Kolumnen_Miststück der Woche III/8

The Rolling Stones: Doom And Gloom

Wer im Kerker sitzt, kann schlecht mit Steinen werfen, oder? Fünf alte Männer aus dem Englischen beweisen grad das Gegenteil. Und Manfred Prescher staunt nicht schlecht über einen trotzig-rotzigen, vor Energie strotzenden Song der Rock-Veteranen.    05.11.2012

Manche Dinge ändern sich einfach nie: Du wachst morgens auf - und noch bevor sich das Hirn einschaltet, singst du, daß du nur noch die Welt retten mußt oder daß Geld guat brenna tuat. Widerstand ist absolut zwecklos, das Miststück setzt sich in dir fest. Begleitet dich ins Bad, zum Frühstück und in den Job. Manchmal freust du dich, weil dir zufällig ein alter Bekannter durch die Denkmurmel stromert, manchmal ist es dir schlicht peinlich. Wer will schon gern über sieben Brücken gehen oder von Jürgen Drews in den Tag geleitet werden?

In dieser Kolumne geht es um hinterhältige und fiese Lieder, die sich in dir festsetzen.

 

Wenn mich meine Rechenkenntnisse nicht in die Irre führen, dann wird Mick Jagger im nächsten Sommer 70 Jahre alt. Andere Menschen denken in dem Alter an die letzte große Liebe oder schauen den Radieschen beim Wachsen zu. Doch der Michel ist schwer aktiv. Wahrscheinlich tobt er durch ein Seniorenflirtportal und reißt 50jährige Mäuschen auf, weil er es doch eh immer mit jüngeren Mädels hatte. Das kann schon hinhauen, denn er sieht nach wie vor aus wie der Sänger der Rolling Stones, und den finden ja manche Damen ziemlich sexy. An der Schnauze des Mannes erkennt man seinen Johannes?

Er bleibt sein Leben lang ein Rolling Stone, egal, ob ihn die Gicht oder sonst irgendein Zipperlein plagt. Etwas anderes bleibt ihm ja sowieso nicht übrig. Dem Vernehmen nach hält er Konzerte mühelos durch und joggt putzmunter über die Bühne. Zwischen "You Can´t Always Get What You Want" und "Play With Fire" werden weder Beatmungsgerät noch Rollator eingesetzt (wie man vermuten könnte), damit die Show weiterrollen kann.

Im Studio hält es Jagger allerdings scheinbar nicht so lange aus. Das letzte Album ist schon eine Ewigkeit her; ich glaube, da ruhten wir von der EVOLVER-Crew noch in Abrahams Wurstkessel, sprich: wir waren noch gar nicht auf der Welt. Nun aber haben die Stones tatsächlich neue Songs aufgenommen, allerdings nur zwei - und die landen unter 48 "Greatest Hits" versteckt im CD-Nirvana. Angeblich soll aber ein neues Werk anstehen, wenn die letzten Überlebenden der "British Rock Invasion" von anno 1964/65 nicht vorher vom Teufel geholt werden.

Es muß aber gar nicht zwangsläufig ein komplettes Album sein, das bringt es meistens ohnehin nicht so sehr. Viel Füllwerk und langweilige Balladen braucht eigentlich nur der Hardcore-Fan. Ein wirklich guter Song, der wie eine Keule einschlägt, ist mehr wert. Und genau so einer ist "Doom And Gloom", der rockt und grollt wie damals im Mai. Er ist hart, wild und so böse, daß er auch auf "Sticky Fingers" zu finden sein könnte. Gut, neu ist das nicht, aber es klingt frisch und kregel, nach heutigen "Miststück"-Maßstäben sogar recht innovativ. Dabei ist das Lied einfach nur ein rollender Stein mehr - aber ein Edelstein, der durch ewiges Imdreckherumwälzen ziemlich eigenwillig aussieht. Schmutzig, trutzig, rotzig und trotzig.


Jagger singt vom nahenden Untergang - und den kann jeder nachfühlen, dessen Herz schon mal Rammstein-mäßig gebrannt hat und dann zu einem Häufchen Asche verglost ist. Die Düsternis ist allgegenwärtig. Spaß ist da keiner mehr, aber doch genug Energie, um ein Höllenfeuer zu entzünden.

"Doom And Gloom" verbreitet keine Todesangst, der Song ist alles andere als Gejammer. Nein, der Jägers Michel läßt uns vielmehr in Abgründe blicken, die wir nur zu gut kennen: die Schwärze der Seele, den Verlust von etwas Kostbarem, das Ende von allem. Ganz ohne Defätismus und kraftstrotzend singt er, und Keith Richards Gitarre brettert dazu den Hardrock-Blues, daß es nur so durch die Lautsprecher donnert.

Selten in den vergangenen 1000 Jahren waren die Stones wichtiger als heute. Den Stein der Weisen haben sie natürlich immer noch nicht gefunden - wahrscheinlich suchen sie nicht einmal danach. Lieber bringen sie ihren schmutzigen Kiesel bergab ins Rollen, sodaß mitgerissenes Geröll die ganze Erde überzieht. Und unten drunter tanzen wir zu "Doom And Gloom", weil ja unter dem Pflaster bekanntlich immer schon der Strand lag.

Nächste Woche wird es hier um ein sehr freundliches Lied gehen. Es stammt von Dexys. Und die hießen mal mit Nachnamen "Midnight Runners". Also: "Come On, Eileen!"


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Rolling Stones: Grrr!

ØØØØ

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© Photo: Rankin/Associated Press

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Kommentare_

Martin Compart - 06.11.2012 : 15.52
Genauso isess!

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