Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 47

Tom Jones: "If He Should Ever Leave You"

Potenz ist nun wirklich keine Frage des Alters. Oder, anders ausgedrückt: Wer kann, der kann - auch wenn das Zipperlein sonst gnadenlos zuschlägt. Manfred Prescher berichtet über den ewigen Stenz aus Wales.    15.12.2008

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

In eineinhalb Jahren feiert Tom Jones seinen 70. Geburtstag - und immer noch gibt er den ultimativen Womanizer vor dem Herrn, der in seinem Fall wahrscheinlich Hugh Hefner heißt. Er war früher schon kein Mann für eine Nacht, weil ihm die einfach zu lang war und draußen vor der Hotelzimmertür die Mädels schon Schlange standen. Praktischerweise, so wird kolportiert, hatten sie ihre Slips ohnehin bereits während des Konzerts ausgezogen und auf die Bühne geworfen. Ein Roadie brachte sie dann angeblich ins Hotel, und Tom gab sie wieder an ihre Eigentümerinnen zurück. Dazwischen stellte er vermutlich real alle bisherigen Männerphantasien in den Schatten. Er war eben kein "Sixty Minute Man", wie ihn die Dominoes bereits 1951 munter besangen. Wenn er every inch of his love gab, dann oft und mit Ausdauer. So ist denn wohl auch der Titel des neuen Albums "24 Hours" zu verstehen.

Tom Jones ging schon mit Verve, Charme und seinem Bariton auf Damenjagd, als die Frauen noch Schwänze hatten - also Mitte der sechziger Jahre, als er mit "It´s Not Unusual" loslegte und für den wesensverwandten Bond ("Thunderball") oder Peter Sellers ("What´s New Pussycat?") croonte, was das Zeug hielt. Vorher war der Waliser übrigens als Staubsaugervertreter unterwegs. Man braucht nicht viel schmutzige Phantasie, um sich vorzustellen, wie er die Elektrogeräte an die Frau brachte.

Zig Comebacks und etliche Dauerwellen-Orgien später ist Jones immer noch da. Zuletzt machte der Tiger mit dem Album "Reload" erfolgreich von sich reden; über das, was danach kam, sollte der Mantel des Schweigens gebreitet werden. "Reload" enthielt fast ausschließlich Coverversionen, was aber eigentlich logisch ist, weil Onkel Tom sowieso nie eigenes Material zum Besten gibt. Ob "Sex Bomb" oder "Burning Down The House" von den Talking Heads oder - etwas früher - "Kiss" von Prince, der Mann konnte jeden Geniestreich anderer zu seinem eigenen machen. Er schaffte es aber auch, an mauen Liedern und billiger Kaufhausproduktion mit Volldampf zu scheitern. Die neue Jones-CD ist richtig gut - besser, als selbst Hardcore-Fans erwartet haben dürften. Tom singt darauf unter anderem Lieder von Bruce Springsteen und Bono/The Edge. (Die beiden Obermuftis von U2 haben ihm "Sugar Daddy" auf den nahkampfgestählten Leib geschrieben.)

 

Tom Jones sieht fit und munter aus, ist braungebrannt wie eh und je, und die Frisur wirkt vergleichsweise dezent. Keine Frage, der Mann macht was her - besonders, wenn er die Stimme hebt und schmachtet, fordert und mit Eleganz die Tonlage bis oberhalb des doppelt gestrichenen C erhebt. So einer braucht nicht zu warten, bis die Kurzzeitangebete ihren Partner verläßt, so einer kriegt gleich, was er will. Trotzdem geht es in "If He Should Ever Leave You" genau um das Thema: Wenn sie wieder frei ist, hält er im Kalender bestimmt ein Viertel-Schäferstündchen frei, aber ansonsten natürlich auch.

Der Mann ist so viril, daß ihn selbst Jugendliche anbeten müßten. Und er hat mehr Eier als eine Herde Jungstiere in "Der Doktor und das liebe Vieh". Besonders gut nachzuhören ist das in "I´m Alive", dem wirklich lebendigsten Stück Seniorensinnlichkeit, das man sich nur wünschen kann. Aber was heißt hier "Senior"?! Tom Jones sah schon mal viel älter aus und klang auch so.

Doch zurück zur Single: Vielleicht hat er Angst, daß irgendwann mal der Hausfrauenstrom versiegt? Auf jeden Fall verspricht er auch dieser Lady, daß alles schön, gut und prickelnd wird. Der Schampus ist für den Moment, wenn ihr Typ sie ad acta gelegt hat, schon mal kaltgestellt. Weil Tom Jones weiß, wie er Herzen erweicht, Seelen berührt und die Triebe der Damen weckt, ist das Album auch perfekt fürs private Tête-à-tête geeignet. Einfach CD einlegen, dann klappt´s auch mit der Nachbarin.

So überraschend die erneute Wiederkehr des Herrn Jones auch sein mag, eigentlich ist sie ja nur recht und billig, wo doch sein Konkurrent Tony Christie mit nun auch schon 67 Lenzen auf dem Buckel wieder obenauf ist - erst mit Remixes alter Kamellen, nun mit einer famosen CD voller Lieder von Songwritern aus seiner Heimatstadt Sheffield. Wer wissen will, wie Christie den großen Richard Hawley interpretiert, sollte das Album "Sheffield Steele" hören. Schließlich verbringt man nicht nur Zeit im Bett, und nicht jeder kann 24 Stunden am Stück.

Um Stücke, die mich länger bewegen konnten, geht es im nächsten und für dieses Jahr letzten "Miststück": Darin werde ich auf 2008 zurückblicken - unter anderem auf einen Song, der mehr nach Motown klingt als aktuelle Veröffentlichungen des Labels.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Tom Jones - 24 Hours

(Photos © EMI)

Leserbewertung: (bewerten)

EMI (GB 2008)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.