Kolumnen_Miststück der Woche III/67

Stephen Malkmus & The Jicks: "Cinnamon & Lesbians”

Die Oscars gehen Manfred Prescher jetzt schon auf die Nerven. Früher ist er bereits wegen der Nominierungen ewig und drei Tage aufgeblieben, heute schlafen ihm schon beim Gedanken an die fade Zeremonie die Füße ein. Deshalb läßt er das angekündigte Thema fallen wie Maschen beim Stricken - und geht stattdessen mit euch zurück in die seligen 90er Jahre.    20.01.2014

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Ach, laßt mich doch noch ein paar Worte über die goldene Statue verlieren. Ist eh alles amtlich und längst fix. Gehen wir zum Beispiel mal davon aus, daß Robert Redford (ja, der weilt immer noch irgendwie unter uns) die Trophäe überreicht bekommt. Immerhin wird der kalifornische Mime am 18. August auch schon mindestens 135 Jahre alt, was eine preis- und denkwürdige Leistung ist. Im Dolby Theatre wird man ihm am 2. März daher den Oscar in die Hand drücken, weil er - ganz allein und für einen derart betagten Greis ziemlich fit - einen kompletten Film bestreitet. Wenn man von reichlich Wasser absieht, das ihn umgibt, natürlich.

In "All Is Lost" trotzen er und seine Nußschale widrigsten Witterungsbedingungen und kämpfen ums Überleben. Insider sprechen davon, daß sich Redford auf diese Rolle besonders gezielt vorbereitet hat: Erst soll er ausnehmend lange und warm gebadet und dann Poolpartys veranstaltet haben. Schließlich, so wird kolportiert, sei er in einem von Google Maps gesponserten Einbaum mehrfach um die Welt geschippert. Das ist tatsächlich eine beachtliche Leistung. So etwas kann man also schon mal belohnen. Aber dann hätte eine mir namentlich näher bekannte Weibsperson mindestens zehn Oscars verdient. Denn diese Frau meistert ganz allein noch ganz andere Dinge: schwerkranke Mutter pflegen, Tochter erziehen, in einem harten beruflichen Haifischgewässer am Ruder stehen und dabei auch noch quietschvergnügt bleiben. Und abgesehen davon, daß Redford viel faltiger aussieht, hält sie ihr Deck auch trockener.

Intermezzo im Anschluß an die Nominierung: Wahrscheinlich ist das aber auch der Grund, warum Redford völlig überraschend mit seinem Bötchen vor Hollywood gekentert ist und nicht einmal nominiert wurde. Aber unter uns: Wir gehen davon aus, daß der Opi wenigstens den Oscar der Herzen gewinnt, denn der Film ist - um das mal klarzustellen - wirklich hervorragend.

Wie komme ich jetzt zu Stephen Malkmus? Wahrscheinlich nur, indem ich andeute, dessen Platte "Wig Out And Jagbags" wäre die ideale Untermalung für die anstehende Preisverleihung in der Kategorie "Hauptdarstellerin im Film des Lebens". Sie würde sich das sehr schöne, sanft rockende - darf man heute noch "rockend" schreiben? Egal, ich nehme mir die Freiheit - "Cinnamon & Lesbians" selber wünschen. Würde sie es denn kennen. Aber das kann sich ja ändern.

 

Moment mal. Stephen Malkmus? Muß man den kennen? Klar - der war mal dermaßen wichtig, daß ein ganzes Jahrzehnt ohne ihn undenkbar gewesen wäre. Zumindest, wenn man den Kritikern glaubt, die das schon behauptet haben, als er noch von Stockton aus mit seiner Band Pavement die Indie-Jünger um sich scharte. Weil, so stand es seinerzeit in einer Musikpostille, sich hier die frühen R.E.M. mit Sonic Youth, den Pixies und britischen Post-Punk-Heroen wie The Fall auf das Trefflichste mischten. Malkmus selbst klang und klingt dabei eher nicht wie Michael Stipe, sondern wie Ray Davies oder meinethalben der junge Paul Weller. Damals, am Übergang vom Neogen zum Quartär, also in den 90er Jahren des vor einiger Zeit von uns geschiedenen Jahrhunderts, war das gleichzeitig so innovativ und altklug, daß ich Alben wie "Wowee Zowee" oder "Crooked Rain, Crooked Rain" schlicht und einfach überhörte. Man hätte mich schon, nur mit orangefarbenem Ölzeug und einem Walkman samt Pavement-Kassetten ausgestattet, in einer Segeljolle auf hoher See aussetzen müssen, damit ich mich überhaupt mit dieser Musik beschäftige.

Heute klingt der Sound, den Malkmus mit seiner aktuellen Band The Jigs spielt, immer noch extrem eklektizistisch, aber das paßt mir deutlich besser ins privatdudelige Feng Shui. "Cinnamon & Lesbians" ist der intelligente Popsong, bei dem der Mann von Musikwelt einen wahren Zitatenschatz heben darf. Man kann sogar Journey und Elvis Costello herausfiltern (muß man aber nicht unbedingt). Die junge Frau aber, die das Leben mindestens so gut meistert wie "unser Mann" an Bord seiner "Virgina Jean", wird den melancholisch-kraftvollen Gesang lieben, genauso wie die Breaks in der Melodie. Die sind nämlich wie das echte und wahre Leben - mal volle Kraft voraus, mal Anker lichten und den Nordstern suchen. Eine Gemeinsamkeit verbindet die von Redford gespielte Figur mit der Frau aber wirklich: beide mußten schon mal ohne Laptop auskommen, weil der pitschepatsche naß war. Das hält ja schließlich keiner aus. Wäre das anders, dann hätte das Notebook auch einen Oscar verdient –- in der Kategorie "beste Nebenrolle im Überlebenskampf".

Nächste Woche wird es hier um den rappenden Schauspieler und Comedian Donald Glover gehen. Der Scherzkeks treibt grad als Childish Gambino sein vorzügliches Unwesen. Das wird ein Spaß! Bis dahin seid freundlich zueinander, sonst setzt es was. Alles in allem sollte es uns ja über alle Geschmacksgrenzen hinweg um den liebevollen Approach gehen. Ich gehe jetzt auch - und zwar in "The Wolf Of Wall Street". Den neuen Scorsese muß ich sehen, auch, wenn der Film wohl nicht zu den Highlights in seinem Œuvre zählen soll. Ach, und wahrscheinlich kriegt Leonardo DiCaprio nicht mal unverdient einen Oscar. Wenn es für ihn als Börsenwolf nicht reicht, dann doch als Produzent des elendslangen, zynisch-lakonischen Streifens ...

 

 

 

Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Stephen Malkmus & The Jicks: "Cinnamon & Lesbians”

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Enthalten auf der CD "Wig Out at Jagbags" (Domino Records/Goodtogo)

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