unverschämt eingängige Hymnenmelodie, die sich produktionstechnisch fast schon in Gospel-mäßige Höhen aufschwingt, paßt: So muß ein Gutmenschenlied einfach klingen - egal, ob auf dem Cover U2, Marvin Gaye, Celine Dion oder Rodney Carrington steht. So singt er dann auch zum zuckersüßen Arrangement: "All the world will live in harmony/It´al do ya good, it´al give me wood, we´ll make history" um dann mit "If you love your country, I´m gonna say it one more time/I said if you love your country, yeah/ Then stand up and show them big old titties to me" zu enden.

 

Natürlich glaube ich nicht an die Verbindung von Weltfrieden und Busen-Offenbarung, aber irgendwie stimmt´s natürlich: Wer auf die schöne Bergwelt unserer Heimat blickt, der denkt vielleicht gar nicht mehr ans Kämpfen. In Wahrheit weiß natürlich auch Carrington, daß ein globales Brüstezeigen nichts an der Weltlage ändern würde, aber es wäre doch wundervoll, wenn durch das Betrachten der prächtigen Vorbauten, die die Natur der holden Weiblichkeit nun einmal beschert hat, das Morden und Brandschatzen allüberall aufhören würde.

So bekäme das, was uns Männern Spaß macht, noch eine zusätzliche Legitimation und Rodney für seine Forschungsarbeit den Friedensnobelpreis. Und wenn eine Lady entrüstet fragt, ob man ihr wirklich so ungeniert in den Ausschnitt starren muß, antwortet man frank und frei: "Ja, das ist dringend notwendig!" Man kann diese Aussage inhaltlich noch untermauern, indem man - je nach Geschmack oder Grad der Schüchternheit - entweder darauf pocht, daß man gerade seine Augen auf friedensstiftende Mission geschickt hat, oder nachfragt, ob es ihr denn lieber wäre, wenn man sich stattdessen sofort und ohne über "Los" zu ziehen auf den Kriegspfad begäbe.

Das Lied steht übrigens in bester - oder übelster, je nach Standpunkt - Country-Tradition. David Allen Coe nahm zwei Alben mit ähnlichen Songs auf, nur viel härter und schweinischer. Carrington macht sich einen eher harmlosen Jux, und der ist auch noch schön anzuhören. Nebenbei gesagt: Meiner Meinung nach ist der Song nicht wirklich frauenfeindlich. Gut, darüber ließe sich diskutieren - wenn man denn den Gag unbedingt zerstören will. Auf jeden Fall ist er eine Überzeichnung von "Heal The World" und anderen Songs, die mit menschlichen Sehnsüchten spielen und mit heuchlerischen Hoffnungsschimmern herumhantieren - zur Gewinnmaximierung natürlich.

Eine weibliche Brust ist allemal schöner und ehrlicher. Zumindest da hat Rodney recht.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Rodney Carrington - King Of The Mountains


Capitol Nashville (USA 2007) 

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