Akzente_Das verräterische Herz
Fratze im dunklen Raum
Was braucht man heute, um jemanden zum Gruseln zu bringen? Die Aufführung einer Poe-Kurzgeschichte zeigt, daß es auch ohne Spezialeffekte geht...
26.04.2004
Edgar Allan Poe selbst war von seiner äußerst knapp gehaltenen Short story "Das verräterische Herz" (über einen Mann, der irgendwann beschließt, seinen alten Zimmernachbarn umzubringen, weil ihn sein stumpfes Auge stört) besonders überzeugt. Mit der gleichen unendlichen Langsamkeit, wie der Protagonist Nacht für Nacht vorsichtig in die Kammer des Schlafenden eindringt, erzählt uns auch der Schauspieler Martin Niedermaier die grausame Geschichte, unterbrochen durch kurze Musikstücke von Bach, Purcell, Kreisler und Wolf, die - teilweise mit engelsgleicher Stimme vorgetragen - einen seltsamen Kontrast zur Handlung ergeben. Und diese Langsamkeit, diese Geduld, diese Unberechenbarkeit und die gleichzeitige Unausweichlichkeit der Katastrophe lassen die Spannung wie die schmale Treppe, auf der das Stück spielt, bis zur Decke steigen.
Doch eigentlich ist "Das verräterische Herz" im Schauspielhaus ja ein Zweipersonenstück. Der Regisseur und Pianist dieses Stückes, Barrie Kosky, ist genauso wichtig wie der Akteur, der den düsteren Plot zum Leben erweckt. Der wirklich kongeniale Gegenpart zur verzerrten Mimik des sabbernden Mannes ist aber das ebenfalls von Kosky inszenierte Licht, das die vielen Gesichter, die dem Zuseher hier begegnen, beleuchtet. Freundlich umschmeichelt es die weichen Züge des netten Nachbarn. Kalt beleuchtet es die verwirrt zitternden Züge des Geisteskranken. Und gespenstisch läßt es die Fratze des mordenden Ungeheuers leuchten.
Gleich zu Beginn zeigt uns dieser geisterhafte Mitspieler "Licht", daß er die vollkommene Kontrolle über unsere Wahrnehmung hat. Von weither scheint ein Kopf durch die Dunkelheit zu schweben. Erst viel später wird diesem Kopf ein Körper geschenkt, wird dieser Mensch in einen Raum gesetzt, wird dieser Raum ebenso wie die Person immer wieder verändert, in ein neues Licht gesetzt. Und dabei werden Bilder geschaffen, die so wundersam sind, daß man am liebsten Momentaufnahmen davon machen möchte oder sie zurückspulen wie bei einem Videoband. Aber das Theater ist grausam, und so bleibt uns nur der Augenblick - und die Vorstellung von diesem schrecklichen, bösen, trüben Auge: eine gelungene Vorstellung. Nicht nur für Freunde des gepflegten, klassischen Horrors.
Wolf Hoog
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