Tindersticks - The Hungry Saw
Beggars Group (GB 2008)
Kaiser Franz hat es einst gesungen: Gute Freunde kann niemand trennen. Im Fall dieses britischen Trios enthält die pathetische Fußballerweisheit auf jeden Fall mehr als ein Körnchen Wahrheit - findet Manfred Prescher. 30.06.2008
Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.
Es hat etwas Tröstliches, daß sich inmitten des Weltengetümmels manche Dinge einfach nicht ändern wollen. So wird Sven Regener immer derjenige sein, der unsere Beziehungsprobleme mit dem anderen Geschlecht, der Welt an sich oder auch nur mit einem Kleidungsstück am besten in wunderschöne Moll-Töne und Moll-Gedichte zu fassen in der Lage ist. Ähnlich wie bei Nick Cave weiß man Album für Album, daß die Stimmungslage perfekt erreicht wird, ohne daß sich der Künstler allzu gebetsmühlenartig wiederholt.
Von dieser Kategorie war auch das Frühwerk des Stuart A. Staples aus Nottingham. Wie ein moderner Robin Hood, der uns vor dem artifiziellen Zuckerguß der Stock-Aitken-Watermänner dieser Welt bewahren wollte, war er für uns da. Er brach bei Nacht und Nebel in die Pop-Fabriken ein und klaute die guten Ideen, bevor jemand damit Schindluder treiben konnte. In der heimischen Kemenate machte er dann richtige Songs draus, die das inszenierte Spektakel der Marktschreier spielend überstanden. Zuerst mit den Asphalt Ribbons, dann etwas später - und noch exzessiver - mit den Tindersticks gab uns Staples das Gefühl, nicht allein mit der allgegenwärtigen Fahrstuhlmusik zu sein.
Die insgesamt sechs Alben, die der Songschreiber mit seiner Gruppe binnen eines Jahrzehnts herausbrachte, waren nicht nur stimmige Manifeste gegen das Dumpfbackentum, sie ließen sich auch prima hören - und das sogar von Leuten, die nicht zum Zirkel der Pseudo-Intellektuellen gehören. Große Gefühle, große Songs, große Resonanz bei den Kritikern: Jede Platte wurde völlig zu Recht "Album des Monats" in den einschlägigen Postillen. Zum verdienten Superstar-Ruhm reichte es für die Band dennoch nicht. Das hat aber durchaus auch seine Vorteile: Statt Sellout und Verwässerung der Tindersticks-Grundsubstanz bis hin zur unweigerlichen Selbstauflösung kann Staples nun das Qualitätsniveau halten; freilich nur, wenn ihm die Möglichkeit gegeben wird, den eigenen Proberaum-Dunstkreis zu verlassen und eine CD zu veröffentlichen. Zwischen 2003 und heute war jedenfalls Sendepause, der Sheriff von Nottingham und seine Schergen schienen über den guten Geschmack triumphiert zu haben.
Jetzt melden sich die Tindersticks zurück: Die rührige Beggars Group veröffentlichte vor kurzem "The Hungry Saw" und verwöhnt uns auch sonst unter anderem mit den aktuellen Werken von Künstlern wie den Raconteurs, Beck, Adam Green, Biffy Clyro oder auch My Morning Jacket - fürwahr ein gutes Umfeld für Stuart Staples und seine beiden Mitstreiter. Das Trio nutzt die Chance und zeigt sich in bester Verfassung. Das heißt: Ein Dutzend Songs der besonderen Tindersticks-Klasse warten auf die, die noch hören können.
Die Mehrzahl davon ist so berückend melancholisch, daß einem hin und wieder auch der Begriff "Depro-Rock" durch den Hirnschwurbel mäandert. Aber es ist doch wie bei Element Of Crime oder Nick Cave: Eine wohlige Wärme durchströmt diese Stücke, in der Ruhe liegt eine immense Kraft. Leid und menschliche Tragödien von antikem Ausmaß lassen sich wirklich kaum schöner verpacken. Logischerweise hört man solche Lieder am liebsten im November, weil es sich am heimischen Kamin viel behaglicher ausgeht als am zugigen Dach des Hochhauses kurz vor dem Abflug ins Nirwana. Blöderweise wurde das Album aber im Frühjahr veröffentlicht. Also legt es ins Regal, bis die Tage dunkel genug und die Nächte frostig klar sind.
Tindersticks können aber weit mehr als Töne in feinstem Pull-Moll produzieren. Sie rocken und sie grooven, haben echten Soul. Für alle Fans der Band, die die letzte Aussage bezweifeln, sage ich: Hört euch bitte "E-Type" an! Diese Hommage an die britische Sportwagenlegende der 60er klingt nach der Hausband des großen Stax-/Volt-Label-Konglomerats. Wer die nicht kennt, hat definitiv was verpennt, die Jungs aber wahrscheinlich immerhin als Begleitorchester der Blues Brothers im Kino oder in einer von vielen Milliarden TV-Wiederholungen gesehen. Grob vereinfacht: Als Booker T. & The M.G.´s hatte die Gruppe sogar etliche Instrumental-Hits, ihre Hauptaufgabe war es aber, all die coolen Sänger und Sängerinnen von Carla Thomas über Otis Redding und William Bell bis zum jungen Isaac Hayes in ein funkelndes, sexy Corporate-Identity-Kostüm zu stecken. Nur wo "Stax" draufstand, sollte auch "Stax" drin sein. Das stimmte jedoch schon damals nicht, weil Atlantic viele Künstler und deren Hits übernahm; erst recht greift der Spruch im Jahr 2008 daneben: Angeblich hat zwar Justin Timberlake die Rechte am Namen und dem Back-Programm gekauft, aber bis jetzt ruht Stax noch in Frieden.
Bleiben die Tindersticks, die den Sound in knackigen 2 Minuten 51 wieder aufleben lassen. Der Titel paßt natürlich perfekt, da der Jaguar E-Type ein Design-Meisterwerk der Swinging Sixties ist und schon damals als Kultobjekt galt. Dementsprechend oft war er auf Plattencovers zu sehen, etwa bei Donald Byrds später von Tone Loc entwendetem Artwork zu "A New Perspective".
Klasse gemacht, Mr. Staples, die Reminiszenz ist stimmig bis zum letzten Bläser-Nachhall. Nächste Woche gibt´s an dieser Stelle übrigens die Killers, die sich ebenfalls recht ambitioniert an Gospel wagen.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
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