The Very Best Of The Clovers
Rhino (Warner)
And the countdown continues - wir sind bei der Nummer 9 angelangt. Von sich aus ist die Zahl nicht magisch, aber ein begnadet harmonisches Songwriter-Team hat gleich zweimal alle Neune in die Charts gekegelt. Manfred Prescher hat sich schweren Herzens für einen der beiden Hits entschieden. 23.08.2010
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Mitte der 80er stand Frank Sinatra zum letzten Mal auf den Brettern, die seine Glitzerwelt bedeuteten. Bei den finalen Konzerten wurde für Jerry Leiber und Mike Stoller ein Traum wahr, da Ol’ Blue Eyes ein Lied sang, das sie extra für ihn geschrieben hatten: "The Girls I Never Kissed". Kurz vor dem Ende des Lebens ein doch eher bedauerndes Fazit; ist es doch so etwas wie die musikalische Fortsetzung von Marcel Reich-Ranickis berühmtem Satz, der besagt, daß man nicht mit allen Frauen schlafen könne, es aber versuchen solle. Zum Schluß merkt man dann, daß das Vorhaben mit Pauken und Trompeten, in Samt und Seide gescheitert ist. Genau so ein Lied zauberten Leiber und Stoller Sinatra auf den Leib, als der wirklich schon den "September of his years" erlebte. Das Stück wurde mal mehr, mal weniger despektierlich in etwa so angekündigt: "Das nächste Lied stammt von zwei Typen, die eigentlich all die Hits für Elvis geschrieben haben. Aber jetzt sind sie älter, dicker und weiser. Sie schreiben nun Songs wie diesen ..."
Es stimmt, was Sinatra sagte, der geniale Texter Jerry Leiber und sein nicht minder hochbegabter Komponistenpartner Mike Stoller waren für viele Meilensteine von Elvis verantwortlich, etwa für "Jailhouse Rock", "King Creole" oder das famose "Trouble". Presley coverte auch ihr "Hound Dog", aber die Ära der Zusammenarbeit währte kurz. Leiber und Stoller kamen mit Elvis’ Manager "Colonel" Tom Parker nicht zurecht. Das machte aber auch nichts, weil die beiden Blues-, Jazz- und R&B-Liebhaber auch so die 50er und frühen 60er Jahre prägten - mit bahnbrechenden Hits wie "Spanish Harlem", "Yakety Yak", "Stand By Me", "Drip Drop", "Lucky Lips", "Charlie Brown", "Smokey Joe’s Café", "Kansas City", "Ten Days In Jail" oder "Riot in Cell Block No. 9".
Diese messerscharf von den Coasters intonierte Beschreibung eines Knastaufstands hätte natürlich auch zum aktuellen Miststück getaugt, aber die Würfel haben zugunsten des sinnlicheren "Love Potion No. 9" entschieden. Beide Stücke werden aber durch ihren vertrackten und doch eingängigen Groove, den perfekten Doo-Wop-Gesang und die noch perfektere Produktion von Leiber und Stoller geeint. Die Hits trafen den Nerv der Zeit mit ihren wunderbaren Melodien und den noch heute unschlagbar witzigen und geistreichen Worten. "Alle Neune!" - genau das macht "Cell Block" und "Love Potion" so zeitlos. Es sind absolut perfekte Popsongs. Sowas schreibt heute kaum noch jemand, die beiden Brill-Building-Pioniere aber lieferten derartige Meisterwerke am Fließband.
Hier kommen die Clovers und ihre "Love Potion"-Version ins Spiel. Bereits seit 1946, mit wechselnder Besetzung und wechselhaftem Erfolg, perfektionierte die Formation aus Washington, D. C. den mehrstimmigen Gesang. "Lovey Dovey", "One Mint Julep" oder "Blue Velvet" waren Hits, die elegant genug waren, um sie für die Extraportion Leiber und Stoller zu befähigen: "Love Potion No. 9" ist sinnlich, lasziv, gefährlich, sündig und extrem cool - und das alles in nicht mal zwei Minuten. Aus diesem hochverdichteten Etwas macht man nicht erst heutzutage ganze Alben. Schon der Anfang: "I took my troubles down to Madame Rue/You know that gypsy with that gold-capped tooth/She’s got a pad down on Thirty-fourth and Vine/Sellin’ little bottles of Love Potion No. 9" - was sich da abzeichnet, ist mehr als nur ein weiterer Gassenhauer, das ist hohe Dichtkunst.
