Musik_Art Brut - Bang Bang Rock & Roll

Echt witzig, Mann

Catchy Melodien, zumindest mal eigenwillige Texte und die Wiedereinführung eines beinahe vergessenen Kunstbegriffs – auch das ist britischer Retropop.    30.08.2005

Wenn man die Sparks noch mal erfinden müßte, dann würden sie jetzt als Art Brut auf der Bildfläche erscheinen. Besonders frühe Songs der Mae-Brüder, etwa "This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us" oder "Amateur Hour" würden, nebst Kimono-Outfit und Ron Maes Hitler-Bärtchen, prima ins Konzept der fünf Briten passen. Sie werden also irgendwann auch noch ihre Discophase erleben. Auf ihrem Debütalbum "Bang Bang Rock & Roll" ist das ja auch schon angelegt. Schließlich ist wirklich alles möglich, wenn man verrückt genug ist, um vogelfrei sein zu dürfen. Und das ist man unweigerlich, wenn man sich Art Brut nennt.

Diese kurz nach dem zweiten Weltkrieg vom Franzosen Jean Dubuffet begründete Kunstrichtung war eine Zeit lang Sammelbecken der kulturell Ausgestoßenen, der Outlaws, der Verrückten, also all derer, die im etablierten Kunstspektrum keinen Platz gefunden hatten. Die danach benannte Band scheint den Namen wirklich zu Recht zu tragen, denn sie schafften etwas, das wahrscheinlich nicht mal den Gallagher-Rabauken zuzutrauen ist: Sie hatten einen Hit ("Formed A Band"), eine wüste Punk-Orgie für das alternative Existenzgründer-Volk, der zugleich auch eine ebenso intelligente wie witzige Breitseite auf die britische Independent-Szene abschoß und Rough Trade dazu veranlaßte, den Vertrag mit der Gruppe fristlos zu kündigen. Von da an wurden sie wirklich vogelfrei, das Winz-Label Fierce Panda nahm sie auf – und freut sich nun über den Song "Modern Art", mit dessen Hilfe endlich auch das Centre Pompidou zu Chart-Ehren kommt.

 

Und über ein knapp 30 Minuten kurzes Album, das kaum ein heikles Thema ausläßt. In "Rusted Guns Of Milan" wird von einem Männerproblem erzählt, ja, zunächst spricht Art-Brut-Chef Eddie Argos wirklich davon, was in Popsongs sonst tunlichst verschwiegen wird: Es geht um Impotenz und Argos versteht die Freundin, die mal wieder zu kurz kommt. Aber er beteuert, dass sein Pimmel – "Rusted Gun of Milan" – eben nicht deshalb eingerostet ist, weil er zuviel trinkt. Sondern vom Denken. Ich denke, also kann ich nicht vögeln. So einfach ist die Erklärung. Ganz nebenbei setzt sich der Song auch noch dermaßen im Gehörgang fest, daß man sich fragt, wieso zum Beispiel die Sparks nicht schon mal auf die Idee gekommen sind, ein Lied über Impotenz zu schreiben. Aber das Mae-Duo ist nicht die einzige Referenz in diesem frischen Retro-Kaleidoskop: "Formed A Band" klingt wie ein Clash-Song, der erst erst zur Karnevalshymne werden mußte und dann von da aus wieder in echten Punk zurück verwandelt wurde.

Jarvis Cocker, Oasis, Franz Ferdinand, Roxy Music, Pete Shelley. Wer will, kann das wirklich alles auf dicht gedrängtem Raum entdecken. Wer darauf verzichtet und die Pop-Zitiererei einfach ignoriert, bekommt Power im Bereich der Herzinfarktgrenze. Davon sollte man sich aber genauso wenig blenden lassen, wie von der Zitatensuppe, denn es geht eigentlich um Geschichten. Etwa um die von "Emily Kane": In dem Song wird eine Liebe beschrieben, die so rein und so tief war, weil sie eben nichts mit Sex zu tun hatte. Die 15-jährige Emily war die beste Freundin, die Frau, die alles verstehen konnte und der man richtig nahe sein konnte. Überhaupt die Mädels: Sie gehören einfach zu einem "Good Weekend", machen aber, besonders am Anfang einer Beziehung, viel Streß und dann, genau, dann verlangen sie auch noch Standfestigkeit ...

Man kann das ganze Album auch lächerlich finden, vielleicht sogar als Musik von und für hyperaktive Jungs bezeichnen, weil die Gitarren hektisch und wild klingen, weil über allem Eddie Argos’ Aufgeregtheit liegt. Empfehlenswerter ist es alelrdings, viel Spaß damit zu haben, denn witzig sind diese Ausgestoßenen auf jeden Fall.


Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER

Manfred Prescher

Art Brut - Bang Bang Rock & Roll

ØØØØØ


Fierce Panda/Cargo (GB 2005)

 

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