Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 5

Apocalyptica & Till Lindemann: "Helden"

Ein Gipfeltreffen echt harter Jungs: Vier Finnen und ein Deutscher nehmen sich David Bowie vor. Das Ergebnis ist zumindest überaus merkwürdig - findet Manfred Prescher.    19.11.2007

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Wann kann man eigentlich von apokalyptischen Visionen sprechen? Wenn man beim Blick über das verregnete Land an die Wiederkehr der Sintflut denkt? Oder erst, wenn das Leben, das menschliche Universum und der ganze Rest durch das Ozonloch und über den Rand der Erde hinaus ins ewige Nichts purzeln? Vielleicht überkommen einen aber schon in der warmen Geborgenheit der winterlich beheizten Wohnstube so düstere Vorahnungen, daß sich damit glatt "Die Offenbarung des Johannes Reloaded" schreiben ließe. Das könnte womöglich dann der Fall sein, wenn auf einmal Rammstein-Sänger Till Lindemann David Bowies "Helden" von sich gibt und dabei alle "r" mit voller Stimm-Muskelkraft ins Lied rollt, die der britische Beau seinerzeit nicht über die eigene angelsächsische Sprachbarriere bringen konnte.

Daß der gebürtige Leipziger Lindemann sich mit dem größten Hit aus Bowies Berliner Phase arrangieren kann, ist naheliegend - und das nicht etwa, weil Till womöglich die Enkel der Drogendealer vom Bahnhof Zoo kennt, mit denen sich David in den Mitt- und Spätsiebzigern an den Spiders From Mars vorbei in Richtung Saturn gebeamt hat. Der Rammstein-Boß ist aus ganz anderem Material; er ist aus echtem Riefenstahl gearbeitet, insofern haben Drogen bei ihm keine Chance. Höchstens mal ein Weißbier, wie in dem lustigen YouTube-Video, wo ein begabter Zeitgenosse ein Stück Konzertvideo der Preußenband mit Haindlings "Bayern, des samma mir" unterlegt hat und in dem Lindemann vor versammelter Fan-Schar ein urbayrisches "Und mir konnst nu a Weißbier bringa" in den Mund gelegt wird. Es lohnt sich, nach dem Clip zu suchen ...

Doch zurück zum Thema: Lindemann lebt seit Jahr und Tag in und um Berlin, er kennt das Lebensgefühl der morbiden Metropole. Freilich größtenteils von der anderen Seite, denn als seinerzeit David Bowie, Iggy Pop, Lou Reed und ihre Gefolgschaft in der Reichshauptstadt a. D. weilten, konnte Till höchstens verstohlen hinter dem Eisernen Vorhang hervorlugen und versuchen, einen Blick auf das bizarre Völkchen zu werfen. Wenn er das wirklich getan hat, dürfte er mindestens so erschrocken sein, als sei ihm der leibhaftige Freddy Krüger begegnet. Die Freakshow der bunten Truppe war nun mal nix für ein 14jähriges Lindemännchen, das unter den Fittichen von Honneckers Freier Deutscher Jugend aufwuchs. Onkel Erich - in der DDR gab´s den Kalauer "Warum ist Erich der schwulste Name? Na, ganz einfach: Vorne Er, hinten Ich!" - schützte die Kinder des deutschen Arbeiterstaates vor kapitalistischen Exzentrikern.

 

Damals, 1977, war "Helden" eine Kollaboration von Bowie und dem Sound-Guru und Ex-Roxy-Music-Mann Brian Eno. Heute treffen sich Lindemann und die finnischen Metallica-Schrammler von Apocalyptica, um sich gemeinsam der Elegie gewordenen "Eintagsfliege" zu widmen. Der Rammstein-Sänger ist dabei voll in seinem Element, dröhnt durch die berühmten Zeilen "Du/Könntest du schwimmen/Wie Delphine/Delphine es tun/Niemand gibt uns eine Chance/Doch wir können siegen/Für immer und immer" - und es kommt zusammen, was nicht zwangsläufig zusammengehört, aber eben doch zueinanderpaßt wie das Gesäß zur Brille. Schlimm wird es erst, wenn Lindemann den Refrain "Dann sind wir Helden/Nur diesen Tag" singt. Genau: Er singt, wird gezwungen, in höchsten Tönen zu jubilieren, daß im Vergleich dazu selbst Marvin Gaye als Brummbär gelten dürfte. Oder Michael Jackson als Inkarnation von Arnold Marquis, dem Synchronsprecher von Lorne "Ben Cartwright" Greene und John Wayne.

Was aus Michael Jackson geworden ist, erkläre ich im nächsten "Miststück". Hier geht es um Lindemanns Ausflug in ekelerregende Höhen. Haben Eicca Toppinen und seine Teufelsgeiger dem Till solange einen gestrichen, bis er schmerzverzerrt jaulen mußte? Oder macht er das freiwillig, um der Welt zu zeigen, daß er das auch kann? Wenn Ersteres stimmt, ist ihm mein Mitleid gewiß - der Finne gilt ja bekanntlich als hart im Nehmen und Geben. Trifft Zweiteres zu, ging der Versuch bedauerlicherweise gewaltig in die Hose. Manchmal stimmt es eben doch, was bereits unsere Vorfahren postulierten: "Schuster, bleib bei deinen Leisten"; ergo: Lindemann, bleib beim Grummeln und Grollen. Hätte er nicht die Stimme erhoben, könnte man sogar als Bowie-Fan diese dahingegniedelte Version gut finden. So wende ich mich mit Grausen ab, überlasse das Zuhören den Hardcore-Jüngern von St. Till und seiner apokalyptischen Viererbande und harre des Endes der Welt.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Apocalyptica - Worlds Collide

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SonyBMG (Finnland 2007)

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