Kolumnen_ Miststück der Woche III/42

Vampire Weekend: "Ya Hey"

Schwer angesagt und trotzdem cool: Irgendwo zwischen den Begriffen "intellektuell", "schnöselig" und "hip" liegt das Erfolgsgeheimnis dieser Band. Manfred Prescher spürte dem Groove ein Wochenende lang hinterher.    15.07.2013

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.


Wer ein Liebeswochenende mit einem Vampir verbringt, muß wahrscheinlich seinen Lebensrhythmus komplett ändern - außer er ist selber so nachtaktiv, daß ihn das Tageslicht schreckt. Ist man es aber gewohnt, sich am Morgen ausgiebig an der ersten Kaffeetasse festzuhalten und die ersten Sonnenstrahlen zu genießen, so wird man merken, daß ein Vampir da längst das Weite gesucht hat. Das sind echt keine Typen für einen Tag ...

Für eine Nacht eignen sie sich natürlich schon. Früher sind die Damen und Herren unter Sonneneinwirkung sogar zu Staub zerfallen, doch Evolution und gewisse Fernsehserien sorgten dafür, daß sie heutzutage zwar UV-Licht aushalten können, aber trotzdem keine Lust auf strahlendes Schönwetter haben. Bei der Gelegenheit fällt mir ein, was mein Freund Wikipedia neulich sagte: Die geringste in Deutschland gemessene Sonnenscheindauer gab´s 1965 auf dem Großen Inselberg. Vom 1. bis zum 31. Dezember schien die Sonne ganze null Stunden - paradiesische Zustände für Vampire.

Vampire sind zunächst mal Blutsauger, daß wußte schon Karl Marx. Auch der große Schriftsteller, Aufklärer und Philosoph Voltaire äußerte sich bereits 1770 mit bis heute beeindruckender Klarheit über alltägliche Vampire: "Ich gestehe, daß es ... Börsenspekulanten, Händler, Geschäftsleute gibt, die eine Menge Blut aus dem Volk heraussaugen, aber diese Herren sind überhaupt nicht tot, allerdings ziemlich angefault. Diese wahren Sauger wohnen nicht auf Friedhöfen, sondern in wesentlich angenehmeren Palästen." Heute nennen wir solche Menschen "Heuschrecken", aber das ändert nichts an der Richtigkeit von Voltaires Worten - zumindest nicht für die Opfer solcher Spekulanten. Wer sein Geld an der Börse verloren hat oder merkt, daß sein Lebenswerk oder wenigstens das Häuschen samt damit verbundener Altersabsicherung flötengehen, der trägt zumindest seine Lebensträume zu Grabe.

Natürlich gibt es auch gute Vampire. Die spielen in "Vampire Diaries" mit und erschrecken niemanden. Die männlichen unter ihnen verfügen über mehr Einfühlungsvermögen als wir noch lebenden Jungs, weswegen die Mädels so entzückt sind - und sich gern mal beißen lassen würden. Jungs stehen übrigens mehr auf die schärfere Variante, auf "True Blood", wo filmisch explizit umgesetzt wird, was schon in Bram Stokers 1897 veröffentlichtem "Dracula" oder im Stummfilmklassiker "Nosferatu" steckt: die Erotik nämlich.

Geschlechterübergreifend erfolgreich sind Vampire Weekend aus dem Schmelztiegel New York, genauer aus "Upper West Side Soweto", wie die Band um Ezra Koenig und Rostam Batmanglij die heimatliche "Hudd" nennt. Dort wohnt ein gebildeter Mittelstand, der allerdings aus aller Herren Länder stammt. Vielleicht ist sogar ein echter Vampir darunter, der von der Familiengruft in Transsylvanien in ein Apartment am Central Park gezogen ist. Auf jeden Fall hat man den Jungs von Vampire Weekend immer wieder vorgeworfen, daß sie Musik machen, die sie aus umfangreichen Plattensammlungen und teuren Club-Besuchen herausfiltern, die also mangels Ghettoleben nicht authentisch ist - weil afrikanische Elemente dabei sind, die einer ziemlich unafrikanischen Abiturienten-Kombo ja nicht zustehen. Das ist natürlich Blödsinn. Und rassistisch obendrein. Diese engstirnige Denkungsart ist dumm wie hulle, funktioniert aber auch in die andere Richtung: So war der Jazztrompeter Miles Davis zwar afroamerikanischer Abstammung, wuchs aber in einer wohlhabenden Familie auf. Seine Eltern zerfetzten sich nie bei der Baumwollernte die Finger. Trotzdem liebte der junge Miles - neben Bach und Schönberg - auch den Blues. Mit einer Lehrerin, die eine Verbindung zur Sklavenarbeit herstellte, stritt er darüber. Nachzulesen ist das in Miles Davis´ spannender Autobiographie.

