The Cure - Hypnagogic States EP
(Photo © Andy Vella)
Universal (GB 2008)
Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, muß man nicht mehr im Sprinttempo dem Erfolg hinterherhecheln. Es genügt, alle Jubeljahre etwas Besonderes herauszubringen. Wer das nicht kann, sollte weiter auf bessere Zeiten warten - meint Manfred Prescher. 08.09.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Alte Säcke reloaded: The Cure und die immer noch zahlreiche Fan-Gemeinde der englischen Kombo feiern, daß vor genau 30 Jahren die erste Single "Killing An Arab" veröffentlicht wurde. Die Band gab es - als Easy Cure - bereits zwei Jahre vorher, aber kein Mensch nahm von ihr Notiz, weil ein Plattenvertrag mit der deutschen Hansa nicht in klingendes Vinyl umgesetzt wurde. 2009 können die Jünger von Mastermind Robert James Smith den 50. Geburtstag des großen Weicheis unter den Düstermännern zelebrieren. Das werden sie dann auch mit Freude tun, da Smith heute viel gesünder aussieht als Amy Winehouse. Und sie werden mit einem der mittlerweile selten gewordenen Silberstreifen am Fan-Horizont feiern: einer nigelnagelneuen Cure-CD namens "4:13 Dream".
Das Werk soll Mitte Oktober erscheinen, doch bereits seit dem Frühjahr konnte sich der geneigte Hörer einen Eindruck davon verschaffen, wie die Platte klingen wird. Smith läßt in kurzen Abständen Vorab-Singles auf den Markt werfen; "The Perfect Boy" ist bereits die vierte. Dazu gibt´s diverse Remixes und kurz vor dem Release der Langspielplatte noch eine EP, die das A-Seiten-Quartett wiederaufbereitet.
Da frage ich mich doch, ob Schmidtchen Schleicher mittlerweile vergessen hat, wozu Singles im Vorfeld einer Albumveröffentlichung eigentlich da sind: als Appetitanreger nämlich. Fans sollen auf das kommende Heilserelebnis vorbereitet und Otto Durchschnittskonsument mit einem Hit in die Läden oder meinetwegen auch zu iTunes gelockt werden.
Was die Apologeten von Saint Robert angeht, wird die Rechnung wahrscheinlich aufgehen - sie werden die CD erwerben, obwohl sie schon einen beträchtlichen Teil der Songs besitzen. Der Rest der Menschheit wird daran vorbeigehen, wenn er nicht noch zusätzliche Kaufimpulse erhält. Das ist aber eher unwahrscheinlich, weil sich schon die Singles samt und sonders nicht gegen Duffy, Katy Perry oder Coldplay durchsetzen konnten. Selbst The Verve sind mit gediegener Langeweile und einem mittelmäßigen Ashcroft-Stück deutlich erfolgreicher. Im Klartext der britischen und deutschen Charts liest sich die Hitparaden-Bilanz der vier Scheiben so: "The Only One" (GB: 31, D: 77), "Freakshow" (GB: 89, D: 78), "Sleep When I´m Dead" (GB: 68, D: 79) und "The Perfect Boy" (GB: 78, D: 86) - und das sind jeweils die Spitzenpositionen. Bevor sich jetzt meine österreichischen Mitmenschen mokieren und fordern, daß ich bittschön auch noch die Plazierungen im Nachbarland bekanntgeben soll, sag´ ich´s gleich: Keiner der Songs erreichte die Austrian Top 75.
Tatsächlich hat auch keines der Stücke die Qualität von "Boys Don´t Cry", "Charlotte Sometimes", "The Caterpillar" oder meinetwegen auch "Wrong Number", "Lullaby" oder "Never Enough". Auch "Friday I´m In Love" oder "The End Of The World" sind besser. Daher ist für das Album nicht allzuviel Gutes zu erwarten. Und wer - wie ich - The Cure zwar generell mag, aber nicht genug liebt, um jeden Pups zu kaufen, wird "4:13 Dream" großflächig ignorieren. Zwischen den Wohlwollenden und den Liebenden gibt es ganz sicher noch die längst erwachsenen Wave-Nostalgiker von anno dazumal, die sich immer, wenn Namen wie Cure, Smiths oder so fallen, an Club-Abende zurückerinnern, an denen sie sich von DJs wie meinereinem beschallen ließen. Besagte ebenso zahlungskräftige wie zahlenstarke Gruppe wird aber kaum so lange zuhören, bis ihnen "The Perfect Boy" irgendwann mal tatsächlich gefällt. Außerdem sind diese Leute genau diejenigen, die bei Konzerten oder Ü40-Parties sowieso immer "Killing An Arab" oder "Love Cats" hören wollen. Satz mit X? Wahr wohl nix.
Das ist genau die Crux von The Cure: Die vierte und bislang beste Single zur neuen CD ist eine schrammelige und rockige Nummer, die sich durchaus entwickeln kann, wenn man sie läßt. Natürlich ist es müßig festzustellen, daß sie eigentlich mindestens so gut ist wie vieles, was rund um irgendwelche britischen Pennäler gemeinhin gehypet wird.
Läßt man das Gesamtwerk aus drei Jahrzehnten außen vor, was aber kaum jemand, der die 30 rumgekriegt und dabei nicht nur die Original Deppentaler Hundsbuam gehört hat, tun wird, dann, ja dann stellt man automatisch Querverbindungen her - sodaß das neue Cure-Stück im Kontext deutlich abfällt. Wer sich außerdem noch an frühe Indie- und C60-Tage erinnern kann, wird "The Perfect Boy" für genau das halten, was es ist: hübsch schlampig-schrägen Underground-Sound, der auf einem Major-Label erscheint, weil Band und Frontman zufällig immer noch ein bißchen berühmt sind. Massenkompatibilität klingt halt anders. Daß das so ist, darf man aber doch gut finden, denn The Cure hätten es sich mit einer Kopie eines Hits leichter machen können.
Wie das geht und wie vollbesetzte Stadien gerockt werden, wird das nächste "Miststück" zeigen. Es ist nebenbei auch ein Beleg dafür, daß Stumpfsinn und Genie nah beieinander liegen und auch die zigste Wiederholung der Wiederholung noch Spaß machen kann: mit "Rock´n´Roll Train" - der kreuzdämliche Songtitel wird nur von den Namen einiger neuer Motörhead-Stücke getoppt - von AC/DC.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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