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Schmauchspuren #39

Biedermänner und Brandstifter, Chefober und Lustmörder, Leutefinder und Kleinstadt-Gangster: Peter Hiess liefert diesmal ein Wienkrimi-Special, umrahmt von zwei amerikanischen Abenteuern.    12.11.2014

Peter Hiess

Walter Mosley - Manhattan Karma

Suhrkamp Tb. 2011

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Für einen Privatdetektiv ist Leonid McGill im Privatleben ungewöhnlich stark gebeutelt: Er ist in eine Frau verliebt, mit der er nicht zusammen sein kann; mit einer ungeliebten Gattin und mit drei Kindern geschlagen, deren zwei nicht von ihm sind; fünfzig vorbei und ohne große Zukunft. Und eigentlich wäre er sowieso lieber Boxer geworden.

Krimifreunde, die jetzt einen klischeehaft traumatisierten PI erwarten, dürfen dennoch beruhigt aufatmen: Walter Mosleys neuer Antiheld wirkt in seinem Romandebüt "Manhattan Karma" realistisch und sympathisch, samt Kommunistenvater und Rassismusproblematik. Und das ist ein Kunststück bei einem Protagonisten, der Spezialist für das Auffinden von Menschen ist und das auch für die Mafia schon oft getan hat - mit tödlichen Folgen. Gerade als Leonid sauber werden will, läuft ihm ein Auftrag über den Weg, bei dem er wieder vier Männer finden soll. Dummerweise werden auch die alle ermordet, sobald er sie aufgespürt hat, so wie sein Auftraggeber. Und er selbst steht ebenfalls auf der Abschußliste ...

Mosley liefert mit "Manhattan Karma" nach langem wieder ein lesbares, erfreuliches und spannendes Buch ab. Verzeihen wir ihm also, daß sein Erstling "Teufel in Blau" Bill Clintons Lieblingskrimi war. Man kann es sich - wie auch Detektiv McGill weiß - im Leben halt nicht immer aussuchen.

Links:

Kriminelles Wien


Gerhard Loibelsberger - Mord und Brand

Gmeiner Tb. 2011

 

Hermann Bauer - Philosophenpunsch

Gmeiner Tb. 2011

 

Pierre Emme - Zwanzig/11

Gmeiner Tb. 2011

 

Andreas Pittler - Mischpoche

Gmeiner Tb. 2011

 

Auch dem Krimirezensenten passiert oft Unerwartetes - zum Beispiel die neue Lieferung des auf Regionalkrimis spezialisierten Gmeiner-Verlags, der in seinem aktuellen Programm gleich vier Genrevertreter aus Wien vorstellt. Da will der Autor dieser Zeilen seine Herkunft nicht verleugnen und stürzt sich ins Leseabenteuer ...

Gerhard Loibelsberger setzt seine Serie um den ebenso dicken wie findigen Inspektor Nechyba, der in den letzten Jahren der Monarchie ermittelt, mit dem Roman "Mord und Brand" äußerst erfolgreich fort. Diesmal jedoch stehen nicht Nechyba und sein Journalistenfreund Goldblatt im Mittelpunkt, sondern ein Duo infernal, das sich fast moritatenmäßig durchs alte Wien mordet wie das gutgelaunte Pärchen in "Natural Born Killers": Frantisek Oprschalek - ein ehemaliger Arbeiter, der in seinem privaten Kampf gegen den Kapitalismus die Besitzenden massakriert und ihre Häuser abfackelt - und sein Freund, der Berufvserbrecher Nepomuk Budka. Wie sich die beiden durch Hotels und Kaffeehäuser, Zimmermädchen und Vermieterinnen, Fabriken und Holzlagerplätze morden und brennen, das ist einfach wunderbar erzählt und beweist A., daß wir keine kindheitsgeschädigten Serienkiller aus den USA brauchen, weil wir selber bessere haben, und B., daß Gerhard Loibelsberger mit diesem Roman nicht nur den Regional-, sondern auch den historischen Krimi eigenhändig aus der Krise reißt, sodaß wir C. bitte mehr von ihm lesen wollen.

Hermann Bauer läßt in "Philosophenpunsch" wieder seinen Kaffeehauskellner Leopold aus Floridsdorf in Sachen Mord und Totschlag ermitteln; diesmal um die Weihnachtszeit, mit Liebesg´schichten und Familiensachen. Man merkt, daß Bauer von Buch zu Buch besser wird, stringenter erzählt und mehr Atmosphäre aufbauen kann - insofern ist seine Story um schlamperte Studentinnen und gescheiterte Häfenphilosophen wirklich liebens- und lesenswert, obwohl sie halt eher auf Stimmung setzt als auf Spannung.

Vom 2008 verstorbenen Pierre Emme erscheinen weiterhin regelmäßig Bücher, als würde er posthum eifrig weiterschreiben. Obwohl: Bei "Zwanzig/11", seinem Versuch eines in Österreich angesiedelten Polit-Thrillers, hat er sich eventuell etwas zu sehr von den Versuchungen im Jenseits ablenken lassen. Die Geschichte, wie sein Protagonist Max Petrark nach dem Autounfall des Bruders in ein globales Terrorkomplott à la 9/11 verstrickt wird, liest sich viel zu langatmig, hält sich ewig mit familiären und weltpolitischen Betrachtungen auf und hätte noch stark überarbeitet werden müssen.

Andreas Pittler liefert in "Mischpoche" 14 zum Teil durchaus witzige Stories um seinen Ermittler David Bronstein aus der Zwischenkriegszeit ab. Nur: Die versprochenen "Wiener Kriminalgeschichten" findet man hier leider nicht, sondern eher Vignetten um historische Ereignisse, bei denen der Polizist oft nur eine Statistenrolle spielt und kaum ermitteln darf. Man merkt, daß der Autor Politikwissenschaftler ist und sich in der Landesgeschichte auskennt - aber das Ergebnis ist dann doch mehr Schulfernsehen als Straßenfeger-Krimiserie.

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Brett Halliday - Murder Is My Business

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2010

Leserbewertung: (bewerten)

Und weil kein Platz mehr ist, schnell noch im Telegrammstil: "Murder Is My Business" von Brett Halliday. Würdiger Abschluß der ersten Staffel von Hard Case Crime, der wunderbaren Pulp-Serie. Held: der leider fast vergessene coole Privatdetektiv Mike Shayne. 40er Jahre, El Paso, Kleinstadtkorruption, Silberminen, Nazispione, verwickeltes Komplott. Routiniert erzählt, beste Unterhaltungslektüre. Bitte weitermachen!

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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