Ich will gar nicht darüber nachdenken, was ich hören müßte oder nicht hören dürfte, wenn es nur nach Herkunft und Schichtzugehörigkeit ginge. Dann wäre ich wohl irgendwann bei Heino oder Spatzlruther Katzen angelangt und bei "Rosi, i hol di mit meim Traktor ab" stehengeblieben. Eben deshalb, und weil Vampire Weekend zwar nicht beißen, sondern echt Spaß auf höchstem Niveau machen, darf und soll man deren Melange auch genießen. "Ya Hey" ist einfach ein schwungvoller Muntermacher, den man auch noch lieben kann, wenn einen die ersten Sonnenstrahlen in die Heia treiben. Schließlich kann man alles und jedes zerreden.

Ach ja, die polyrhythmischen Afro-Beats hat Schlagzeuger Chris Tomson reduziert bzw. weitgehend abgeschafft. Lieder wie "Ya Hey" rocken geradlinig und doch soft genug für einen lauen Sommerabend. Die Band, die nach dem Erfolg ihres Debütalbums "Vampire Weekend" Angst hatte, ein One-Hit-Wonder zu sein, ist nämlich längst zu einer sich selbstbewußt entwickelnden Marke geworden. Die Alben zwei und drei - "Contra" und "Modern Vampires Of The City" - führten in den USA sogar die Hitlisten an. Weil es halt doch intelligente Menschen gibt, die sich nicht mit musikalischem Sondermüll zufriedengeben wollen, und weil gute Musik der ganzen Welt gehört. Vampire Weekend sollten sogar von der Krankenkasse bezahlt werden. Der Sound verbessert die Laune, fördert die Durchblutung und beugt Haarausfall, trockener Haut, Atembeschwerden und Liebeskummer vor.

Euer Kolumnist wird in nächster Zeit übrigens zwangsweise mehr Musik hören - und dabei auf den guten alten Knopf im Ohr setzen. Er ist vorerst auf das Fahrrad und den Nachtbus angewiesen, weil ihn die zentrale Bußgeldstelle gebeten hat, den Führerschein sicherheitshalber in einem polizeilichen Tresor zu hinterlegen. Mit Recht übrigens. Ein wenig vampirische Blutsaugerei war von staatlicher Seite allerdings auch dabei, schließlich wollen Drohnen und Schlaglöcher ja bezahlt werden. Wobei: Wenn alle meinem Beispiel folgen würden und die alltägliche Raserei einfach mal ganz einstellten, dann könnte man die Schlaglöcher noch eine Weile an Ort und Asphaltstelle lassen.

Ich werde jedenfalls das Beste aus der Situation machen und gelobe hiermit feierlich Besserung. Ob die Texte besser werden? Wurschtegal. Nächste Woche schreib´ ich erstmal über doofe Kritiker und über den gar nicht so doofen Sängerknaben Tom Odell und über Franz Ferdinand. Deren Songs höre ich jetzt, bis ich meinen Führerschein wieder abholen darf. Das wird übrigens am 7. August um 12 Uhr sein. Der Staat vertraut mir als ansonsten unbedarftem Bürger aber doch nicht hundertprozentig: Mit dem Auto herumfahren darf ich erst zwölf Stunden später - am 8. August ab 0 Uhr.  

Also: Macht´s gut und fahrt langsam. Raserei bringt kaum Zeit, streßt die Beifahrer und kostet auch noch Geld. Das einzige, was man dafür bekommt, sind Punkte - und fast alles, was Punkte hat, ist nicht gut. Siehe Masern, Maikäferkostüme oder das Cover der Beach-House-CD "Bloom". Ich mach´ jetzt trotzdem mal einen Punkt und schwing mich auf meinen Drahtesel. Ach - und Rosi, das ist speziell für dich: Ich hol´ dich natürlich vorerst nicht mit dem Traktor ab.  



Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Vampire Weekend: "Ya Hey"

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Enthalten auf der CD "Modern Vampires of the City" (Xl/Beggars Group/Indigo)

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