Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 83

Solomon Burke: "Nothing´s Impossible"

Nichts ist unmöglich - diesen Slogan kennt man ja eigentlich von einem japanischen Autobauer, dem tatsächlich merkwürdige Pannen passieren. Besser ist es daher, sich die Botschaft von einem wahrhaft Großen zuraunen zu lassen, findet Manfred Prescher.    21.06.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Solomon Burke ist ein wahrhaft Großer - er ist geschätzte 3,50 Meter hoch, breit wie eine altdeutsche Schrankwand und genauso massiv.  Daß dieser wandelnde Airbus A380 trotzdem einer der letzten Soulmänner ist, wundert nur auf den ersten Blick. Echte Fans wissen, daß er die Musikrichtung Soul miterfunden hat und sich immer wieder zu ihrem König gekürt hat.

Weltliche Angelegenheiten schätzt der als geschäftstüchtig bekannte Burke genauso wie himmlische. Er besitzt ein eigenes Bestattungsunternehmen und ist Bischof in seiner eigenen Kirche. Solomon singt Songs "to make love by", was auch sehr gut funktioniert; besser zumindest als etwa bei den Sex Pistols oder Rammelstein. Dieser wunderbar elegante Baß, der sich aber auch zu einer ziemlichen Dienstgipfelhöhe aufschwingen kann, ist eine Klasse für sich. Da wundert es auch nicht, daß der Mann, dem wir Immergrünes wie "Everybody Needs Somebody", "If You Need Me" oder eine unglaubliche Version von Sam Cookes "A Change Is Gonna Come" verdanken, zum Vorbild für die Stones, für Tom Jones, Rod Stewart, aber auch Al Green (siehe Miststück II/26) wurde. Green seinerseits, der übrigens ebenfalls im Auftrag des Herrn unterwegs ist, stellte die Verbindung zwischen Burke und dem Produzenten des Albums "Nothing´s Impossible" her ...

Womit ich beim traurigen Teil meiner heutigen Assoziationskette angekommen bin - bei Willie Mitchell. Der Mann, der bei den meisten Songs und Alben von Al Green hinter den Reglern saß, der für den unverwechselbaren Sound von "Let´s Stay Together" oder "Tired Of Being Alone" sorgte, der den Klang des berühmten Hi-Records-Label von Ray Harris prägte, starb kurz nach den Aufnahmen zu "Nothing´s Impossible". Am 19. Dezember 2009 stand sein Herz still, am 5. Januar ging Mitchell endgültig - im Alter von 81 Jahren - von uns, sodaß Solomon Burke die Ehre zuteil wurde, dem Werk des großen Produzenten einen finalen Höhepunkt beizufügen. Mitchell, der unter seinem Namen ein paar ziemlich geile, aber leider völlig erfolglose Platten herausbrachte, hat uns ein weiteres dichtes, weiches und doch kraftvoll herzerwärmendes Album hinterlassen. Es klingt dermaßen nach Al Green, obwohl Burke unüberhörbar er selber und mit sich im reinen ist. Das Titelstück als positives Vermächtnis, als Signal an alle Liebenden, daß eben alles möglich ist, wenn zwei zusammenstehen - das ist eine Geste, mit der sich gut abtreten läßt - fast so schön wie Cashs letztes "Aloa Oe".

 

Nichts ist unmöglich, das stimmt. Bei Willie Mitchells besten Stücken hatte ich immer das Gefühl, sie würden sogar Schweizer Bergmassive zu Gefühlsregungen verleiten und die größten Eisberge zum Schmelzen bringen. Music to make love by? Wenn man Liebe mal in all ihren Facetten betrachtet, dann bietet das Gespann Burke/Mitchell in der Tat den idealen Soundtrack für die Liebe.  Und der ist schwelgerisch, aber nicht aufdringlich, soulful, aber nicht weichlich. Solomon Burke läuft zu Höchstform auf, was trotz der guten Platten der letzten Jahre wundert. Immerhin hat der  Soul-Koloß aus Philly im Laufe seiner nun auch schon fünfeinhalb Jahrzehnte lang andauernden Karriere schon manchen Mist, etwa das 87er-Album "Love Trap", herausgebracht. (Das Ding ist so schlecht, daß es eigentlich schon wieder in jede Sammlung gehört.)

Andererseits ist der 70jährige Altmeister noch heute so fit, daß er sogar wieder auf Tour gehen will. Das wäre ein Konzerterlebnis, das nur noch durch den längst sagenumwobenen Auftritt Al Greens beim Begräbnis von Mitchell getoppt werden kann. Wer dabei war, spricht von einem ergreifenden und genialen Moment. Für uns, die wir weit entfernt von Memphis still vor uns hintrauern müssen, bleiben eine ganze Reihe wunderbarer Werke, fein mit der Handschrift von Willie Mitchell "hinkalligraphiert". Es lohnt sich, diese Platten zu suchen oder sich wenigstens zum Anfang ein paar Kompilationen herauszuamazonen. Und obwohl Solomon Burke noch ziemlich leibt und lebt, sollte man auch dessen Platten suchen; speziell die ganz frühen Singles, die er in den mittleren und späten 50er Jahren für Apollo und Singular aufnahm, sind echte Kleinode zwischen Blues, Gospel und Soul. Genauso natürlich seine erfolgreichste Phase für Atlantic, die von 1961 bis 1968 dauerte. Wer ein paar Hörtips braucht, wende sich vertrauensvoll an den "Miststück"-Autor seines Vertrauens.

In der nächsten Woche will ich noch ein Hohelied auf den guten Groove singen und mich mal ausgiebig mit Prince beschäftigen, nicht nur weil "Prince in Linz" ein okayer Reim ist. Gut, das manische Genie aus Minneapolis hatten wir hier zwar schon, aber für den Gott, der zwar nicht Himmel und Erde, aber immerhin des ultimative Doppelalbum "Sign O´ The Times" gemacht hat, muß die Ausnahme einfach sein.  Außerdem höre ich grad alles, was zwischen "Dirty Mind" und "Graffiti Bridge" herauskam. Und da fällt mir ein, daß er mit "Annie Christian" schon früh ein Stück schrieb, das die ganzen Affären rund um die Verlogenheit der Kirche thematisierte ...

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Solomon Burke - Nothing´s Impossible

(Photos © Nigel Skeet)

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