Musik_CD-Tips 10/2008

Is this Pop?

Die Artisten im Tonstudio - ratlos. Sollen sie sich an ihre beste Zeit erinnern und auf der Nostalgiewelle mitschwimmen? Wäre es nicht doch gescheiter, sich nur mehr an Fußballhymnen zu versuchen? Oder nimmt man sein geliebtes altes Gitarren-Riff her und macht daraus noch eine CD? Kein Wunder, daß sich manche einfach auf die Straße setzen und dort genialen Lärm produzieren.    07.11.2008

Peter Hiess & Manfred Prescher

Kaiser Chiefs - Off With Their Heads

ØØØ

(Photo © Jocelyn Bain)

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Universal (GB 2008)

 

Überall ist gerade zu lesen, daß die Kaiser Chiefs unter dem "Fluch des dritten Albums" stehen - aber "Off With Their Heads" ist bereits das vierte Werk. Allerdings hat die Band aus Leeds wirklich ein Problem: Immer noch tönt es "Ruby, Ruby, Ruby" aus allen Pop-Radiostationen. Während das nach dem größten südafrikanischen Fußballclub benannte Quintett auf der Insel konstant mit allen Singles in den Charts auftauchte, ist "Ruby" in Resteuropa mit Abstand der Über-Hit. Aber auch in Britannien hat es der Song als bislang einziger auf die Pole-Position geschafft. Das spaltet die Fans, mancher ruft "Sellout!" und irritiert die Band.

Freilich war schon das Vorgängeralbum "Yours Truly, Angry Mob" ein Ausdruck von Ratlosigkeit. "Off With Their Heads" ist sogar wieder etwas besser, einzelne Tracks funktionieren hervorragend. Hört man aber die komplette CD in einem Rutsch durch, ist zu merken, wie orientierungslos Ricky Wilson und seine Mitstreiter aus der Gegenwart heraus in die musikalische Zukunft blicken. Die Kaiser Chiefs versuchen mit Hard Rock ("Spanish Metal"), Vince-Clarke-80s-Sound ("You Want A History"), seichtem Pop ("Remember You´re A Girl") oder Anklängen an die typische Kaiser-Chiefs-Power-Hymne ("Never Miss A Beat"), everybody´s darling zu sein - was selbst deutlich begabteren Bands nicht gelang.

Links:

David Byrne and Brian Eno - Everything That Happens Will Happen Today

ØØØ

Essential/Indigo (USA/GB 2008)

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So geht´s halt, wenn man schon länger im Musikgeschäft aktiv ist und zumindest bei den Intellektuellen und den Kritikern als Legende gilt: Da treffen sich zwei Herren in den besten Jahren in New York zum gepflegten Dinner, reden über ihre beste Zeit, als sie noch mit Sound-Experimenten ("My Life in the Bush of Ghosts") überraschen konnten und erfreuen sich ihrer Tantiemen und Dandy-Hobbies. Und dann erwähnt der eine Herr, ein gewisser Brian Eno, daß er auf seiner Festplatte noch einen ganzen Haufen Instrumental-Tracks herumliegen habe, mit denen man doch eigentlich einmal was machen könnte ... Gute Idee, sagt der andere, brenn mir die doch einmal und schick sie mir, wenn du wieder zu Hause bist.

Und so kam es, daß David Byrne - ehemals Sänger der Talking Heads - wieder einmal mit dem Tontüftler, Parfümexperten und Pop-Theoretiker Eno kollaborierte. Das Ergebnis ist keineswegs so revolutionär wie einst der Busch der Geister, sondern eher Song-orientiert und leider nicht an die Songs aus Enos "Tiger Mountain"-Ära, sondern mehr an die neurotischen New Yorker Großstadtlieder angelehnt, mit denen Byrne einst berühmt wurde; nur bei zwei drei Nummern gegen Schluß flammt der experimentelle Impuls ihrer früheren Zusammenarbeit wieder auf.

Byrne und Eno bastelten für ihre Lieder die Schublade "Electronic Gospel", veröffentlichten das Album zuerst einmal nur auf ihrer Website, wo man es in verschiedenen Aufmachungen und Tonqualitäten online bestellen kann - und vertreiben auch die physische CD (deren Cover wohl nicht umsonst so aussieht wie eine dieser creepy Idyllen aus dem Computerspiel "The Sims") nur über kleine Independents oder via Internet. Wenigstens auf dem Gebiet sind die zwei Herren also richtig fortschrittlich ...

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AC/DC - Black Ice

ØØØØ

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SonyBMG (Australien 2008)

 

In gerade einmal zwölf Minuten war die Stadientour der Australier ausverkauft, das neue Album wird als Heilsbringer der dahinsiechenden Branche betrachtet. Letzteres liegt zum einen daran, daß die Band in der komfortablen Lage ist, sich den iTunes dieser Welt zu verweigern. Zum anderen sind die wertkonservativen Fans "schuld" daran - die wollen nämlich, so Angus Young, echte Platten mit Booklet und allem Pipapo. Und sie wollen den typischen, kraftstrotzenden, perfekt produzierten Power-Rock, für den AC/DC seit ihrer ersten LP ("High Voltage") stehen. Ähnlich wie bei Motörhead funktioniert dieser künstlerische Stillstand derzeit ziemlich gut. Oder anders ausgedrückt: "Black Ice" klingt erstaunlich frisch und zeitgemäß. Wie bei AC/DC üblich, sind die Titel Programm: "Smash´n´Grab", "Decibel", "Rocking All The Way", "She Likes Rock´n´Roll" oder - Highlight der Platte - "War Machine" klingen so, wie sie heißen. Und sie machen durchaus Spaß. Es lohnt sich, die Luftgitarren-Streitaxt rauszuholen und mit einem harten Riff auf die Welt von Bohlen & Reibach einzuprügeln. Man kann sich sogar vorstellen, wie Angus Young in eine Schuluniform zu schlüpfen. Der macht das übrigens schon, seit er als Teenager von der Penne flog. Bewährtes darf - ganz gegen den Trend - eben auch von Dauer sein.

