Kolumnen_Miststück der Woche III/26

Suede: "It Starts And Ends With You"

Als Manfred Prescher vor kurzem das neue Album von Suede auf den Tisch bekam, konnte er zunächst nicht soviel damit anfangen. Es wirkte irgendwie mindestens so aus der Zeit gefallen wie das aktuelle Werk von Eric Clapton. Aber dann ... Nettes Teil!    25.03.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Ich hoffe, Ihr habt die Feierlichkeiten zum 225. "Miststück" gut überstanden und bleibt die nächsten Wochen bei der Stange. Tät´ mir sehr in mein emotionales Feng-Shui passen. Um meine Freude zu untermauern, werde ich mir auch zukünftig Mühe geben mit dieser Kolumne, werde über den grünen Klee loben, wenn ich es für angebracht halte, und in den Harz kicken, wenn es Mist ist.

Aber manchmal ist ein Urteil nicht so ohne weiteres zu fällen. Was mach´ ich zum Beispiel mit "Bloodsports", der aktuellen CD von Suede? OK, sie ist rund und glänzt von der Unterseite her auch sehr apart, aber das tut die von Helene Fischer auch. Die Musik rockt ganz ordentlich, doch das kriegt selbst Justin Biberschwanz ab und zu hin. Muß man etwas gut finden, nur weil die Herren um den beeindruckend präsenten Sänger Brett Anderson den Britpop quasi miterfunden haben? Oder weil sie echt faule Säcke sind, die in knapp 25 Jahren gerade mal sechs Studioalben zusammenbrachten? Nein, das ist alles Mumpitz. Aber muß man es andererseits schlecht finden, weil es irgendwie altbacken nach den 90er Jahren klingt? Freilich auch das nicht. So schlecht war das längst vergangene Jahrzehnt ja auch nicht. Es brachte immerhin Oasis oder auch Public Enemy hervor, und man selbst war noch sooo jung und unschuldig, hatte weder das gerade erfundene Viagra noch Gleitsichtbrille nötig. Betrachtet man es mal so, dann ist es doch auch wieder schön, daß Suede noch genauso bringen wie damals. Mir ist übrigens aufgefallen, daß die 90er wieder groß im Kommen sind und daß man bei der musikhistorischen Timeline meist die "Nullerjahre" vergißt.

Das liest sich dann so: Erst gab es die Dinosaurier, dann die Gregorianischen Gesänge, dann Bach, Mozart und Louis Armstrong - genau, der war der erste Mann auf dem Mond und sang, vom Erdtrabanten aus auf unseren Planeten blickend, "What A Wonderful World". Kurz darauf kamen die 50er mit Elvis, die 60er mit den Beatles, die 70er mit Disco, die 80er mit Michael Jackson, die 90er mit Suede und die Jetztzeit mit ... ja, mit wem eigentlich? Auf jeden Fall mit mir - um das mal festzuhalten. Dazwischen fehlen die "Nullerjahre", aber da steht ja schon der Name für "Nix los in Jack´ und Hos´!" Also Schwamm drüber, Honey.

Aber das erklärt immer noch nicht, was ich mit Suede anfangen soll. Die erste Single "It Starts And Ends With You" ist eine so typische Britpop-Breitseite, daß sie eigentlich Spaß machen könnte. Und Zeilen wie "Zuviel ist nicht genug/es beginnt und endet mit dir" sind so zeitlos, daß man sie praktisch automatisch mitsingt - egal, ob draußen noch prähistorische Eiszeit herrscht oder die Nordsee bereits dermaßen weit ins Land hineinschwappt, daß man hofft, die Berge des Spessart wären hoch und stabil genug, um Nürnberg vor den Fluten zu verschonen. Trotzdem hält sich die Begeisterung insgesamt in Grenzen; Suede sind halt "hattbecks es´n Päärt", wie es in Nordfranken so treffend heißt.

Ach, dieses Chaos in meinem Schädel! Wo sonst Klarheit herrscht, kämpfen Gedanken und Gefühle - und Suede sind schuld daran. Was also tun? Ich versuche, es mal so zu formulieren, frei nach dem Kommunikationsguru Friedemann Schulz von Thun und seinem Modell vom Inneren Team, bekannt auch unter "Ach, so viele Seelen in meiner Brust!" Anwesend sind der Musikkritiker (Analytiker), der Nörgler, der Genußmensch, ein Fan und der Sitzungsleiter. Also, hereinspaziert in mein Mini-Team-Meeting:

 

Sitzungsleiter: Hier haben wir die neue Suede-Platte, die wir mal bewerten wollen.

Genußmensch: Warum müssen wir die denn bewerten? Können wir nicht einfach Spaß mit dem Ding haben?

Fan: Suede ist die allergeilste Band der Welt!

Musikkritiker (ignoriert den Fan) Aber man kann doch die Platte nicht losgelöst vom restlichen Werk der Band und von aktuellen Strömungen betrachten ...

Genußmensch: Warum eigentlich nicht?

Fan: Suede ist die allergeilste Band der Welt!

Alle anderen gemeinsam: Raus hier, du hast hier nix zu suchen! (Fan verläßt schimpfend das Meeting.)

Nörgler: Ich glaub´ nicht, daß das Gerede überhaupt was bringt.

Sitzungsleiter: Meine Herren, so kommen wir doch nicht weiter. Ich finde, jeder von euch sollte seine Eindrücke mal zusammenfassen.

Alle reden plötzlich durcheinander, die Stimmung heizt sich auf, was von außen durch Schweißperlen auf diversen Stirnen sichtbar wird.

Sitzungsleiter: Ich darf doch um Ruhe bitten. Jeder von euch soll nun seine Meinung in nur einem Satz kundtun. Es geht reihum. Genußmensch, fang du an!

Genußmensch: Die Platte ist echt klasse, sie rockt, und solche "Lalalas" versüßen einem echt den Tag!

Musikkritiker: Sie ist tatsächlich besser als "Head Music" von 1999, aber deutlich schlechter als ihr Debüt "Suede" von 1993.

Nörgler: Und auch das war damals ziemlicher Müll ...

Sitzungsleiter: Ich muß doch bitten! Wie ist nun deine Meinung?

Nörgler: Ich bin es leid, auf wirklich gute Platten zu warten - in meinem Leben wird´s die nicht mehr geben.

Sitzungsleiter. Also gut, dann redet noch mal alle durcheinander. Es setzt sich der durch, der am lautesten schreit. Ich gehe einstweilen raus und höre mir die Suede-CD selber an. Weil die nämlich insgesamt recht OK ist. Vor allem dieses breitbeinig-maskuline "It Starts And Ends With You", wo ein Mann klar und mit deutlichen Worten Stellung bezieht. Ich komm´ dann in zehn Minuten wieder rein, und dann werden wir gemeinsam mit dem Fan einen heben. Oder auch zwei. Ende der Sitzung.

 

Nächste Woche wird es dann um den ehemaligen Kraftwerk-Mann Karl Bartos gehen, der grade eben eine seltsame Platte veröffentlicht hat. Über deren Qualität sind sich meine Stimmen Gott sei Dank mal einig. Ob ich die CD "Off The Record" liebe? Ihr werdet es erfahren, wenn ihr bei der Stange bleibt.

 


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Suede: "It Starts And Ends With You"

Leserbewertung: (bewerten)

enthalten auf der CD "Bloodsports" (Rykodisc/Warner)

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