Kolumnen_Miststück der Woche II, Pt. 98

Commodores: "Three Times A Lady"

"Yes, you’re once, twice, three times a Miststück, but I lo-o-o-ve you ..." Gäbe es die letzte große Motown-Band heute noch, sänge sie dann das Hohelied auf die drei noch ausstehenden Kolumnen? Manfred Prescher würde sich auf jeden Fall sehr darüber freuen.    04.10.2010

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

Jetzt habe ich euch in Angst und Schrecken versetzt, oder? Aber keine Angst, es wird weitergehen mit der Kolumne - wie, wo und wann, wird in Kürze verraten. Bis dato könnt ihr alle in den Archiven stöbern oder den neuen Fatzebuch-Auftritt des "Miststücks" besuchen. Dort werden jede Woche - und in chronologischer Reihenfolge - fünf "klassische" Texte angeteasert, wie sowas auf neudeutsch heißt.

Natürlich führen die Links in die virtuelle Welt von EVOLVER, die längst größer ist als der Neusiedlersee, aber wahrscheinlich doch weniger Wind produziert als der Windpark dort. Dem Vernehmen nach soll diese gewaltige Umwandlung von Luft in Strom sogar offizieller Teil des Weltkulturerbes sein. Aber ich schweife ab. EVOLVER war die kuschelige Heimat dieser Kolumne, ein echter Ehehafen, in den ich nach durchzechter oder durchschriebener Nacht immer wieder brav mit meinem montäglichen Text im Gepäck eingelaufen bin. Seit Herbst 2005 geht das nun schon so; mittlerweile sind meine Haare grau wie ein alter Wischmop, aber sonst hat sich nix geändert.

Die Eintagsfliegen kommen und werden von der heftigen Anziehungskraft der Geschichte gekillt, Dieter Bohlen sucht immer noch "heroes, just for one day" und die Welt läßt sich auch durch bunte T-Shirts nicht freundlicher gestalten. Allzugroßer Pessimismus ist allerdings nach wie vor nicht angebracht, denn man kann es ganz gut aushalten auf der Welt, besonders im Wissen, daß wir sie von irgendwem geleast haben: Supermänner werden nicht von Kryptonit geschwächt, Superfrauen höchstens von ihren in realiter durchschnittlichen Männern. Was übrigens in weiten Teilen Ostdeutschlands dazu führt, daß ein akuter Mangel an Frauen besteht. Übrig bleiben die Träger der gesellschaftlichen Burger-King-Krone, die ihre Light-Variante eines Liam-Gallagher-Lebens führen - freilich, ohne je vom Oasis-Proll gehört zu haben. Dafür fährt man "Böse Opelz" und paßt so perfekt in das Klischee vom Missing link zwischen Mensch und Rüpel. Aber ich schweife schon wieder ab.

 

Es ist schön auf Gottes weitem Rund, vor allem jetzt, wo es recht rapide herbstlich wird. Es kommt die Zeit, in der wir alle wieder kuscheln wollen. Der Sommerschweiß ist abgetrocknet, Sex in der Wüste genauso passé wie Sex in der überhitzten City. (Wo sind denn die Windräder, wenn man sie wirklich braucht? Ach ja, am Neusiedler See!) Jetzt schmiegen sich die Leiber wieder aneinander. Wie romantisch! Vielleicht liest ja grad jetzt ein Pärchen engumschlungen die Kolumne auf irgendeinem iBrett, die gemeinsamen Fingertapper auf dem Display als Zeichen der Zusammengehörigkeit von Paradies und Apfel ...

... und hört dazu wunderbare Schmusemusik, die eigentlich nur an tristen, naßkalten Tagen wirklich wunderbar ist. Etwas wie "Three Times A Lady" von den Commodores, der letzten großen Formation des Motown-Labels, das damals längst schon aus dem ewig herbstlichen Detroit in das noch ewiger sonnige Ell Ey gezogen war. Lionel Richie und seine Kumpane versorgten uns in den 70er Jahren nicht nur mit funkigen Stompern vom Schlage eines "Brick House", das sogar EVOLVER-Guru Disco Stu cool findet, sondern auch mit Balladen wie "Easy" oder "Sail On".

"Three Times A Lady" stammt vom 78er-Album "Natural High", das mehr oder minder belanglos dahinplätschert. Aber wie auf jeder LP der Commodores findet man hier echte Perlen, wie dieses Soul-Kleinod, dem sogar der 80er-Jahre-Elektro-Tand des Produzenten Anthony Carmichael nichts anhaben kann. Zu so einem Lied werden sich die Leute noch dann schmiegen, wenn die letzte Blu-ray-Disc unlesbar auf dem Discmüllendlager vergammeln wird. Egal, ob in "South Park" oder "Will & Grace" - der Song übersteht sogar, wenn er verulkt wird. Wahre Größe zeigt sich halt erst, wenn andere Schindluder und Schabernack damit treiben. Ganz so schlimm ist Conway Twittys Coverversion von 1984 zwar nicht, aber sogar dieses geschmolzene Softeis für Rednecks verkaufte sich extrem gut.

 

Wer sich besonders intensiv an die Konturen seiner Lady schmiegen will, sollte unbedingt die Maxi-Single-Version von "Three Times A Lady" auflegen: 6 Minuten und 36 Sekunden lang croont dann Richie in Bestform. Auf den Text hören Verliebte besser nicht, denn eigentlich ist es ein Schlußmachlied - und paßt daher perfekt zu einem der letzten Texte, die die Ehe zwischen EVOLVER und dem "Miststück" hervorbringen wird: "Thanks for the times /That you’ve given me/The memories are all in my mind /And now that we’ve come /To the end of our rainbow/There’s something/I must say out loud/You’re once, twice/Three times a Miststück ..."

 

Um Beziehungen wird es auch im vorletzten "Miststück" gehen, wenn ich nächste Woche zur 2 herunterzähle: "Two Little Hitlers" von Elvis Costello & The Attractions ist einer der besten Songs der Nach-Punk-Ära. Nie war der etwas andere Elvis bissiger und schmissiger.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Commodores - Natural High

Leserbewertung: (bewerten)

(Motown/Universal)

Links:

Kommentare_

Kolumnen
Fundamentalteilchen 17/417

Alte Freunde, neue Zeiten

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 17. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ina Müller.
 

Kolumnen
Fundamentalteilchen 16/416: Der Winter steht vor der Tür

Wolle mer ihn reinlasse?

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 16. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Deine Freunde.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 15/415: Der vermaledeite Brummschädel

Das ewige Kommen und Gehen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die 15. Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Ava Vegas.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 6/406: Haruki, Elvis und ich

Literatur ist es, wenn man trotzdem lacht

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die sechste Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Elvis Costello.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 5/405: Seit sieben Wochen keine komischen Streifen am Himmel und jeder dreht durch

Angriff der Kichererbsen

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die fünfte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Lana Del Rey.  

Kolumnen
Fundamentalteilchen 4/404: Mach nicht so viel Wind, mein Kind

Wenn es draußen stürmen tut, ist das Wetter gar nicht gut

Nach dem "Miststück der Woche" kommen die "Fundamentalteilchen". Lesen Sie jetzt die vierte Ausgabe von Manfred Preschers musikalischem Walkürenritt für die Ewigkeit - feat. Charlotte Brandi & Dirk von Lowtzow.