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Left Lane Cruiser - Bring Yo´ Ass To The Table

ØØØØØ

Alive (USA 2008)

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Revolutionär! Monumental! Unglaublich!

Was die Zwei-Mann-Band aus Fort Wayne, Indiana auf ihrem zweiten Album (und dem bei dieser Gelegenheit auch gleich mitentdeckten Vorgänger "Gettin´ Down On It" aus dem Jahre 2006) auf die Beine stellt, hat wirklich sämtliche Superlative verdient, die einem als erfahrener Musikhörer noch einfallen mögen. So hätte der Blues klingen können, wenn man ihn vor einigen Jahrzehnten den schwarzen Musikern verboten hätte - und zwei weiße Buben aus der Provinz viele Jahre später gleichzeitig ein paar verstaubte Schellacks und "Never Mind The Bollocks - Here´s The Sex Pistols" entdeckt hätten. Die beiden (Gitarrist /Sänger Freddy J IV und Schlagwerker/Auch-Sänger Brenn "Sausage Paw" Beck) brauchen kein Studio und keine Bühne, sondern könnten sich mit ihren Instrumenten und einem kleinen Uraltverstärker genausogut irgendwo an den Straßenrand setzen und loslegen. Ihre Songs sind simpel, schnell, krachig und laut heruntergespielt, witzig und absolute Ohrwürmer, von "Wash It" über "Pork´n´Beans" bis zu "Big Momma"); diese CD legt man in den Player und läßt sie dort gleich einmal drei Wochen drin, weil man sowieso nichts mehr anderes hören will. Wenn Sie sich in diesem Jahrzehnt noch eine Blues-Platte kaufen wollen, dann usw. usf.

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Nightmares On Wax - Thought So ...

ØØ

Warp/Rough Trade (GB 2008)

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Es ist ja wirklich nicht so, daß man heutzutage von Musik noch irgendeine Relevanz verlangt - das wäre in Zeiten der Zersplitterung in Millionen Subgenres und eines Mainstream, der qualitativ ungeahnte Tiefen erreicht hat, auch sehr gewagt. Aber manchmal möchte man gewisse Musiker doch an den Ohren nehmen, sie ordentlich schütteln und ihnen die Frage stellen, was ihnen da nur wieder eingefallen ist. Zum Beispiel Nightmares On Wax alias George Evelyn alias DJ E.A.S.E. (Experience A Sample Expert), dem man nachsagt, Genres wie Downbeat oder TripHop erfunden zu haben. Daß beide Musikrichtungen mittlerweile ungefähr so wirken, als hätte man zwei, drei Valium eingeworfen, dafür kann der Mann nichts. Aber daß er sich selbst dieser unendlichen Belanglosigkeit anschließt und seit geraumer Zeit von Album zu Album schlechter wird - dafür schon.

"Thought So ..." liefert genau das, was der Plattentitel verspricht: Ja, so haben wir uns das eh vorgestellt. Ein Stilmix aus Soul, Funk, Reggae & HipHop (gähn!), zehn zunehmend einschläfernde Nummern (schnarch!) und als CD-Kauf pure Geldverschwendung (ärger! tob!). Was wir daraus lernen können? Ibiza macht dumm. Jemand sollte N.O.W. schleunigst von dort wegholen.

Links:

Oasis - Dig Out Your Soul

ØØØØ

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Big Brother/Indigo (GB 2008)

 

Wie sagte schon Walter Ulbricht? "Niemand hat vor, eine Mauer zu bauen" - außer ihm natürlich, seinen SED-Genossen und Noel Gallagher. Der Kopf von Oasis errichtet auf "Dig Out Your Soul" ein Bauwerk aus übergelagerten Sounds und Beats, das in den meisten Fällen richtig dicht und massiv geworden ist. Das siebte Album der Band, noch erstellt mit Ringo Starrs Sohn Zak am Schlagzeug, wird von manchen Pressekollegen mit "Sgt. Pepper" verglichen. Was auch immer man von dem Beatles-Klassiker halten mag, die Gegenüberstellung ist natürlich völliger Quatsch. "Dig Out Your Soul" hat - wie bei Oasis üblich - seine Pilzkopf-Momente, etwa in "Falling Down" oder in "I´m Outta Time", wo Liam Gallagher für uns alle den Lennon gibt. Aber genausogut könnte man The Jam oder die Who der frühen Siebziger aus den Song heraushören. Die ganze Vergleichshuberei spielt sowieso keine Rolle, weil Oasis wie der Müllroboter Wall-E funktionieren: Längst haben sie sich aus den Versatzstücken ein eigenes musikalisches Zuhause gezimmert. Darin rockt und rumpelt es sogar in alter Frische, etwa in "The Shock Of The Lighning" oder in "The Turning". "Dig Out Your Soul" ist logischerweise nicht "Morning Glory", da die Welt seit anno ´95 nicht stehen geblieben ist. Aber das Album ist, vom mauen Finale abgesehen, richtig gut. Erschienen ist es übrigens auf dem Band-eigenen Label Big Brother.

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