Ein Mann kommt zur Zigeunerin, weil er kein Glück bei Frauen hat und keine Gespielin findet. Die alte Magierin hat das Zaubermittel, das seine Libido in die Gänge und die Mädels samt und sonders in seine Fänge bringt: "Love Potion No. 9", ein Duftwasser, das eigentlich in jeder besseren Parfümerie zu haben sein sollte. Zusammengemixt und vertrieben wird die betörende, übrigens auch für Damen erhältliche Flüssigkeit von Penhaligon’s. Die traditionsreiche, bereits in den 1860er Jahren gegründete Parfüm-Manufaktur war seinerzeit nicht so glücklich darüber, daß ein einfacher Popsong das eigentlich für eine elitäre Klientel gedachte Produkt promotete, und erhöhte prompt den Verkaufspreis. 1959 landete die Vokalgruppe The Clovers mit "Love Potion No. 9" den größten Hit in ihrer wechselhaften Karriere, und jeder wollte das Parfüm auftragen und sich von dessen Wirkung überzeugen. Übrigens brachten die Liverpooler Light-Beatles The Searchers ein paar Jahre später den Song in die Heimat von Penhaligon’s und ebenfalls in die Charts.
Was die Mixtur anrichten kann, wird nicht endgültig geklärt. Aber sie scheint das jeweils andere Geschlecht völlig willenlos zu machen. Wer die Love Potion anwendet, sitzt wie die Spinne im Netz und kann getrost auf die Opfer warten. Ich gehöre zu den Leuten, die vermuten, daß die giftige Ivy - "Poison Ivy" ist ebenfalls ein Riesenhit aus den Federn von Leiber und Stoller - eine Überdosis Love Potion einsetzt. Dann lähmt es nicht nur, dann tötet es. Aber es gibt schlimmere Arten, ums Leben zu kommen. Genau diese Mischung aus Gefahr und Lust macht das Charisma vieler Songs von Leiber und Stoller aus. Die Clovers hatten mit dem Parfum nicht viel Glück, auch sie gingen an der Überdosis zugrunde. Nach dem Megaseller gelang ihnen nichts mehr, und zwei Jahre später lösten sie sich auf. Leiber und Stoller schrieben munter weiter, doch auch ihre beste Zeit ging - allerdings viel langsamer - dem Ende entgegen. Zuvor entdeckten sie unter anderem noch Phil Spector ...
Nächste Woche zähle ich an dieser Stelle runter zur Acht. Ich habe mich gegen "Eight Miles High" von den Byrds entschieden, weil man ja Drogenkonsum nicht unterstützen sollte - und weil der von Kinky Friedman beschriebene "Eight Miles High"-Club noch elitärer ist als die "Miststück"-Fan-Gemeinde. Also geht es nächste Woche um "Eight Days A Week" von den Beatles. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß es vor einigen Jahren, wohl angeregt durch die verlängerte Woche der Beatles, einen Monty-Python-Kalender mit Bonusmonat gab. Geben Sie´s zu, das wollten Sie wissen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
The Very Best Of The Clovers
Rhino (Warner)
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Kommentare_
Hallo Ihr, verratet doch mal, was nach dem Countdown passiert! Ich will Miststücke und zwar viele. Love Potion habe ich gleich bei You Tube gesaugt, geiler Song. Kannte den gar nicht.
Lieber lars78 !
Wenn es nach uns geht, steht noch vielen weiteren Musikberichten nichts im Wege ... aber hier hat natürlich der Autor das letzte Wort. Wer weiß?
Es freut uns, zu hören, daß Du eine Bildungslücke schließen konntest. (Ich persönlich hätte übrigens - was den Inhalt Nummer Neun betrifft - "Riot In Cell Block No.9" in der Version von Wanda Jackson den Vorzug gegeben.)
Kriminaliät, Gewalt & Grausamkeiten allover - wie ich diesen "Ami-Shit" hasse - grausam nimmt er seit Jahren Besitz von allem - Hass, Hass, Hans?
@ e-t-c: Wir verstehen das. Wir verstehen auch, wenn Sie sich jetzt ein Stündchen hinlegen wollen. Wirklich. Bevor Hans wieder kommt ...