The XX - Coexist
Young Turks/Xl Recordings/Beggars (Indigo) 2012
Wir wollen doch schön unabhängig bleiben - und deshalb geht es mit einer sogenannten Independent-Band in die dritten Staffel dieser Kolumnenserie. Die Truppe aus dem Süden Londons schafft den Spagat zwischen trendy Herumschlurfen und Massenbewegung, findet Manfred Prescher. 17.09.2012
Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?
In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.
Kaum zu glauben, aber doch wahr: Der derzeit kürzeste Bandname verwirrt die Radio- und TV-Moderatoren zumindest im deutschsprachigen Raum: Zwei kleine xx, mehr braucht es dazu nicht. Wahrscheinlich haben die Herrschaften Oliver Sim, Jamie Smith und Romy Madley Croft das Buchstabendoppel genau deshalb gewählt. Ich habe mich übrigens auf die Aussprache „Ex Ex“ geeinigt, was irgendwie nach einer neuen Beziehung mit einer alten Beziehung klingt. Bei Lichte betrachtet bietet das zweifache x auch fast so viele philosophische Deutungsmöglichkeiten wie das Werk Theodor Wiesengrund Adornos. Was wird denn da durchgeixt? Welches Geheimnis verbirgt sich dahinter? Die Zahl, die nach Douglas Adams "das Leben, das Universum und den ganzen Rest" beschreibt und damit praktisch einen Gottesbeweis bringt? Ist xx gar das Higgs-Teilchen der Popmusik? Der kleinste gemeinsame Nenner all derer, die glauben, einen guten Geschmack ans Tageslicht legen zu müssen? Oder ist es einfach wurscht oder wumpe, weil Namen ohnehin Schall und Rauch sind?
Ich denke, daß The xx die Band sind, auf die sich alle einigen können, die nicht auf Die Atzen oder den Musikantenstadl stehen. Bevor ich auf die zweifellos enormen Qualitäten des Trios zu sprechen komme, will ich noch ein wenig kalauern. Denn erstens mußtet ihr "Miststück"-Fans irgendwo da draußen zwischen Peine/Niedersachsen und Zufriedenheit/Schleswig-Holstein lange warten. Nicht zu vergessen die zahlreichen Kolumnenliebhaber aus dem sehr realen Örtchen Arschlochwinkel im Dachsteingebiet. Genau - das Kalauern. Die Gitarristin und Sängerin Romy Madley Croft ist natürlich nicht mit Lara "Tomb Raider" Croft verwandt oder verschwägert, aber ihre Musik hat es zumindest einige Male ins 16:9-Format der aktuellen Flachbildschirme gebracht. Denn obwohl die Ex Ex in sieben Jahren Existenz gerade mal zwei Alben veröffentlicht haben und das bislang letzte aus dieser schmalen Reihe brandneu ist, hat es die Formation regelmäßig in Fernsehserien geschafft. Ob "Lie To Me", "Grey´s Anatomy", "Gossip Girl", "CSI", "The Vampire Diaries" oder die sagenhaft erfolgreiche deutsche Actionserie "Alarm für Cobra 11" - immer und immer wieder hört man die Songs "VCR", "Crystalized" oder "Islands". Und bei der Fußballeuropameisterschaft wurde das Intro des ersten Albums, das schlicht "xx" heißt, beim Einmarsch der kurz behosten Gladiatoren verwendet. Ist so viel Präsenz in der Glotze noch Independent?
Allerspätestens seit Adele dürfte auch der letzte Hinterwäldler wissen, daß es heutzutage völlig piepenhagen ist, welche Plattenfirma das Werk letztlich auf CD-ROMs preßt, klein sind die mittlerweile eh alle. Es kommt hauptsächlich darauf an, wie gut Band oder Management mit crossmedialer Vernetzung umgehen können - die aktuelle Single wurde zuerst auf der Facebook-Seite der Gruppe veröffentlicht. Und plötzlich paßt auch "Cobra 11" ins breitformatige Bild. Am Rande sei erwähnt, daß es in und um Köln weitaus friedlicher zugeht, als der gemeine Fernsehzuschauer annimmt. Aber man soll ja eh nicht alles glauben, was da in Full HD an einem vorüberrauscht.
The xx machen aber wirklich gute Musik, irgendwo zwischen elektronischen Dance-Ambient-Klängen, wie sie in diesem Jahr schon von DjangoDjango an uns herangetragen wurden, und minimalistischem Rock oder wie man das nennen soll. Denn Gitarrensoli oder Baßsalven gibt es nicht, das Klangbild ist eher zurückhaltend und schüchtern, fragil - irgendwie denkt der Hörer dabei gar nicht an Hubschraubereinsätze oder Jerome Boateng. "Angels" ist zaghaft, oder neudeutsch "chillig", und trotzdem kann man es nicht als "Designer-Pop" bezeichnen.
Wenn Stefan Raab nun eine Polit-Talkshow lanciert und seine Vorgabe "Mehrheit muß sich wieder lohnen" heißt, dann passen The xx auch dazu. Denn der Bandname steht ganz sicher und eindeutig auch für die schönen Seiten des sonst so schnöden Konsenses.
In der nächsten Woche werde ich hier mal ein wenig launisch-launig - mit einer fränkischen Kombo, die man außerhalb von Bratwurst- und Lebkuchenland erst noch kennenlernen muß.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
The XX - Coexist
Young Turks/Xl Recordings/Beggars (Indigo) 2012
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